| # taz.de -- Die Wahrheit: Im Todeszug nach Hannover | |
| > Wer bei der Deutschen Bahn mit sogenannten Fußball-Fans zusammengepfercht | |
| > wird, hat ein sehr schweres Los gezogen. | |
| Auf einmal war ich mittendrin im unsportlichen Teil des Niedersachsenderbys | |
| zwischen Eintracht Braunschweig und Hannover 96. Semipanisch saß ich in | |
| einer vollgestopften Regionalbahn auf dem Weg nach Hause, um mich herum nur | |
| denaturierte Kampfmaschinen, tätowiert bis unter die Vorhaut und tief ins | |
| Innenohr hinein, den Kopf rasiert und in der Statur stark an adipöse | |
| Pitbulls erinnernd. | |
| Immer wieder gingen sie ohne Anlauf und aus der kalten Hose heraus auf die | |
| Polizei los, die im engen Zug manövrierunfähig war. Dabei wurden sie von | |
| hinten von ihrer Bezugsgruppe durch Grunzen, rhythmisches | |
| In-die-Hände-Klatschen und Mit-den-Füßen-auf-den-Boden-Stampfen | |
| unterstützt. Ich saß transpirierend dazwischen. Bloß weil ich den Fehler | |
| gemacht hatte zu glauben, dass während des Spiels Ruhe im Transportwesen | |
| herrschen würde. Weil die Fans ja im Braunschweiger Stadion wären. Das hier | |
| aber waren keine Fans. Das hier waren Arschlöcher. | |
| Die Polizei hatte sie vor dem Stadion abgefangen und wollte sie nun zurück | |
| nach Hannover verfrachten. Ausgerechnet mit meinem Zug. Und leider ließen | |
| die Ordnungskräfte mich nicht mehr aussteigen, obwohl wir noch im Bahnhof | |
| standen. Als die Stiernacken begannen, ausgiebig ihren eigenen | |
| „Kanakentrainer“ und seine „beschissene Kanakenaufstellung“ zu | |
| thematisieren, zog ich mir die Basecap als Tarnkappenersatz noch tiefer ins | |
| Gesicht. Uns südländisch aussehende Menschen entspannen solche Aussagen nur | |
| bedingt. | |
| Zwischendurch grölte mal einer: „Ey kuck mal, da ist Sascha, der is’ aus�… | |
| Knast raus!“, ein anderer beugte sich über mich, steckte seinen Arm durch | |
| das geöffnete Klappfenster nach draußen und griff nach der Tasche eines auf | |
| dem Bahnsteig stehenden Fotografen. Mit einem Ruck ließ er den Fotografen | |
| gegen den Zug knallen. „Du Sau, hier wird nicht fotografiert!“ | |
| Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis ich entweder Opfer der | |
| Fußballspackos oder der sich chaotisch verteidigenden Polizei werden würde. | |
| Grade versuchten zwei Hools, einen Polizisten von seinen Kollegen zu | |
| trennen, da rief jemand von hinten: „Scheiße, 1:0 für Braunschweig!“ – | |
| „Was?“ Augenblicklich zogen alle ihre Smartphones aus der Tasche und | |
| starrten konzentriert darauf. „Dieser beschissene Urwald-Affe!“ Gemeint war | |
| der schwarze Torschütze Kumbela. Es dauerte keine fünf Minuten, da fiel das | |
| 2:0. Ich ging davon aus, dass die Zerstörungsfachkräfte als Nächstes den | |
| Zug professionell entkernen würden. Oder mich durch die Scheibe schmeißen. | |
| Pustekuchen. | |
| Die Tatsache, dass sie so schnell ausgerechnet gegen die verhasste | |
| Nachbarstadt, ihren Erzfeind, der dazu noch Tabellenletzter war, in | |
| Rückstand gerieten, saugte jede Kraft aus den Bulldoggen. Es wurde still. | |
| Langsam glaubte auch ich wieder an ein Leben nach dem Zug. Als das 3:0 | |
| fiel, wurden nur noch Köpfe geschüttelt. Anscheinend gibt es Demütigungen, | |
| die so groß sind, dass sie keinen Platz mehr für Aggressionen lassen. | |
| Schade, dass man sich darauf nicht verlassen kann. | |
| 29 Apr 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Hartmut El Kurdi | |
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