# taz.de -- Nach Einigung von Fatah und Hamas: Es muss noch viel passieren | |
> Jahrelang haben die Menschen im Gazastreifen auf eine Aussöhnung gehofft. | |
> Jetzt ist sie da. Es keimt neue Hoffnung auf. | |
Bild: Symbolträchtig: Hinter dem Händedruck schauen diese Kinder im Gazastrei… | |
GAZA taz | „Dies ist das erste Mal, dass wir nicht zusammengeschlagen | |
werden“, jubelt Murad Abu Ghoula. Der Student ist Chef des | |
palästinensischen Jugendparlaments in Gaza. Zusammen mit rund 200 | |
Kommilitonen demonstrierte er vergangene Woche auf dem „Platz des | |
unbekannten Soldaten“ für die Versöhnung zwischen Hamas und Fatah. | |
„Unsere Einheit ist unsere Würde“, steht auf den Flugblättern. Wie die | |
meisten jungen Demonstranten gehört Abu Ghoula zur Fatah. Jetzt soll es | |
endlich ernst werden mit dem Ende der seit sieben Jahren andauernden | |
Spaltung zwischen der Hamas im Gazastreifen und der Fatah im | |
Westjordanland. | |
Über den Chef der Übergangsregierung einigten sich die beiden großen | |
palästinensischen Fraktionen bereits Anfang der Woche. Ministerpräsident | |
Rami Hamdallah, Professor an der Universität von Nablus, wird weiter im Amt | |
bleiben. Die 16 weiteren Ministerposten gehen an Technokraten, bis sechs | |
Monate später allgemeine Wahlen abgehalten werden sollen. „Wir jungen | |
Palästinenser sind am meisten von der Teilung betroffen“, schimpft Abu | |
Ghoula. „Wir haben keine Freiheit, keine Arbeit und das internationale | |
Image der Palästinenser hat einen schweren Schlag erlitten.“ | |
Die Hamas hielt seit den blutigen Auseinandersetzungen im Sommer 2007 in | |
Gaza ein strenges Regime. Politische Kritiker riskierten Haft und | |
körperliche Züchtigung, meist durch Schläge, oft aber auch durch Schüsse in | |
die Beine. „Die letzten Fatah-Häftlinge sind vor ein paar Wochen entlassen | |
worden“, erklärt Hamas-Sprecherin Isra al-Modallal. | |
Seit sechs Monaten ist die Mittzwanzigerin dafür zuständig, das | |
internationale Ansehen der Islamisten im Gazastreifen aufzupolieren. Sie | |
erledigt ihre Aufgabe energisch und mit breitem Yorkshire-Akzent. Die Hamas | |
habe große Flexibilität bewiesen, sagt sie, diesmal meinten es die | |
palästinensischen Islamisten ernst mit der Versöhnung. „Die meisten | |
Minister der Übergangsregierung kommen aus dem Westjordanland.“ | |
## Große Aufgaben | |
Die Verschmelzung der Sicherheitsdienste ist die härteste Nuss im | |
Versöhnungsprozess, aber auch im zivilen Bereich warten große Aufgaben auf | |
die Politiker. Rund 50.000 Angestellte der Palästinensischen | |
Autonomiebehörde (PA) sind nach der Machtübernahme der Hamas in Gaza von | |
Islamisten ersetzt worden. Das alte Personal in Verwaltung und Polizei, die | |
Lehrer und Ärzte arbeiten seit Jahren nicht mehr und beziehen doch weiter | |
Gehalt. „Wir haben allein im Erziehungsbereich 16.000 Mitarbeiter“, sagt | |
die Hamas-Sprecherin, „wenn die Fatah auch so viele hat – oh, mein Gott.“ | |
Für die Zeitungsleser wird spürbar, dass sich zwischen Fatah und Hamas | |
etwas bewegt. Sieben Jahre lang durfte die Al Hayat al Jadida in Gaza nicht | |
verkauft werden. Jetzt ist das Abbas-nahe Blatt zusammen mit zwei weiteren | |
Tageszeitungen wieder auf dem Markt. Chefredakteur Mussa Abu Karish ist | |
aber skeptisch. „Fatah und Hamas gehen nicht aus freien Stücken zusammen“, | |
erklärt er. Beiden Fraktionen sei keine Alternative geblieben, nachdem die | |
Hamas vor dem Bankrott stand und die Fatah mit den Friedensverhandlungen | |
scheiterte. | |
In den Büros der Redaktion stehen nur noch Tische, „den Rest hat unser | |
Vermieter in ein Zimmer geschmissen“, aus Zorn darüber, dass keine Miete | |
mehr einging. „Wir sind sechs Jahre im Rückstand“, sagt Abu Karish und | |
führt in die Kammer, wo kaputte Stühle, Computer, Drucker und alte Akten | |
wild übereinander liegen. Rund 12.000 Dollar veranschlagt Abu Karish für | |
die Anschaffung von Möbeln und elektronischem Equipment. | |
## Neue Mitarbeiter | |
Außerdem müssen neue Mitarbeiter eingestellt werden. Von dem Team, das | |
einst 24 Personen umfasste, sind nur noch fünf Journalisten übrig. Als | |
Angestellte der PA blieben sie auf der Gehaltsliste und arbeiteten von | |
Zuhause aus der Zentralredaktion in Ramallah zu. Der aktuelle Verkauf im | |
gesamten Gazastreifen liege wieder bei 2.500 Exemplaren. „Bis 2007 haben | |
wir zusätzlich die Ministerien mit unserer Zeitung beliefert.“ | |
Der Chefredakteur fürchtet, dass der Versöhnungsprozess jederzeit platzen | |
könne. Dafür spreche, dass „keine der beiden Seiten je die Verantwortung | |
für die Auseinandersetzungen übernommen hat“. Die Spaltung forderte | |
zahlreiche Opfer, die nicht vergessen sind. „Wenn eine Familie genau weiß, | |
wer ihren Sohn umgebracht hat, wird sie sich rächen“, fürchtet Abu Karish. | |
Es sei denn, es werde eine finanzielle Wiedergutmachung gezahlt. | |
Vorläufig traut sich selbst Präsident Abbas nicht in den Gazastreifen aus | |
Sorge vor Übergriffen politischer Gegner. Vor seiner früheren Residenz sind | |
drei Hamas-Wachposten stationiert, die es sich dort mit Feldbett und | |
Feuerstelle gemütlich gemacht haben. Das Haus stehe noch so da, wie Abbas | |
es vor sieben Jahren verlassen hätte, sagt einer der Männer. Neu seien nur | |
die Untermieter – eine Katzenfamilie. | |
3 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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