# taz.de -- Führungsduo der Linkspartei: Allen wohl und niemand wehe | |
> Katja Kipping und Bernd Riexinger haben ihre zerstrittene Partei in den | |
> vergangenen zwei Jahren halbwegs versöhnt. Doch der Konsens hat einen | |
> Preis. | |
Bild: Gleich knutschen sie! Katja Kipping und Bernd Riexinger beim Parteitagauf… | |
BERLIN taz | Wenn man in der Linkspartei vor dem Bundesparteitag am zweiten | |
Maiwochenende skeptische Stimmen zu dem Duo Bernd Riexinger und Katja | |
Kipping sucht, muss man ziemlich vielen Leuten ziemlich viele Fragen | |
stellen. Harmonie überall. Bodo Ramelow, der im Herbst Chancen hat, in | |
Thüringen der erste Linkspartei-Ministerpräsident der Geschichte zu werden, | |
sagt: „Ich bin mit der Parteispitze sehr einverstanden.“ Die Kombination | |
aus jünger/älter, Ost/West, Mann/Frau funktioniere bestens. | |
Bernd Riexinger, der schwäbische Ver.di-Funktionär, wurde Anfang Juni 2012 | |
fast ohne parteipolitische Erfahrung und halb zufällig Parteichef. | |
Mittlerweile gilt der im Fernsehen etwas schwerfällig wirkende | |
undogmatische Linke nicht nur in der Partei als Glücksgriff. Die FAS, den | |
Linkssozialisten sonst eher fern, beschrieb den uneitlen Gewerkschafter als | |
attraktives Gegenmodell zu den Alphatier-Politikern. | |
Riexinger, so Ramelow, hatte „keine Ahnung vom Osten“. Doch bei seinen | |
Basistouren zwischen Zwickau und Stralsund seien dem Westimport mit seiner | |
offenen Art „die Herzen der Genossen zugeflogen“. | |
Den Chef der thüringischen Linksfraktion freut auch, dass die Parteiführung | |
„offensiv die Möglichkeit einer Regierungsbeteiligung der Linkspartei in | |
Erfurt unterstützt“. Die Zeiten, als Parteichef Oskar Lafontaine Rot-Rot im | |
Osten unter Generalverdacht stellte und die Westlinke Ostreformer mit engen | |
Haltelinien für Regierungsbeteiligungen einschnürte, sind eher vorbei. Es | |
scheint eine Arbeitsteilung zu geben: Sahra Wagenknecht stimmt im Bundestag | |
das übliche Tremolo gegen Hartz IV, soziale Ungerechtigkeit und | |
Kriegseinsätze an – in den Ländern macht man unbehelligt Realpolitik. | |
Janine Wissler (32) ist Fraktionschefin in Hessen. Dort sind die | |
Linkssozialisten, anders als in NRW und Niedersachsen, noch im Landtag. | |
Wissler kommt aus der neotrotzkistischen Gruppe Marx 21, hat sich aber in | |
den Rot-Rot-Grün-Verhandlungen in Wiesbaden realoartig verhalten. Am Ende | |
waren es die Grünen, die lieber mit der CDU koalieren wollten. Wissler ist | |
eine der wenigen politischen Nachwuchshoffnungen aus dem Westen. | |
Sie ist jung, rhetorisch geschickt, kann radikal und pragmatisch. In Berlin | |
wird sie, neben Caren Lay, zur Vizechefin gewählt. „Katja Kipping und Bernd | |
Riexinger haben die Partei befriedet“, sagt sie. Und: „Die Basis ist | |
zufrieden mit der Spitze.“ Also alles in bester Ordnung? | |
Vier. Diese Zahl beschreibt ziemlich genau, wo die Partei steht. Silvester | |
2013 gab es 63.756 Genossen, genau 4 mehr als ein Jahr zuvor. Der | |
drastische Mitgliederschwund seit 2009 ist gestoppt. Aber so recht voran | |
geht es auch nicht. | |
Der Parteitag wird Kipping und Riexinger mit gutem Ergebnis bestätigen. Das | |
ist sicher – und Lohn für die moderate Art des Führungsduos. Nach dem | |
Göttinger Parteitag 2012, als Gregor Gysi von „Hass in der Fraktion“ | |
sprach, sehnten sich viele nach Ruhe. Zweifel an ihnen gibt es nur hinter | |
vorgehaltener Hand. „Kipping ist nicht immer Teamspielerin“, grummelt ein | |
Ostrealo. | |
## Ratsfraktionen zerfallen | |
Wie erfolgreich die Linkspartei in den letzten zwei Jahren war, ist | |
Ansichtssache. Von Göttingen aus gesehen sieht die Bilanz rosig aus. Doch | |
die Partei hat seit zwei Jahren bei jeder Wahl Stimmen und Prozente | |
verloren. In den großen Flächenländer im Westen ist man mit deprimierenden | |
Resultaten aus den Landtagen geflogen. | |
Der Zustrom enttäuschter SPD-Leute zur Linkspartei ist längst versiegt – | |
heute wechseln frustrierte GenossInnen eher zur Sozialdemokratie. Die | |
Exfraktionschefin in Düsseldorf, Bärbel Beuermann, ist kürzlich in die SPD | |
eingetreten. In etlichen Kommunen im Westen sind Ratsfraktionen zerfallen. | |
Ein Rezept der Parteiführung dagegen, klagt ein Genosse, sei „nicht zu | |
erkennen“. Politisch steht die Partei 2014 im Niemandsland. Der | |
Mindestlohn, auf den Gysi & Co. das politische Copyright haben, setzt | |
inzwischen die Große Koalition um. Ein Erfolg. Doch eine ähnlich populäre | |
Idee mit Langzeitwirkung fehlt den GenossInnen derzeit. Und eine | |
Machtperspektive auch. Um Rot-Rot-Grün für 2017 aktiv zu forcieren, ist die | |
Partei innerlich zu zerrissen. Anti-SPD steht noch immer auf ihrer | |
Geburtsurkunde im Westen. | |
Riexinger und Kipping haben zwar die in heiserem Erregungston vorgetragenen | |
Verratsvorwürfe Richtung SPD erfreulich gedrosselt. Doch in kleinteiliger | |
Arbeit ein rot-rot-grünes Politprojekt anzuschieben, dazu reicht es nicht. | |
Die Parteilinke hat auch keine Idee und tut, was sie immer macht: auf | |
soziale Protestbewegungen warten. | |
## Gregor und die sieben Zwerge | |
So halten Kipping und Riexinger zwar die noch immer von Strömungen und | |
West-Ost-Logik regierte Partei zusammen. Doch der Konsens hat auch | |
Schattenseiten. Als es galt, SpitzengenossInnen für den Bundestagwahlkampf | |
2013 zu finden, wählte man die einfachste Lösung: Die Partei trat mit acht | |
Spitzenkandidaten an (Parteispott: Gregor und die sieben Zwerge), an deren | |
Namen sich heute niemand mehr so recht erinnern kann. Kipping zitiert gerne | |
als Vorbild den italienischen Linksintellektuellen Antonio Gramsci, dem | |
zufolge es nicht um Herrschaft, sondern um Führung geht. Doch manches | |
erinnert bei dem Linksparteiduo eher an Angela Merkels „Sowohl als auch“. | |
Für den Parteitag in Berlin wollen drei Männer für den Job des | |
Vizevorsitzenden kandidieren. Dominic Heilig, 35, Ostpragmatiker und | |
Pendant zu Janine Wissler. Bis 2017, fordert Heilig, müsse „unsere Politik | |
genauer und anschlussfähiger werden“. Es reiche nicht, den Stopp von | |
Rüstungsexporten zu fordern. „Wir müssen, möglichst zusammen mit den | |
Gewerkschaften, Konversionsprogramme für die Rüstungsindustrie entwickeln.“ | |
Neben ihm wollen der zentristische Wirtschaftsexperte Axel Troost, der den | |
Posten bereits bekleidet, und der Friedensaktivist und linke Flügelmann | |
Tobias Pflüger auf dem Stuhl des zweiten Vizes Platz nehmen. werden. | |
Pflüger gehört zur Antikapitalistischen Linken (AKL). | |
Damit steht, aller Konsensrhetorik zum Trotz, mal wieder eine | |
Kampfabstimmung zwischen den Flügeln auf der Tagesordnung. | |
10 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Stefan Reinecke | |
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