# taz.de -- Die Wahrheit: Mit Campino in der Dorfdisco | |
> Richtig abgefuckt, wie die Parteien mit Kultur umgehen: Im Speziellen die | |
> Partei der Bildungsbürger, die CDU. | |
Manchmal ist man doch überrascht, wie abgefuckt Politiker sein können. Und | |
damit meine ich nicht die Nonchalance, mit der die SPD jetzt doch zu | |
Gesprächen mit der CDU bereit ist, obwohl Steinbrück vor der Wahl auf die | |
Frage nach einer Großen Koalition stets beinhart versicherte, er werde | |
nicht zum Steigbügelhalter für Angelika Merkel. Damit war zu rechnen. | |
Richtig abgefuckt hingegen ist, wie die Parteien mit Kultur umgehen. Und da | |
im Speziellen die Partei der Bildungsbürger, die CDU. Nun mag mancher | |
argumentieren, die Toten Hosen seien auch in einem popkulturellen | |
Zusammenhang nicht zwingend als Kultur zu bezeichnen. Für diese These hege | |
ich eine gewisse begründete Sympathie, aber sie ist selbstverständlich | |
hochgradig geschmäcklerisch. | |
Ignorieren wir mal Campinos peinliches Wichtigtuer-Gelaber, ignorieren wir | |
das Umschwenken von belanglosem, aber doch irgendwie nettfröhlichem Funpunk | |
auf komplett ironiefreien Stadion-Deutschrock und tun wir mal so, als wären | |
die Toten Hosen eine ernstzunehmende Band. Schon vor Wochen verwahrten sie | |
sich dagegen, dass ihr Song „Tage wie diese“ auf Wahlkampfveranstaltungen | |
gespielt wird, egal von welcher Partei. Nun könnte man auch sagen: Selbst | |
schuld, warum schreiben sie auch so einen pathetischen, leicht zu | |
missbrauchenden Popschmonzes. Und trotzdem. | |
Wie kommen die CDU-Mumien eigentlich dazu, die Äußerungen der Band kennend, | |
am Wahlabend quasi demonstrativ den Künstlern vor der gesamten TV-Nation | |
den Fuckfinger zu zeigen: „Was irgend so ein popeliger Rocksänger möchte, | |
ist uns scheißegal. Wir haben die Wahl gewonnen, wir machen, was wir | |
wollen!“ | |
Dass das Abspielen des Hosen-Songs kein Zufall war, bemerkt man, wenn man | |
sich den Mitschnitt der CDU-Bühnenekstase noch einmal in ganzer Länge | |
anschaut. Nachdem „Tage wie diese“ verklungen ist, stimmt der sich | |
ebenfalls auf der Bühne befindliche Alleinunterhalter „Schachmatt“ von | |
Roland Kaiser an. | |
Dazu muss man wissen, dass Roland Kaiser einer der wenigen Musiker ist, der | |
sich im Wahlkampf eindeutig positioniert hat. Und zwar für die SPD, deren | |
Mitglied er seit Jahren ist. Schlagerkönig Kaiser absolvierte diverse | |
Wahlkampfauftritte mit Sigi „Pop“ Gabriel. Also auch hier: „disrespect“ | |
seitens der CDU, um mal in der Popsprache zu bleiben. Oder mit anderen | |
Worten: „Du singst für die SPD? Alter, ich ficke deine Mutter!“ | |
Das einzige Erfreuliche an der ganzen Sache ist, dass die CDU sich beim | |
öffentlichen Triumphieren so unendlich blamierte: Unrhythmisches Gehampel, | |
Klatschen jenseits aller Takte und Beats, Bewegungsidiotie de luxe, der | |
evangelikale Abtreibungsgegner Kauder, der enthemmt Campinos Text grölt, | |
ohne sich an irgendein Metrum zu halten – und eine Kanzlerin, die aussah, | |
als habe man das unbeliebte dicke Mädchen auf der Klassenfahrt erst | |
betrunken gemacht und dann in der Dorfdisco auf die Bühne geschubst, auf | |
der sie nun um ihr Leben und ihren Stolz tanzt. Es ist traurig, bei so | |
etwas Würdelosem zusehen zu müssen … | |
24 Sep 2013 | |
## AUTOREN | |
Hartmut El Kurdi | |
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