Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Österreich im Ersten Weltkrieg: Des Herrschers legendäre Schießw…
> Der eine erschlug auf Ceylon einen Drachen, die anderen malten Bilder
> gefallener Soldaten. Ausstellungen und Bücher zu Österreichs Rolle im
> Krieg.
Bild: In Feldherrenpose: Der Thronfolger auf einem Elefanten in Sri Lanka
„Liebe Mutter – ich bin nun 14 Tage Soldat – mir geht es herzlich schlech…
das kannst Du Dir denken.“ Egon Schiele verbarg in einem Brief an seine
Mutter vom 10. Juli 1915 nicht, wie er das Soldatenleben hasste: „Wie lange
wird dieser elende Krieg dauern – es ist ja die schlechteste Lebenszeit,
die je Menschen durchgemacht haben – wozu ist man eigentlich auf der Welt?“
Schiele war keiner der Künstler, die 1914 in einen patriotischen Taumel
fielen. Der unpolitische junge Mann aus Tulln an der Donau war allerdings
anfangs auch kein Pazifist oder ein engagierter Kriegsgegner. Er hatte das
Glück, dass er für den Dienst an der Waffe als untauglich befunden wurde
und konnte seinen Soldatendienst in Verwaltungsstuben in Wien, Mähren und
Prag leisten.
Da er damals als Künstler noch nicht über Kennerkreise hinaus bekannt war,
gelang es ihm nicht, zum ersehnten Dienst im Kriegspressequartier
abkommandiert zu werden. So musste er sich zunächst um kriegsgefangene
Offiziere aus Russland kümmern und nahm die Gelegenheit wahr, diese Männer
zu porträtieren.
Dabei fällt auf, dass er Freund und Feind auf dem Zeichenblock gleich
behandelte. Die erkennbare Empathie gegenüber seinen Studienobjekten wurde
auch erwidert, einige der Porträtierten signierten sogar die Zeichnung.
Erst im Frühjahr 1918 gelang es Schiele, eine Versetzung ins Heeresmuseum
in Wien zu erreichen.
## Bizarr verrenkte Leichen
Die während des Krieges entstandene Bilder und die Briefe bilden einen
zentralen Block der Ausstellung „Trotzdem Kunst“, mit der das Wiener
Leopold Museum das Weltkriegsjubiläum würdigt. Schiele starb kurz nach
Kriegsende an der spanischen Grippe. Oskar Kokoschka und Albin Egger-Lienz
hatten sich freiwillig an die Front gemeldet.
Egger-Lienz sogar mit Begeisterung. Doch die Ernüchterung kam nach wenigen
Monaten. Sie schlug sich in seinen düsteren Bildern von gleichgeschalteten
Soldaten nieder und gipfelte in dem paradigmatischen Gemälde „Finale“, auf
dem Leichen mit bizarr verrenkten Gliedmaßen dargestellt sind.
Die Kulturszene blieb lebendig: 1917, während in Italien gerade die elfte
Isonzo-Schlacht tobte, konnte Josef Hoffmann im damals neutralen Schweden
eine große „Österreichische Kunstausstellung“ organisieren. Sie sollte
einen Überblick über die zeitgenössische Kunst geben, und obwohl mehrere
der Künstler gerade an einer der Kriegsfronten ihr Leben aufs Spiel
setzten, fehlte jeder Bezug zum Weltkrieg.
Ganz auf den Krieg bezogen ist die Ausstellung „An Meine Völker! Der Erste
Weltkrieg 1914–1918“ im Prunksaal der Nationalbibliothek. Urkunden, Briefe,
Plakate und Fotos vom Attentat auf den Thronfolger Franz Ferdinand 1914
dokumentieren die wichtigsten Stationen des Krieges und das langsame
Auseinanderbrechen des Vielvölkerstaats Österreich-Ungarn bis zum
Völkermanifest Kaiser Karls 1918.
## Rein ornamentale Wirkung
Mit der Figur des Thronfolgers Franz Ferdinand befasst sich die Schau
„Franz is here!“ im Weltmuseum (früher: Museum für Völkerkunde), die die
Mitbringsel von dessen Weltreise 1892/93 präsentiert und darüber die Figur
des Thronfolgers plastisch machen will.
Während andere historische Ausstellungen sich mit dem Attentat vom 28. Juni
1914 und dessen fatalen Konsequenzen befassen, versucht das Weltmuseum
einen Einblick in den Charakter des damals noch jungen Erzherzogs zu geben.
Mehr als 10.000 Erinnerungsstücke seiner Reise, die ihn über Ägypten,
Palästina, Ceylon, Indien, Japan, Ozeanien bis nach Kanada und in die USA
führte, gehören dem Museum.
Die Exponate werden so präsentiert, wie sie der Weltreisende selbst in
seinem Privatmuseum der Öffentlichkeit zugänglich machte: ohne Erklärung,
allein auf die ornamentale Wirkung abzielend. Neben Dolchen und Lanzen,
Schilden und Masken, wertvollen chinesischen Malereien und Porzellanvasen
finden sich da auch Teile eines erotischen indischen Tempelreliefs aus dem
12. Jahrhundert und jede Menge Jagdtrophäen.
Eine auf etwa ein Drittel gekürzte Fassung des mehr als 1.100 Seiten
umfassenden Tagebuchs von Franz Ferdinand ist dazu im Wiener Verlag Kremayr
& Scheriau erschienen. Neben seinen Begegnungen mit Potentaten und lokalen
Würdenträgern schildert der Thronfolger vor allem seine Jagderlebnisse, die
den Eindruck vermitteln, er hätte jedes Tier, das auf Schussweite herankam,
in seine Trophäensammlung eingliedern wollen. Die Schießwut Franz
Ferdinands war legendär. Der Tierpräparator Eduard Hodek war im
Dauereinsatz und konnte seine zweite Aufgabe, die fotografische
Dokumentation der Reise, nur unzureichend erfüllen.
## Der „Auswurf der Menschheit“
Franz Ferdinand schoss einen Elefanten auf Ceylon, Tiger in Indien, Affen
in Indonesien, Hirsche in Nepal, Kängurus in Australien, zahllose bunte
Vögel und sogar fliegende Fische und Rochen während der Seefahrt. In
Indonesien bedauerte er, dass die Orang-Utan-Jagd ausfallen musste, da die
Affen sich zu weit weg befanden. Dass er sich einem argloser Waran auf
Ceylon mit einem Prügel näherte „wie Sanct Georg dem Drachen“, mag die
Zeitgenossen beeindruckt haben. Heute wirkt das Erschlagen der Echse wie
ein Akt boshafter Brutalität.
Über die fremden Völker äußerte sich der österreichische Fürst selten
positiv, was auch dem Buch seinen Namen gegeben hat: „Die Eingeborenen
machten keinen sonderlich günstigen Eindruck“. Er neigte zum
Pauschalurteil: „Der misstrauische und hinterlistige Charakter der
Chinesen, ihr sich in crassem Egoismus verzerrendes Wesen und andere ihrer
Eigenschaften machen mir dieses schon äußerlich unsympathische Volk
widerlich, so wenig ich leugne, dass es auch Vorzüge besitzt.“
Mehr Gefallen fand er an den Frauen, vor allem in der Südsee, wo viele „in
paradiesischem Costüme“ herumliefen. Anlässlich einer Gefängnisbesichtigung
auf der Südseeinsel Numea gibt er sich als Anhänger der Lehre von Cesare
Lombardi zu erkennen, der glaubte, den Charakter des Menschen an der
Physiognomie ablesen zu können: „wahre Galgenphysiognomien, von welchen
Verbrechen und Laster herabzulesen waren, verriethe, dass wir dem Auswurfe
der Menschheit gegenüberstanden“.
Stellenweise ist dieses Tagebuch ungewollt komisch; es zeigt einen ganz
anderen Mann als der bei Amalthea erschienene Band „Franz Ferdinand. Die
Biografie“ von Alma Hannig. Die deutsche Historikerin bedient sich zum Teil
unaufgearbeiteter Dokumente, um ein differenziertes Bild des Mannes zu
zeichnen, der sich nie bemüht hatte, vom Volk geliebt zu werden. Aber der
Thronfolger, der in der Öffentlichkeit meist schroff, grantig und in
Uniform auftrat, wird von Freunden, die mit ihm privat verkehrten, als
witziger und lebenslustiger Zeitgenosse geschildert.
## Machtpolitisches Kalkül
Um seine Ehe mit der unebenbürtigen Gräfin Sophie Chotek durchzusetzen, die
er innig geliebt haben muss, nahm er den Bruch mit der Familie und
lebenslange Demütigungen in Kauf. Er provozierte damit selbst diplomatische
Verstimmungen, da auch der deutsche Kaiser fürchtete, die Monarchie könnte
Schaden nehmen. Dass Franz Ferdinand ein überzeugter Kriegsgegner gewesen
sei und einen Waffengang mit Serbien um jeden Preis vermeiden wollte, wie
in älteren Biografien behauptet wird, entlarvt die Autorin als Mythos.
Vielmehr habe der Neffe von Kaiser Franz Joseph schon 1912 einen solchen
Krieg im Interesse Österreich-Ungarns für unvermeidlich gehalten. Nur der
Zeitpunkt erschien ihm noch ungeeignet: „Der Einsatz des Thronfolgers für
den Frieden lässt sich ausschließlich aus seinen machtpolitischen
Überlegungen heraus erklären.“
Franz Ferdinands Rolle für die Weltpolitik wird meist nur im Zusammenhang
mit seiner Ermordung und im Ausbruch des Ersten Weltkriegs gesehen. Nach
Lektüre dieser Biografie findet man einen der am wenigsten erforschten
Habsburger nicht unbedingt sympathischer, doch man ist dem Menschen und
Staatsmann nähergekommen.
## Auslöser ganzer Völkerschlachten
Mit dem Gegenspieler Franz Ferdinands, nämlich dem Attentäter von Sarajevo,
befasst sich der Journalist Gregor Mayer in seinem eben erschienenen Buch
„Verschwörung in Sarajevo“. Gavrilo Princip, ein 19-jähriger
serbisch-bosnischer Schüler, erscheint darin als naiver, idealistischer
Verschwörer, der am Ende seines Lebens in einem österreichischen Kerker
noch stramm zu seiner Tat stand.
Dass er ein Völkerschlachten ausgelöst und den Untergang des Königreichs
Serbien mitverschuldet hatte, nahm er in Kauf. Mayer hat alles, was es zum
kurzen Leben des Gavrilo Princip gibt, aufgearbeitet und macht
verständlich, warum der Verschwörer in Serbien wie ein Held verehrt wird.
Akribisch wird nachgezeichnet, dass zwar nicht die serbische Regierung
hinter dem Attentat steckte, aber immerhin höchste Geheimdienstkreise in
Zusammenarbeit mit dem antihabsburgischen Geheimbund „Schwarze Hand“.
Verschwörungstheorien, dass Österreichs kriegstreiberische Militärs das
Attentat selbst inszeniert hätten, wird eine wohl fundierte Absage erteilt.
20 Jun 2014
## AUTOREN
Ralf Leonhard
## TAGS
Franz Ferdinand
Schwerpunkt Rassismus
Österreich
Nationalismus
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Sarajevo
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
1914
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
Lemberg
Reiseland Österreich
## ARTIKEL ZUM THEMA
Sarajevo und das Weltkriegsjubiläum: Princip spaltet eine Stadt
Die Geschichte wirkt nach: 100 Jahre nach dem Attentat auf den
österreichischen Thronfolger findet Sarajevo kein gemeinsames Gedenken.
Erster Weltkrieg und die EU: Zeit, sich zu erinnern
Dass Krieg in Europa für alle Beteiligten unvorteilhaft ist, war schon 1914
bekannt. Doch damals wie heute gilt: Es gibt keinen Ort ewigen Friedens.
Tagung zum Ersten Weltkrieg: Willkommen zurück im Jahr 1914
Historiker streiten in Belgrad über die Ursachen des „großen Krieges“.
Dabei ist Christopher Clark. Seine Thesen zur serbischen Mitschuld sind
umstritten.
Erster Weltkrieg im Zweiten: Such die Räuberpistole
Zuerst Verschwörungstheorie, dann Dokumentation: Das ZDF widmet sich am
Montagabend dem Attentat, das den Ersten Weltkrieg auslöste.
Erster Weltkrieg und die Ukraine: Die alte Grenze prägt bis heute
Der Westen der Ukraine gehörte bis zum Ersten Weltkrieg den Habsburgern.
Von deren Toleranz profitierten die Kultur – und der Nationalismus.
Wo Österreich slowenisch war: Kärntens ursprünglicher Osten
Trotz Haiders unappetitlicher Anti-Slowenen-Politik: Dass sich in Kärntens
Osten der slawische, der germanische und der romanische Kulturkreis
überlappen, wird zum touristischen Argument. Eine Reise nach Bleiburg und
ins Jauntal
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.