| # taz.de -- Prostituierte in Brasilien: „Anschaffen ist kein Verbrechen“ | |
| > Huren wehren sich knapp zwei Wochen vor Beginn der Fußball-WM gegen | |
| > soziale Säuberungen, illegale Einsätze von Polizeikräften und | |
| > Stigmatisierung. | |
| Bild: Protest gegen die Fifa-WM in Rio am Freitag. | |
| NITEROI taz | Halb Modenschau, halb Demonstration. Ein Frauenfußballteam | |
| präsentiert die neueste Kollektion des Modelabels Daspu, genau zehn Tage | |
| vor Anpfiff der WM. „Rotlichtviertel nach Fifa-Standard“, „Ich gebe nur, | |
| was mir gehört“ oder „Prostitution ist kein Verbrechen“ steht auf den | |
| Trikots. Das Gelb und Grün der Nationalelf dominiert das Design. Die Models | |
| sind Huren, sie genießen den Jubel ihrer Fans, während der Zug am | |
| Samstagvormittag durch die Innenstadt von Niteroi zieht, der Nachbarstadt | |
| von Rio de Janeiro. | |
| In dem Gebäude, vor dem die Auftaktkundgebung mit mehreren hundert Leuten | |
| stattfand, führte die Polizei vor gut einer Woche eine Razzia durch. Bei | |
| dem Einsatz wurden 200 Frauen festgenommen und in Bussen aufs Polizeirevier | |
| gebracht. Viele von ihnen wurden von den Beamten geschlagen, begrapscht und | |
| bedroht. Ihre Arbeitsräume wurden zerstört und das Gebäude gesperrt. Einige | |
| Prostituierte erklärten später, sie seien vergewaltigt und beraubt worden. | |
| Als „Teil der urbanen Säuberungen, die aus Anlass der Fußball-WM | |
| ausgeweitet werden“, verurteilte die Aids-NGO Associação Brasileira | |
| Interdisciplinar de Aids (Abia) den „illegalen“ Polizeieinsatz. Die | |
| Demonstranten forderten, das Gebäude wieder freizugeben und die | |
| Diskriminierung der Sexarbeiterinnen zu beenden. | |
| Unterstützt werden die Aktivisten von zahlreichen Organisationen – unter | |
| ihnen die Prostituiertenorganisation Davida, die Teil eines landesweiten | |
| Netzwerks ist. Vor neun Jahren schuf Davida das Label Daspu, mit dem der | |
| Kampf der Prostituierten für ihre Rechte finanziert und sichtbarer gemacht | |
| werden soll. | |
| Der Internationale Tag der Prostituierten (2. Juni) ist nicht nur Anlass | |
| der Modenschau-Demonstration in Niteroi. Auch in Campinas, São Paulo und | |
| Belo Horizonte gehen Huren auf die Straße, in Belém wird es sogar drei | |
| kreative Tage mit Kabarett, Filmen und Konzerten geben. | |
| ## Gesetzentwurf auf Eis | |
| Ein Thema der Veranstaltungen ist der Gesetzentwurf des Abgeordneten Jean | |
| Wyllys von der linken Partei PSOL, mit dem Sexarbeit reguliert werden soll. | |
| Ziel der Initiative ist, den Frauen bessere und sicherere | |
| Arbeitsbedingungen zu garantieren und der Stigmatisierung vorzubeugen. Auch | |
| Polizeiübergriffen wie in Niteroi oder vergangenes Jahr in Campinas wäre | |
| dann ein Riegel vorgeschoben. Doch derzeit liegt ein Entwurf im Parlament | |
| auf Eis – die immer größere evangelikale Fraktion, aber auch die | |
| Konservativen wollen das Thema weiterhin tabuisieren. | |
| Vor der WM sind Prostituierte nicht nur wie Obdachlose oder Straßenhändler | |
| mit sozialen Säuberungen konfrontiert. Neben dem Stigma der Frauen, ein | |
| Schandfleck in der für Touristen aufpolierten Stadt zu sein, wird ihr Beruf | |
| oft mit Kriminalität, sexueller Ausbeutung von Kindern oder Menschenhandel | |
| in Verbindung gebracht. | |
| „Undifferenziert wird von Sexarbeit und Frauenhandel gesprochen und | |
| behauptet, beides würde im Kontext von großen Sportereignissen sprunghaft | |
| ansteigen,“ konstatiert Soraya Simões, Professorin für Stadtplanung an der | |
| Bundesuniversität von Rio de Janeiro. Doch sei Prostitution in Brasilien | |
| legal und vom Arbeitsministerium als Beruf anerkannt. Wie alle anderen | |
| versuchten auch die Prostituierten, von der WM zu profitieren. Es sei ihr | |
| „gutes Recht, zur Arbeit in die WM-Städte zu migrieren, ebenso wie der | |
| Sextourismus in Brasilien aus rechtlicher Sicht legal ist“, argumentiert | |
| Simões. | |
| Die Globale Allianz gegen Frauenhandel (GAATW) wies in einer 2011 | |
| erstellten Studie nach, dass der Zusammenhang zwischen Großereignissen | |
| vornehmlich männlicher Sportarten und einer Zunahme von Frauenhandel oder | |
| erzwungener Prostitution nicht existiert. Bei den | |
| Fußball-Weltmeisterschaften in Deutschland 2006 und Südafrika 2010 erwies | |
| sich die zuvor vor allem in der Presse kolportierte Zahl von 40.000 | |
| gehandelten Frauen als Gerücht, so die Studie. | |
| Bei der mangelnden Unterscheidung von Beruf und Verbrechen handelt es sich | |
| für Simões um eine sexistische Diskriminierung, da zumeist Frauen und ihr | |
| Umgang mit ihrem Körper betroffen seien. Bedenklich sei zudem, dass damit | |
| eine „Kriminalisierung von Migrantinnen einhergeht, an der insbesondere die | |
| Regierungen in den Industriestaaten interessiert“ sei. | |
| Auch die brasilianische Regierung geht bei ihrer Kampagne gegen die | |
| sexuelle Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen anlässlich der WM | |
| undifferenziert vor. Mehrfach warnte Präsidentin Dilma Rousseff vor | |
| Kinderprostitution und Sextourismus. Es sei „gefährlich, die Ausbeutung von | |
| Kindern und die Prostitution von Erwachsenen miteinander zu vermischen“, | |
| kritisiert Roberto Chateaubriand von Davida. Das eine sei eine schwere | |
| Straftat, das andere ein legaler Beruf – egal ob die Freier aus Brasilien | |
| oder aus dem Ausland stammten. | |
| 1 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Andreas Behn | |
| ## TAGS | |
| Brasilien | |
| Prostitution | |
| Fußball-WM 2014 | |
| Protest | |
| Fußball-WM 2014 | |
| Kinderschutz | |
| Südostasien | |
| Prostitution | |
| Terre des Femmes | |
| Fifa | |
| WM 2014 | |
| Fußball-WM 2014 | |
| Protest | |
| WM 2014 | |
| Brasilien | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Recherche zu Kinderprostitution: Anonyme Täter | |
| Eine neue Studie korrigiert das Profil der Straftäter. Er sind nicht die | |
| viel geschmähten Pauschaltouristen, sondern eher Geschäftsreisende. | |
| Pfarrer über deutsche Männer in Thailand: „Denn er ist der Farang“ | |
| Bernhard Liebe ist Pfarrer in Pattaya. Er betreut auch deutsche Männer, die | |
| in Thailand gescheitert sind. Arm und einsam sind sie dann am Schluss. | |
| Sexgewerbe floriert in Südostasien: Das „Epizentrum“ des Sextourismus | |
| Obwohl in Kambodscha, Vietnam, Laos und Thailand Prostitution illegal ist, | |
| wächst der Sextourismus. Die Ordnungshüter schauen weg. | |
| Debatte Prostitution: Schöne neue Sexarbeit-Welt | |
| Prostitution ist ein schmutziges globales Business und kein | |
| Selbstverwirklichungs-Workshop. Haben Linke eigentlich vergessen, was | |
| Systemkritik ist? | |
| Belästigung bei der Arbeitsagentur: Vom Sachbearbeiter missbraucht | |
| Ein Mitarbeiter der Arbeitsagentur fordert zwei Ex-Prostituierte auf | |
| Arbeitssuche zum Sex. Im Oktober muss er sich vor dem Amtsgericht | |
| verantworten. | |
| Kolumne Press-Schlag: Wenn der Fußball sauber wär’ | |
| Ohne Korruption würde es nie eine Weltmeisterschaft 2022 in Katar geben. | |
| Aber auch sonst nirgends, wo man sie haben möchte. | |
| Wissenschaftler über Gewalt in Rio: „Wir leben mit dieser Tragödie“ | |
| Der Politikwissenschaftler und Autor Luiz Eduardo Soares kritisiert die | |
| gewaltsame „Befriedung“ von Favelas in Rio. Der Alltag werde militarisiert. | |
| Fußball-WM in Brasilien: Weltauswahl in Uniform | |
| Polizisten aus aller Welt werden die Fußball-WM in Brasilien überwachen. | |
| Auch Deutschland schickt Beamte – mit ganz speziellen Kenntnissen. | |
| Obdachlose protestieren in Brasilien: In Stadien kann man nicht wohnen | |
| In São Paulo demonstrieren 20.000 Menschen gegen überhöhte Mieten und | |
| Immobilienspekulation. Soziale Organisationen hatten zum Protest | |
| aufgerufen. | |
| Demonstrationen in Brasilien: „Die WM ist absurd“ | |
| Der Aktivist Gustavo Mehl erklärt, warum auch ein erfolgreiches Abschneiden | |
| der Seleção die Proteste in Brasilien nicht dämpfen kann. | |
| Kommentar WM-Aktionstag in Brasilien: Die Aufbruchstimmung ist vorbei | |
| Nur einige Tausende sind in Brasilien auf die Straße gegangen. Zwar ist | |
| ihre Kritik berechtigt, doch so schlecht sind die Zustände im Land nicht. |