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# taz.de -- Urteil in Ägypten: Im Dorf der zum Tode Verurteilten
> Ein Gericht bestätigt 183 Todesurteile. Angehörige erzählen schockierende
> Geschichten von Verfahren, die jeder Rechtsstaatlichkeit spotten.
Bild: Angehörige der zum Tode Verurteilten am Samstag in der oberägyptischen …
QUM BASAL/MATEI taz | Ein Gericht im südägyptischen Minia hat am Wochenende
183 Todesurteile bestätigt, die im April vom gleichen Richter in einem nur
einstündigen Verfahren ausgesprochen worden waren. Auch das Todesurteil
gegen den Chef der Muslimbruderschaft, Muhammed al-Badie, wurde bestätigt.
Zuvor hatte der gleiche Richter in einem anderen Schnellverfahren zunächst
529 Menschen zu Tode verurteilt und später 37 der Urteile bestätigt. Die
Verurteilten sollen alle sollen an einem Angriff auf mehrere
Polizeistationen beteiligt gewesen sein.
„Auch wenn der Richter im letzten Verfahren statt 683 nur 183 Menschen an
den Strang schickt, nach einem oberflächlichen und einseitigen Prozess,
bleibt das eine total verzerrte Vorstellung von Gerechtigkeit,“ kommentiert
Joe Stork von Human Rights Watch. „Die Urteile sind todernst, das Verfahren
war dagegen ein Witz,“ fügt er hinzu.
## Zehn Todeskandidatenaus einem Ort
Im südlichen Oberägypten ist Qum Basal ist ein Dorf wie tausende andere.
Staubige, nicht asphaltierte Straßen, Hütten, in denen die Armut zu Hause
ist, auf den Feldern verrichten Tiere statt Traktoren die schweren
Arbeiten. Aber der kleine Ort birgt eine Besonderheit. Von den jetzt noch
von einem ägyptischen Richter über 200 rechtskräftig zu Tode Verurteilten
stammen zehn von hier.
Das Gericht in Provinzhauptstadt Minia, das die Urteile ausgesprochen hat,
die international eine Schockwelle ausgelöst haben, liegt gerade einmal
eine halbe Autostunde von Qum Basal entfernt. Der Anlaß der Verurteilung,
eine Polizeistation, die von einem Mob im vergangenen Sommer angegriffen
wurde und in der Folge ein Polizeioffizier starb, liegt auf halbem Weg.
Bei einem Besuch in dem Dorf Anfang Mai, nachdem die Urteile im ersten
Verfahren ausgesprochen waren, dauerte es eine Weile, bis der Bauer Ahmad
Hassan in sein Haus bat. Im Dorf herrscht Angst vor weiteren Repressalien.
„Sie kamen um Mitternacht, brachen die Tür auf und nahmen meinen Vater und
Bruder mit“, erzählt er. „Wir konnte es kaum fassen, als die beiden zu Tode
verurteilt wurden.“
## Zeugen hat das Gericht gar nicht erst angehört
Dass dieses Urteil inzwischen in lebenslänglich umgewandelt wurde, tröstete
Ahmad wenig. Denn das halbe Dorf kann bezeugen, dass die beiden
Verurteilten am Tag, an dem die Polizeiwache angegriffen wurde, auf ihrem
Feld in unmittelbarer Nachbarschaft des Dorfes gearbeitet haben. Doch
Zeugen wurden in dem Prozess nie befragt. Kein einziges Mal sei jemand von
den Untersuchungsbehörden im Dorf vorbeigekommen, erzählt Ahmad.
Wahrscheinlich habe es sich um eine Namensverwechslung gehandelt. „Mein
Bruder heißt Abdallah Muhammad Hassan Schulqami, der Name des von
Staatsanwaltschaft Gesuchten ist Abdallah Muhammad Hassan Gumaa. Also ein
ganz anderer Familienname. Aber das interessiert niemanden“, sagte er.
In der Kreisstadt Matai liegt das Büro des Anwaltes Mustafa Hafez, der
beauftragt war, einige der Angeklagten zu verteidigen. „Zweifellos sollen
die Schuldigen bestraft werden. Aber dieser Prozess hat gerade einmal eine
Stunde gedauert, es gab keine vernünftige Beweisaufnahme oder
Zeugenbefragung“, schildert er. „Wir Anwälte hatten keine Chance, unser
Mandanten zu verteidigen.“
## Auch Anwälten kann der Tod drohen
Für Ahmad Eid, einen der Verteidiger, der 50 Angeklagte vertreten hatte,
wurde das Verfahren zum persönlichen Albtraum. Er fand sich nach vier
Monaten Untersuchung plötzlich selbst auf der Anklageliste wieder und wurde
zu Tode verurteilt. Dass dieses Urteil inzwischen in lebenslänglich
umgewandelt wurde, beruhigt seine Frau Maha Hussein wenig.
„Sie kamen am 22. Januar, als mein Mann auf Reisen war, in unser Haus,
fragten nach ihm und nahmen einen Computer der Kinder mit,“ erzählt sie.
Zwei Tage darauf wurde ihr Mann bei der Staatsanwaltschaft vorstellig und
verhaftet. „Sie wollten Ahmad ausschalten, weil er in dem Fall ein sehr
engagierter Anwalt war“, glaubt sie. Dass er etwas mit Muslimbruderschaft
zu tun habe, sei absolut lächerlich. „Er arbeitet in einer Kanzlei, die
einem christlichen Kollegen gehört. Würde der ihn dann anstellen?“, fragt
sie.
## Keinen Schutz für Minderjährige
Im Büro des Anwalts Mustafa Hafez sitzt Osman Ali. Er zeigte uns die
Geburtsurkunde und ein Foto seines zu Tode verurteilen Neffen. Er war zur
Zeit seiner vermeintlichen Tat gerade einmal 17 Jahre alt und fällt damit
unter das Jugendstrafrecht, in dem es keine Todesstrafe gibt. Ein Detail,
das offensichtlich weder der Staatsanwaltschaft noch dem Richter
aufgefallen ist. Der einzige Beweis sei ein Handyvideo, in dem sein Neffe
vor der angegriffenen Polizeiwache einen Schuh in der Hand schwingt,
erzählt Osman dem Anwalt und imitiert das Ganze mit einer schwingenden
Geste. Er hofft nun wie die anderen Betroffenen, dass im Berufungsverfahren
endlich ein rechtsstaatlichen Verfahren zustande kommt.
Derweil dürfte der Richter Said Yussuf, der zunächst über 1.000 Menschen in
zwei Schnellverfahren zu Tode verurteilt und dann über 200 der Urteil
bestätigt hat, bald wieder für neuen Gesprächsstoff sorgen. Als einziger
Richter ist er in drei Provinzen in Südägypten allen Verfahren zugeteilt,
in denen „Fälle des Terrorismus“ verhandelt werden. Derzeit stellt die
Staatsanwaltschaft bis zu 5.000 weitere Fälle zusammen, schätzt Anwalt
Hafez. Da hat Richter Gnadenlos noch viele Gelegenheiten für Nachschub an
bizarren Todesurteilen zu sorgen und seinen eigenen Weltrekord zu brechen,
als einzelner Richter in kürzester Zeit die meisten Menschen an den Galgen
zu schicken.
22 Jun 2014
## AUTOREN
Karim Gawhary
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