| # taz.de -- Die Wahrheit: Toughe Indianer | |
| > Verschwörungstheoriker im pädagogischen Milieu schrecken vor nichts | |
| > zurück. Außer vor häkelnden Fußballjungs und rülpsenden Heulsusen. | |
| Bild: Manch einer macht sich ein bedrohliches Bild von Kunstfleisch. | |
| Wer heutzutage etwas auf sich hält im reaktionären „Querdenker“-Business, | |
| faselt davon, dass der Feminismus zwar einmal eine gewisse Berechtigung | |
| gehabt habe, nun der Wind aber aus einer anderen Richtung wehe. Heute seien | |
| die Männer die Benachteiligten und ganz besonders die Jungs in der Schule. | |
| Die interessierten sich nämlich nicht für Literatur und Kunst, sondern für | |
| Sport, Autos und Bagger. Und das würde von den überwiegend weiblichen | |
| Lehrkräften bestraft. Die braven Lese-Mädchen aber, die naturgemäß kein | |
| Interesse an Fußball und Auf-die-Fresse-Hauen hätten, würden von den | |
| Lehrerinnen gelobt und bevorzugt. Ende der Paranoia. | |
| Das Schlimme an Verschwörungstheorien ist, dass sie meist einen winzigen | |
| wahren Kern enthalten, diesen aber mit Schwachsinn ummanteln. Statistisch | |
| stimmt es zwar, dass Jungs im Schnitt die schlechteren Noten haben. Und | |
| tatsächlich können manche Lehrerinnen mit den Interessen der | |
| Mainstream-Jungs nichts anfangen. | |
| Komischerweise schadet den Jungs das im späteren Berufsleben aber nicht. | |
| Nach wie vor verdienen Männer bei gleicher Qualifikation mehr, und nach wie | |
| vor sind Spitzenpositionen in der Wirtschaft, der Politik und auch im | |
| öffentlichen Dienst mehrheitlich mit Männern besetzt. | |
| Davon abgesehen, geht mir das stereotype Geschlechterbild, das hinter der | |
| „Jungs werden benachteiligt“-These steht, ziemlich auf den Senkel. Nicht | |
| alle Jungs sind Neandertaler, die kloppen, brüllen, rülpsen und furzen | |
| wollen. Und nicht alle Mädchen stehen auf Rosa, sitzen brav und still in | |
| der Ecke, lesen Prinzessin Lillifee und warten darauf, dass ihre | |
| Menstruation einsetzt. Die Welt ist viel bunter. | |
| Ich zum Beispiel war einerseits ein lauter, frecher und aggressiver | |
| Fußballjunge – habe aber gleichzeitig gern gelesen, fand den | |
| Musikunterricht super und spielte in der Pause mit den Mädchen. Ich habe | |
| sogar freiwillig Blockflöte (!) und Häkeln gelernt! Und auch sonst gab es | |
| bei uns alles: laute Jungs, stille Mädchen, stille Jungs, laute Mädchen, | |
| Fußballerinnen, Bodenturner, Heulsusen und toughe, nicht weinende Indianer | |
| mit und ohne Penis. Kurzum: Auch wenn die Mehrheit der Jungs in die eine | |
| und die Mehrheit der Mädchen in die andere Richtung tendierte, waren die | |
| Trennlinien beileibe nicht so eindeutig wie das gesellschaftliche Rollback | |
| das heute gern möchte. | |
| Auf den möglichen Einwurf, diese Argumentation wolle die Unterschiede | |
| zwischen den Geschlechtern wegbügeln, kann man nur antworten: Klar, warum | |
| nicht. Die Theorie von unterschiedlichen Geschlechtern macht nämlich etwas | |
| viel Schlimmeres: Sie nivelliert die Unterschiede zwischen den Individuen. | |
| Denn darum muss es doch gehen: Dass jeder so sein darf, wie er möchte, egal | |
| ob Junge oder Mädchen. | |
| Wenn Schule endlich am Individuum ausgerichtet wäre und nicht an einer | |
| vermeintlichen „Mehrheit“ – wozu es vor allem mehr Lehrer für weniger | |
| Kinder bräuchte –, dann erübrigte sich der Kampf gegen eine | |
| „Benachteiligung“ der Jungs von selbst. | |
| 28 Jan 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Hartmut El Kurdi | |
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