Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Kein Gruppenkuscheln in der Metro
> Ganze Generationen werden bekanntlich über viel zu grobgezinkte Kämme
> geschoren – nur mit den Babyboomern der 60er Jahre geht das nicht.
Eigentlich dachte ich, ich sei generationenmäßig unbelastet. Für die
Achtundsechziger, selbst für die Achtundsiebziger bin ich zu jung, für die
Generation Golf und die Neunundachtziger zu alt, für die Generation X zu
wenig amerikanisch, für ein Zonenkind zu westlich und für einen Digital
Native zu analog sozialisiert. Ich gehörte einfach nirgends dazu, was mich
bis jetzt immerhin davor bewahrt hat, für irgendetwas in Sippenhaft
genommen oder für irgendeinen veranstalteten Scheiß im Kollektiv
entschuldigt zu werden.
Nun aber erfahre ich, dass ich plötzlich doch Teil eines größeren Ganzen
sein soll. Auf einmal wird entdeckt, dass mein Jahrgang – 1964 – der
geburtenstärkste Jahrgang der deutschen Nachkriegsgeschichte ist. Wie das
Fachblatt für Fortpflanzung, Super-Illu, berichtet, teile ich dieses
Schicksal mit 1.357.304 anderen Menschen. Andere Blätter raten mir, falls
ich meinen fünfzigsten Geburtstag groß feiern wolle, müsse ich schleunigst
eine Lokalität buchen, bevor die anderen 1.357.303 sie mir wegschnappen.
Und so wird im Handumdrehen eine ganze Generation konstruiert: die
Vierundsechziger.
Nach dieser Logik habe ich angeblich etwas mit Johannes B. Kerner, Jürgen
Klinsmann und „Ein bisschen Frieden“-Nicole gemein. Und mit Kai „Mann, ist
der“ Diekmann. „Unser“ Hauptmerkmal sei, dass „wir“ immer viele waren…
40 Schüler in der Klasse, zu Hause keine Einzelkinder, an der Uni in
überfüllten Hörsälen, in der Grundschule Mengenlehre, und einkaufen mussten
unsere Eltern in der Metro – unsere prägende Erfahrung sei „das Rudel“,
schreibt Stefan Willeke in der Zeit. Und die positive Grundeinstellung der
Siebziger: „Wer im Rudel aufwächst, quält sich nicht ständig mit dem
Gedanken, ob dem Rudel die Zukunft gehört. Natürlich gehört ihm die
Zukunft, wem denn sonst?“
Und schon kann ich wieder durchatmen. Ich scheine doch kein Teil meiner
eigenen Generation zu sein. An eine Zukunft habe ich nie geglaubt. Um so
verwunderter bin ich heute. Und sonst: Zwar hatte ich Geschwister, aber
wuchs nicht mit ihnen auf, faktisch war ich also doch Einzelkind. Ich heiße
auch nicht Stefan, Andreas oder Matthias, sondern ganz schlimm fiftyesk, um
nicht zu sagen vierzigeroid Hartmut. So hieß sonst niemand. Auf der ganzen
Welt. Zumindest kam es mir so vor. Und hinten heiße ich El Kurdi, auch so
hieß sonst keiner. In unserer Sozialwohnungssiedlung gab es exakt zwei
Ausländerkinder: Erdal war Türke und Carmen Spanierin. Und ich war Araber.
Aber auch nur halb. Und so könnte ich stundenlang weitermachen – wie viele
andere auch.
Liebe Medienschwadroneure von Bild bis FAZ, von Super-Illu bis Zeit: Nicht
das Rudel ist unsere Grunderfahrung, sondern das Anderssein. Und damit auch
das Solistentum. Oder um es mit den dialektischen Worten Rio Reisers zu
sagen: „Ich bin anders, weil ich wie alle bin und weil alle anders sind.“
„Wir“ waren einfach so viele, dass wir gar nichts Gemeinsames haben
konnten. Also doch kein Gruppenkuscheln für die Vierundsechziger. Uff.
25 Mar 2014
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Generationen
Babyboomer
Musikkultur
Fußballfans
Thilo Sarrazin
Pädagogik
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Colorado statt Aktion Lebensborn
Nun fehlt nur noch Collness: Es fällt mir leichter zu jubeln, seit das
deutsche Team nicht mehr aussieht wie nach einer ethnischen Säuberung.
Die Wahrheit: Lob des Kacksounds
Das waren noch Zeiten, als die Musik aus kleinen Transistorradios mit
weißen Mono-Ohrstöpseln kam. Und höre, es waren gute Zeiten ...
Die Wahrheit: Im Todeszug nach Hannover
Wer bei der Deutschen Bahn mit sogenannten Fußball-Fans zusammengepfercht
wird, hat ein sehr schweres Los gezogen.
Die Wahrheit: Los Sarrazin-Wochos
Auch 2014 steigen die publizistischen Wiedergänger aus ihren Gräbern. Das
reaktionäre Triumvirat des Grauens schwadroniert erneut.
Die Wahrheit: Toughe Indianer
Verschwörungstheoriker im pädagogischen Milieu schrecken vor nichts zurück.
Außer vor häkelnden Fußballjungs und rülpsenden Heulsusen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.