# taz.de -- Ein Jahr Hilfe für Lampedusa-Flüchtlinge: Mehr als eine Küche | |
> Im Zongo, einem auch „Kitchen“ genannten Ort in Altona, gibt es | |
> kostenloses Essen, Kleidung und Unterhaltung für alle afrikanischen | |
> Flüchtlinge in der Stadt. | |
Bild: Viel Solidarität mit den Flüchtlingen: Unterstützer in Hamburg. | |
HAMBURG taz | Von außen ist nicht viel zu erkennen. Das schmutzig-beige | |
Gebäude liegt versteckt hinter Hecken und dem Maschendrahtzaun eines | |
Bauspielplatzes am Ende einer kleinen Auffahrt, zurückgesetzt von der viel | |
befahrenen Hauptstraße. Eigentlich deutet nur die Musik, die aus der weit | |
geöffneten Eingangstür dringt, darauf hin, das sich hier eine besondere | |
Einrichtung befindet: Das Zongo – eine Art kombiniertes Ruhe-, Aufenthalts- | |
und Versorgungszentrum für afrikanische Flüchtlinge – liegt am westlichen | |
Ende der Reeperbahn. | |
Drinnen sitzen ein paar Leute auf einem zusammengewürfelten Sammelsurium | |
aus abgewetzten Stoffsesseln und einer bläulichen Kunstledergarnitur. Sie | |
schauen auf einen Röhrenfernseher und spielen auf einer Spielekonsole | |
Fußball. Verteilt über den großen, von Neonröhren erleuchteten Raum stehen | |
sieben Bierzeltgarnituren. Auf jedem Tisch befindet sich ein Wasserkrug. An | |
der Wand hängen handgemalte Plakate für ein Kickerturnier. | |
Gleich gegenüber vom Eingang fällt der Blick auf die Küche. Mit ihren | |
Pfannen, Vorräten und zahlreichen Kochplatten ist sie das Herzstück des | |
Raums. Weil hier seit vielen Monaten afrikanische Flüchtlinge versorgt | |
werden, nennen ihn viele einfach „Kitchen“. Davor stehen mehrere | |
Kühlschränke. Auf einem steht eine leere Limonadenflasche mit einem kleinen | |
Blumenstrauß. „Den hat ein Nachbar gebracht“, sagt Nana Asanteewa | |
Asafu-Adjei. Sie ist die Gründerin und Betreiberin des Zongo. | |
Nana Asanteewa ist 37 Jahre alt. Vor fünf Jahren zog die in Frankfurt am | |
Main geborene, alleinerziehende Frau mit ihrer Tochter nach Hamburg. Ihre | |
Eltern kamen aus Ghana nach Deutschland. Seit knapp einem Jahr leitet sie | |
das Zongo. Zu tun gibt es hier genug: Jeden Tag kommen zwischen 80 und 250 | |
Menschen, sagt sie, Geflüchtete aus Nigeria, Ghana, Togo, Burkina Faso, | |
Sierra Leone, Elfenbeinküste, Gambia, Niger, dem Senegal und anderen | |
afrikanischen Ländern. In Hamburg haben sie keine Arbeitserlaubnis und | |
keinen Anspruch auf Hilfe. | |
Um gegen diese Perspektivlosigkeit etwas zu tun, gibt es im Zongo jeden Tag | |
um 19 Uhr eine warme Mahlzeit. Das Zongo ist aber auch eine Anlaufstelle. | |
Alles ist selbst organisiert, vieles mit begrenzten Mitteln improvisiert. | |
Nana Asanteewa ist so etwas wie Chefin und Mädchen für alles zugleich. | |
Inzwischen hat sie ein festes Team, das sie unterstützt. Die meisten sind | |
Flüchtlinge, die ehrenamtlich mithelfen und ihre Übersetzungsfähigkeiten | |
einbringen. Bei der täglichen Hausaufgabenhilfe sind aber auch deutsche | |
Unterstützer dabei. | |
Der Name Zongo steht für Nana Asanteewa für „etwas Zusammengebasteltes“. | |
Eigentlich ist Zongo in Ghana und vielen anderen Ländern Westafrikas die | |
Bezeichnung für die ärmlichen Wohnviertel am Rande der Städte und | |
Gesellschaften. Ein Viertel ohne asphaltierte Straßen und durchgängige | |
Energieversorgung, aber mit einem starken Gefühl des Zusammenhalts. | |
„Es ist eine Gemeinschaft, ein Ort, an dem viele Kulturen zusammenkommen“, | |
sagt Rashid, der den „Laden“ im ersten Stock des Zongo betreut. Bei ihm | |
können sich Besucher kostenlos mit Kleidung, Schuhen oder anderen Dingen | |
versorgen. Alle Sachen, die es hier gibt, sind Spenden. | |
Für den 31-jährigen Ghanaer geht es hier vor allem darum, dass sich hier | |
Afrikaner gegenseitig unterstützen. Rashid bemüht sich, den Raum möglichst | |
wie „eine Boutique“ aussehen zu lassen. Jacken, Hemden und Kleider hängen | |
an Stangen, es gibt auch eine Kabine mit Vorhang, um die Sachen | |
anzuprobieren. | |
Doch das Angebot ist überschaubar. Im Männerbereich hängen lediglich einige | |
wenige Hemden. Die Damenabteilung im hinteren Teil des Raums ist dagegen | |
etwas besser bestückt. Es wird zu wenig gespendet, vor allem | |
Sommerbekleidung ist gerade Mangelware. Auch Zahnbürsten, Zahnpasta, | |
Rasierzeug oder Shampoo werden dringend benötigt. | |
Am Anfang stand bei Nana Asanteewa eigentlich der Wunsch, in Hamburg | |
gestrandeten obdachlosen Afrikanern zu helfen, aus der afrikanischen | |
Community heraus Hilfe zu organisieren – und aus eigenen Stücken eine Art | |
privates Auffangnetz zu knüpfen. Das Kochen ist Asanteewas Leidenschaft und | |
darauf wollte sie sich konzentrieren. | |
Während der Lampedusa-Proteste kam sie dann in Kontakt mit Aktivisten und | |
wurde gefragt, ob sie die Essen-Versorgung mit organisieren könne. Anfangs | |
kochte sie zu Hause und für einige Wochen in der „Teestube“ an der | |
Hamburger Universität. Später dann überzeugte sie die St.-Pauli-Kirche – | |
die einen Teil der Gruppe bei sich aufnahm – von der Idee, einen | |
permanenten Anlauf- und Versorgungspunkt für die Lampedusa-Flüchtlinge | |
einzurichten. | |
In einem alten Gebäude auf dem Gelände der St.-Trinitatis-Kirche an der | |
Königstraße fand sich Platz. Das Haus diente nach dem Krieg als Not-Kirche | |
und stand zuletzt lange Zeit leer. Bis heute ermöglicht die evangelische | |
Kirche in Hamburg, dass es das Zongo gibt. | |
Nana Asanteewa ist inzwischen fest bei ihr angestellt. Die Kirche | |
unterstützt das Projekt nicht nur durch den Raum. Sie vermittelt auch die | |
Spenden und hilft der Einrichtung, über die Runden zu kommen. Zudem bezahlt | |
sie mittlerweile zusätzlich zwei Minijobber – einen jungen Deutschen und | |
einen gelernten Koch aus Jamaika, die das Team zusätzlich unterstützen. | |
„Ohne die St.-Pauli-Kirche, die Nordkirche, die St.-Trinitatis Kiche und | |
den Kirchenkreis Hamburg-Ost könnte das alles hier nicht bestehen“, betont | |
Nana Asanteewa. | |
Zwar steht sie noch immer hinter dem Herd und kocht, aber darüber hinaus | |
haben sich ihre Aufgaben und die des gesamten Teams mit der Zeit erweitert. | |
Längst helfen die Zongo-Mitarbeiter bei der Übersetzung von | |
Behördenschreiben und sie beraten. „Wir tun, was wir können. Aber wir sind | |
keine Profis“, sagt Nana Asanteewa. Manchmal bräuchten ihre Gäste auch nur | |
eine „Schulter zum Ausweinen“. | |
Für das Humanitäre interessierte sich die Zongo-Gründerin von Anfang an | |
mehr als für die Politik. Dabei sei die durchaus wichtig. Schließlich solle | |
es allen besser gehen. Es gebe durchaus Leute, die sie und das Projekt zu | |
mehr politischem Engagement aufforderten, sagt Asanteewa: „Aber das werde | |
ich nicht tun. Das geht am Sinn des Ganzen vorbei.“ | |
Monatelang hielten das Zongo-Team und die St.-Pauli-Kirche die Existenz der | |
Einrichtung unter Verschluss. Nur Eingeweihte wussten von dem Angebot. Das | |
war eine Vorsichtsmaßnahme, zu groß war zwischenzeitlich der Rummel um die | |
Lampedusa-Flüchtlinge in der Stadt. Inzwischen aber haben sich die Zeiten | |
geändert. Sogar eine Facebook-Seite hat das Zongo – in der Hoffnung, so | |
wieder mehr Spenden zu bekommen. Denn die Bereitschaft zum Geben ist längst | |
abgeebbt. Einmal pro Woche bringt die Hamburger Tafel Lebensmittel, weitere | |
regelmäßige Spender fehlen. | |
Anfangs kamen vor allem Mitglieder der Lampedusa-Gruppe ins Zongo. Mit der | |
Zeit fanden auch immer mehr andere Menschen den Weg dorthin. „Ich war | |
erstaunt, wie schnell sich das herumgesprochen hat“, sagt Nana Asanteewa. | |
Heute gehören weniger als die Hälfte der Besucher zu der Gruppe, sagt sie. | |
Es kommen auch Leute, die schon seit Jahren in Deutschland leben. Andere | |
seien als Flüchtlinge über Spanien oder Portugal gekommen. | |
Einer von ihnen ist Chigozie Chukwu. Der 25-jährige Nigerianer trägt eine | |
schwarze Baseball-Mütze, ein rotes T-Shirt und eine blaue Jacke. Er gehört | |
zu den Stammgästen des Zongo. Heute sitzt er am Tisch und lernt Deutsch. | |
Zongo-Gründerin Asanteewa gebe allen hier Kraft, sagt er. Dann erzählt er | |
von seiner Flucht aus Nigeria nach Libyen. Durch die Wüste ist er dabei mit | |
einer Gruppe gezogen, nicht alle hätten überlebt, sagt er. Er habe Menschen | |
sterben sehen. Nach dem Nato-Krieg ging er nach Italien, dort lebte er auf | |
der Straße, musste betteln. | |
Er zieht die Baseball-Mütze vom Kopf und zeigt, wie er sie den Passanten | |
hinhielt. „Buon giorno“, hat er zu ihnen gesagt. Das heißt „guten Tag“… | |
und so habe er die Leute dort um Geld gebeten. Doch die Standorte zum | |
Betteln waren umkämpft. Es zeigt auf eine Narbe auf seinem Kopf. Mit einer | |
Flasche sei er niedergeschlagen worden. Hier im Zongo sei es für ihn | |
dagegen fast „wie im Paradies“. | |
26 May 2014 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Bronst | |
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