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# taz.de -- Die Wahrheit: Colorado statt Aktion Lebensborn
> Nun fehlt nur noch Collness: Es fällt mir leichter zu jubeln, seit das
> deutsche Team nicht mehr aussieht wie nach einer ethnischen Säuberung.
Obwohl die Fifa eine kriminelle Vereinigung ist und Sepp Blatter auf
Lebenszeit nach Corleone oder in den Kanton Wallis verbannt gehört, obwohl
ich finde, dass Brasilien Reformen und keine WM braucht, obwohl in Katar
ein Sklavenaufstand sinnvoller als ein Fußballturnier wäre – obwohl das
alles so ist, nehme ich als zwar distanzierter, aber doch aufmerksamer
TV-Beobachter an der WM teil. Boykotte, die keiner bemerkt, sind mir
einfach zu selbstverliebt.
Klar ist allerdings, dass ich mir nicht die hässlichen Hoheitszeichen
irgendeines Staates ins Gesicht male oder über die Außenspiegel meines
nicht vorhandenen Kleinwagens zutzele. Die gleichen Symbole prangen
schließlich auf Flugzeugen, die bei Bedarf Menschen in Krisenregionen
bombardieren – wenn Joachim Gauck, die Deutsche Bank sowie Heckler & Koch
es für nötig halten. Oder sie zieren die Regierungsmaschine, aus der Frau
Merkel zu Staatsbesuchen über befreundeten Staaten abgeworfen wird. Keiner
weiß, was schlimmer ist.
Trotzdem kann ich mich über eine gut spielende deutsche Mannschaft freuen.
Wobei es mir leichter fällt zu jubeln, seit das deutsche Team nicht mehr
aussieht wie nach einer ethnischen Säuberung. Oder wie ein Teil der Aktion
Lebensborn. Ich kann mich noch gut erinnern, wie ich neunjährig bei der WM
1974 zu meinem Freund Andreas Huhn sagte: „In zehn Jahren spiele ich auch
in der Nationalmannschaft“. Woraufhin dieser nicht etwa antwortete „Spinnst
du? Kuck dir mal deine Spackelbeine an“ oder „Mach erstmal ’n bisschen
Konditionstraining, du Hustinettenbär“, sondern: „Du kannst nicht in der
Nationalmannschaft spielen, wenn du so heißt.“ Ich sagte: „Hä?“ Er sagt…
„Na: El Kurdi! So heißt doch kein deutscher Spieler!“ Damals hatte er
schlicht recht.
Heute ist das anders. Für alle, die „Multikulti“ für gescheitert halten
oder aus modischen Gründen ablehnen, ist das ärgerlich. Für uns
Neudeutsche, Mixed Pickles, Zugezogene oder Absichtlich-Bundesbürger, für
die bunte Tüte also, ist es immer wieder schön, eine Aufstellung zu sehen,
in der Menschen hinten Boateng, Khedira, Özil, Podolski, Mustafi oder vorne
Mesut, Miroslav oder Shkodran heißen. Außerdem gibt es immer noch genügend
Spieler, die schöne deutsche Vornamen wie Kevin, André oder Manuel tragen.
Nur nebenbei: Ich freue mich auch darüber, dass ausgerechnet ein
dunkelhäutiger Mensch namens Xavier Naidoo den „deutschen Soul“ erfunden
haben soll. Glücklicherweise verpflichtet mich das nicht dazu, mir diesen
selbstverliebten evangelikalen Musikschmonzes anzuhören.
Mein Bedürfnis, mich mit meinem Heimatland zu „identifizieren“, hält sich
in Grenzen, weil ich Patriotismus, Nationalismus und ähnliche Neurosen nach
wie vor für den Ursprung vieler Übel halte. Aber wenn ich mich schon
identifizieren soll, dann muss man mir wenigstens ein Angebot machen, bei
dem unsereins nicht nur auf der Tribüne sitzt. So ein Team ist schon mal
ein Anfang. Nur hätte ich gerne den anderen Boateng. Wegen des
Coolnessfaktors.
24 Jun 2014
## AUTOREN
Hartmut El Kurdi
## TAGS
Deutsche Fußball-Nationalmannschaft
Stefan Raab
Adolf Hitler
Musikkultur
Fußballfans
Generationen
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