# taz.de -- Ex-Guerillera über Frieden in Kolumbien: „Man weiß nicht, wie e… | |
> Die Verhandlungen zwischen Farc und Regierung sind zäh, aber so viel | |
> besser als Krieg, findet die frühere Guerillakämpferin Vera Grabe. | |
Bild: Studentenprotest anlässlich des 50. Jahrestages der FARC-Gründung. | |
taz: Frau Grabe, am Sonntag findet in Kolumbien die Präsidentschaftswahl | |
statt. Gleichzeitig laufen in Havanna nach wie vor die | |
Friedensverhandlungen zwischen der Regierung und der Farc-Guerilla. Wie | |
beurteilen Sie Stand und Perspektiven? | |
Vera Grabe: Es gibt klare Fortschritte im Friedensprozess. Drei Themen sind | |
inzwischen ausverhandelt: Landwirtschaft, Partizipation, Drogenpolitik. | |
Manche halten die Verhandlungen für sehr zäh. Aber wie kann man glauben, | |
dass in einem so komplexen Land mit einer so langen Geschichte des | |
bewaffneten Konflikts etwas in kurzer Zeit erreicht werden könnte? Und die | |
Farc wollte auch das Ergebnis der Wahlen abwarten, um zu sehen, ob | |
Präsident Santos überhaupt Gelegenheit hat, den Prozess fortzuführen. | |
Und, gewinnt Santos am Sonntag? | |
Das weiß nur die Kristallkugel, die Umfragen gehen auf und ab. | |
Sie haben 1990 als Mitglied der damaligen Guerilla M-19 an den | |
Friedensverhandlungen teilgenommen. Sind die Verhandlungen von damals und | |
heute vergleichbar? | |
Die M-19 hatte ein anderes Konzept, sie ist ja nicht zuletzt aus Kritik an | |
der Farc entstanden. Wir waren irgendwann überzeugt, dass der bewaffnete | |
Kampf keine revolutionäre Option mehr war. Die Farc kommen allmählich zu | |
einem ähnlichen Schluss, aber noch nicht so eindeutig. Und: In den 90er | |
Jahren genoss die Guerilla viel Sympathie. Die Farc heute hat ihre | |
Legitimität aufgebraucht. | |
M-19 existierte damals noch nicht so lange – die Farc kämpft seit 50 | |
Jahren. Was heißt das für die Bereitschaft, die Waffen niederzulegen? | |
In der Farc gibt es eine gewachsene Guerillamentalität, eine Kultur, die | |
sie extrem geprägt hat. Ein Friedensprozess bedeutet einen totalen | |
Mentalitätswandel. Das ist schwierig, wenn man so viele Jahre des Kampfes | |
hinter sich hat. Da gibt es eine eigene Geschichte, Traditionen, denen es | |
treu zu bleiben gilt. Das wiegt schwer. | |
Der nicaraguanische Schriftsteller Sergio Ramírez hat in seinen | |
Erinnerungen an die Revolution geschrieben, dass die Guerilla das Gedenken | |
an die Toten als Verpflichtung zum Weiterkämpfen verstand. Auch die M-19 | |
hatte ihre Toten. Wie lief das bei Ihnen? | |
Jede militärische Struktur hat ihre Märtyrer. Die M-19 hat damals damit | |
gebrochen. Wir haben zwar das Andenken hochgehalten, aber auch gesagt: Die | |
Revolution ist ein Fest! Wir können nicht in der Vergangenheit | |
steckenbleiben! Auch die Ermordung Pizarros … | |
… Carlos Pizarro, der M-19-Kommandant, der den Frieden aushandelte, für die | |
Präsidentschaft kandidierte und 1990 umgebracht wurde … | |
… auch seinen Tod haben wir nicht zum Anlass genommen, um uns wieder zu | |
bewaffnen, sondern als Aufforderung, den Friedensprozess fortzusetzen. Die | |
Toten wiegen schwer, aber sie dürfen dem Frieden nicht entgegenstehen. | |
Pizarro war offensichtlich sehr wichtig, um die M-19 hinter den | |
Friedensprozess zu bringen? | |
Pizarro hatte den großen Vorteil, dass er ein großer militärischer Führer | |
war, er verstand das Kriegshandwerk. Als er verkündete, dass der Krieg | |
nicht mehr die richtige Option sei, hatte das enormes Gewicht. Das heißt | |
nicht, dass es darüber keine internen Diskussionen gab. Gerade wir | |
städtischen Kader hatten große Zweifel. Wie bitte, wir sollen die Waffen | |
niederlegen? Wie kommt er darauf? Doch Pizarro hatte Autorität und er war | |
ein guter Pädagoge. Er konnte uns den Frieden schmackhaft machen. | |
Stellen wir uns vor, Sie seien heute Kommandantin der Farc … | |
Oh Gott! (lacht und schüttelt sich) | |
Wenn die Farc sich heute anschauen, was vom Friedensprozess der M-19 übrig | |
ist, dann sehen sie: Viele ermordete Exguerilleros, eine sozioökonomische | |
Situation, in der sich trotz der damals verabschiedeten neuen Verfassung | |
fast nichts verändert hat. Warum vertrauen sie darauf, dass ein Abkommen | |
auch umgesetzt wird? | |
Friedensprozesse sind eine Wette, man weiß nicht, wie es ausgeht. Es gibt | |
nicht „den Frieden“. Es gibt einen Frieden. Wenn dieser es schafft, in | |
einigen Bereichen Verbesserungen zu erreichen – wundervoll! Aber das | |
braucht Zeit. Deshalb mag ich das Wort „Post-Konflikt“ nicht. Das klingt | |
so, als ob man heute was unterschreibt, und morgen sind wir in der Ära des | |
„Post-Konflikts“. Das geht so nicht, es ist eine Zeit des Übergangs. Und es | |
ist besser als Krieg. | |
Seit Beginn der Verhandlungen haben sich die Organisationen der | |
Zivilgesellschaft darum bemüht, sich innerhalb des Prozesses Gehör zu | |
verschaffen. Trotzdem bleiben sie formell ausgeschlossen. | |
Stimmt. Die Themen sind auch unsere Themen, aber wir sind nicht | |
repräsentiert. Aber die pure Existenz des Prozesses, das Wissen um die | |
Themen, die da verhandelt werden, hat eine Dynamik in Gang gesetzt. Der | |
Friedensprozess gibt Impulse. | |
Welche? | |
Es gibt Gruppen, die sich aktiv um Versöhnung bemühen und Treffen ansetzen. | |
Über das Thema der Opfer gibt es unzählige Diskussionen, die vorher kaum | |
möglich waren. Enttäuschend sind die Medien: Ein Friedensprozess müsste mit | |
einer Friedenspädagogik einhergehen, bei der sie eine wichtige Rolle | |
spielen, doch das tun sie nicht. | |
Dabei steht am Ende doch ein Referendum, in dem das Ergebnis der | |
Verhandlungen bestätigt werden muss. Kann das dann überhaupt Erfolg haben? | |
Die Onlineforen der Zeitungen strotzen nur so vor Hass. | |
Und doch gibt es auch Fortschritte. Vor ein paar Jahren galt man schon als | |
Terrorist, wenn man das Wort „Frieden“ nur in den Mund nahm. Heute spricht | |
der Präsident davon. | |
Wenn Sie heute ehemalige Compañeros aus der M-19 treffen – gibt es dann | |
welche, die sagen, Vera, das war alles ein Riesenfehler? | |
Es gibt welche, die den Krieg idealisieren und kritisieren, was im Frieden | |
alles passiert ist. Ja, wir fühlten uns als große Gemeinschaft von Helden. | |
Aber wir dürfen doch nicht vergessen, wie viel Leid der Krieg verursacht! | |
Man kann den Frieden nicht nur daran bewerten, wie viele Abgeordnete aus | |
der M-19 kommen. Das hieße, die militärische Logik von Sieg oder Niederlage | |
beizubehalten. Ja, der Frieden birgt Risiken, er ist auch riskant. Aber er | |
ist so viel besser! | |
23 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernd Pickert | |
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