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# taz.de -- Sarajevo und das Weltkriegsjubiläum: Princip spaltet eine Stadt
> Die Geschichte wirkt nach: 100 Jahre nach dem Attentat auf den
> österreichischen Thronfolger findet Sarajevo kein gemeinsames Gedenken.
Bild: Ein bosnischer Schauspieler in Princip-Pose vor einer Statue des Attentä…
SARAJEVO taz | In Sarajevo hat Adnan Smajic eine Teestube. Verwunderlich.
Denn die Bosnier gelten nicht als Teeliebhaber. Und ihr Name – sie heißt
Franz & Sophie – erschließt sich auch nicht vorn selbst. Aber dass
Österreichs Thronfolger Franz-Ferdinand am 28. Juni vor 100 Jahren seiner
Frau nach den dann tödlichen Schüssen ins Ohr flüsterte: „Sopherl, du
darfst nicht sterben, denk doch an die Kinder …“, beeindruckte den Inhaber
Smajic. Dass Franz Ferdinand um die nicht ganz standesgemäße Ehe mit der
Diplomatentochter Gräfin Sophie Chotek von Chotkowa gekämpft hatte,
ebenfalls.
Jetzt steht der ehemalige Arzt, der 1992 aus der serbisch besetzten Stadt
Bijeljina fliehen musste, 100 Meter von der katholischen Kathedrale
entfernt im österreichischen Viertel Sarajevos und bedient die vielen
Kunden. 140 Sorten Tee hat er im Angebot. Und auch seine Geschichtstheorie:
„Die österreichische Zeit bedeutete für Bosnien eine Modernisierung.
Sarajevo hat damals ein neues Gesicht erhalten. Noch vor Wien hatten wir
eine Straßenbahn.“
Wie Smajic denken viele Muslime in Bosnien. Schritt für Schritt gelang es
den österreichisch-ungarischen Behörden, sie für die Doppelmonarchie zu
gewinnen. 1914 war die Mehrheitsbevölkerung Sarajevos aufseiten der
Habsburger. Und sie ist es geblieben.
Doch Bosnien-Herzegowina wäre nicht Bosnien-Herzegowina, wenn der
Attentäter von 1914, Gavrilo Princip, heute nicht hoch umstritten wäre. In
der serbischen Geschichtsschreibung gilt er als patriotischer Partisan; von
diesem Heldenkult will man in den kroatischen und muslimischen Teilen
Bosnien nichts wissen. Auch zum hundertsten Jahrestag des Attentats an
diesem Samstag können sich die zerstrittenen Politiker des Landes nicht zu
einem gemeinsamen Gedenken entschließen. Die Serben werden dem Auftritt der
Wiener Philharmoniker im wiederaufgebauten Rathaus von Sarajevo
fernbleiben. Sie feiern lieber in Emir Kusturicas Ministadt Andricgrad.
## In anarchistischer Tradition
Aber wer war dieser Gavrilo Princip wirklich? Nur ein Werkzeug des
damaligen serbischen Geheimdienstchefs Dragutin Dimitrijevic, der auch die
nationalistische Geheimorganisation „Schwarze Hand“ leitete und die jungen
Attentäter mit Waffen unterstützte, wie der Historiker Christopher Clark
meint. Gregor Meyer sieht das nicht ganz so. Er referiert im Café des
Hotels Hollywood aus seinem eben erschienenen Buch („Verschwörung in
Sarajevo“, St. Pölten, 2014).
Die soziale Motivation spielte auch eine Rolle, sagt der Journalist, der
für eine Historikerkonferenz in der Stadt ist. „Der Attentäter stammte aus
einer kargen Gegend an der kroatischen Grenze. Die Familie war bitterarm.
Gavrilo begeisterte sich für die Ideen der russischen Sozialrevolutionäre,
las Bakunin und war streng antiklerikal.“ Und durch Attentate die Welt zu
verändern entsprach damals der Tradition des Anarchismus.
Auf der Lateinerbrücke ballen sich die Touristen. Hier drückte Princip
seinen Revolver ab. Im Krieg rissen die von Serben belagerten Stadtbewohner
die steinerne Platte mit seinen Fußabdrücken aus dem Trottoir. Passen die
Geschichtsbilder wirklich zu diesem jungen, konfusen, von
anarchosozialistisch-nationalistischen Ideen durchdrungenen Jugendlichen?
Er starb 1918 krank und verzweifelt in österreichischer Haft.
28 Jun 2014
## AUTOREN
Erich Rathfelder
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Sarajevo
Schwerpunkt Erster Weltkrieg
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Franz Ferdinand
1914
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