| # taz.de -- Wo Österreich slowenisch war: Kärntens ursprünglicher Osten | |
| > Trotz Haiders unappetitlicher Anti-Slowenen-Politik: Dass sich in | |
| > Kärntens Osten der slawische, der germanische und der romanische | |
| > Kulturkreis überlappen, wird zum touristischen Argument. Eine Reise nach | |
| > Bleiburg und ins Jauntal | |
| Bild: Am Klopeiner See | |
| Bleiburg ist ein atmosphärischer Ort. Dreh- und Angelpunkt ist die | |
| behagliche Altstadtstraße, die sich im oberen Teil zu einem langgezogenen | |
| Platz weitet. Alles passt hier irgendwie zusammen - die mittelalterliche | |
| Pestsäule, die marmorne Wasserrinne, der moderne Stadtbrunnen der | |
| Pop-Art-Künstlerin Kiki Kogelnik und die aus verschiedensten Stilepochen | |
| zusammengewürfelten Bürgerhäuser. Herausgeputzt wirkt hier nichts, | |
| inszeniert schon gar nicht. | |
| Die Szenerie wirkt auch deshalb so authentisch, weil von Touristen keine | |
| Spur ist. Das Städtchen gehört zwar zum Ferienland Kärnten, hatte an seiner | |
| Erfolgsgeschichte aber keinen Anteil. Die begann in den Zeiten des | |
| deutschen Wirtschaftswunders, als plötzlich auch Arbeiter und Kleinbürger | |
| zu stolzen Autobesitzern geworden waren. Die Seenlandschaft zwischen | |
| Villach und Klagenfurt einen entscheidenden Standortvorteil: Hier konnte | |
| man die deutsche Sehnsucht nach dem Süden befriedigen, ohne ein | |
| fremdsprachiges Ausland betreten zu müssen. Kärnten galt als Verlängerung | |
| der Bundesrepublik in die mediterrane Welt. | |
| Doch kein kleiner Teil der Urlauber aus Bottrop, Castrop-Rauxel und | |
| Offenbach versammelte sich nun genau dort, wo Österreich eigentlich | |
| slowenisch war: am Turner-, Faaker oder Klopeiner See, südlich der Drau | |
| also, der alten Sprachgrenze. | |
| Die überquert man auf der höchsten Eisenbahnbrücke Europas und trifft | |
| zugleich auf die erste zweisprachige Ortstafel. In Dob, dem deutschen Aich, | |
| besteht die Bevölkerung fast zu hundert Prozent aus Kärntnerslowenen. | |
| Trotzdem bekommen Fremde kaum ein slawisches Wort zu hören. Nähert man sich | |
| zwei miteinander plaudernden Dörflern, so kann man sicher sein, dass sie | |
| rechtzeitig auf Deutsch wechseln. Beide Sprachen sind ihnen so vertraut, | |
| dass sie es wohl nicht mal selbst merken, wenn sie sich dem Besucher | |
| anpassen. Von einer kleinen slowenischen Minderheit kann selbst im deutsch | |
| geprägten Städtchen Bleiburg keine Rede sein. Hier gibt es slowenische | |
| Vereine, den Zadruga, einen genossenschaftlichen Landhandel, den Kulturni | |
| Dom, ein slowenisches Kultur- und Veranstaltungshaus, und eben den | |
| Alltagsgebrauch der Sprache. | |
| Dass man seine Ferien im slawischen Kulturraum verbrachte, dürfte den | |
| damaligen Sommerfrischlern verborgen geblieben sein. Es war auch nicht so | |
| leicht zu erkennen, weil es die Kärntnerslowenen lange gewohnt waren, ihre | |
| Herkunft für sich zu behalten. Mit der bajuwarischen Kolonisation hatte die | |
| slawische Urbevölkerung hier schon im 9. Jahrhundert ihre Selbstständigkeit | |
| verloren. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Kaiserreich zerfiel und das | |
| verbleibende Österreich die Assimilierungspolitik verschärfte, galt das | |
| Slowenische oder "Windische" als Makel, dessen man sich schämen zu müssen | |
| meinte. Schließlich stellten die Nazis dann den Gebrauch der Sprache unter | |
| Strafe und vertrieben die wenigen "nichtarischen" Großgrundbesitzer von | |
| ihren Höfen. Spätestens jetzt war es den Slowenen klar geworden, dass es | |
| besser für sie war, keine zu sein. | |
| Der Tourismusboom der Sechzigerjahre hat die flagrante slowenische | |
| Selbstverleugnung noch einmal verstärkt. Die Devisenbringer aus dem Norden | |
| erwarteten nun mal einen vertrauten Sprachraum. Klar, dass man sich der | |
| Kultur der Gäste auch unter rein ökonomischen Gesichtspunkten unterwarf und | |
| mit den eigenen Kindern nur noch deutsch sprach. Wie kaum anderswo auf dem | |
| Globus passten Gäste und Gastgeber also perfekt zueinander: Erstere wollten | |
| aus Angst vor einer allzu fremden Welt im deutschen Sprachraum bleiben, | |
| letztere hatten Angst vor der eigenen, meist slowenischen und stets | |
| bäuerlichen Herkunft. | |
| Zentrum und Inbegriff dieses vermeintlichen Hinterwäldlertums war das | |
| Jauntal, in dessen hinterster Ecke sich Bleiburg versteckt. Nach Osten und | |
| Süden an das damalige Tito-Jugoslawien angrenzend, diente die Region der | |
| Kärntner Tourismusindustrie jahrzehntelang als Pufferzone: Wenn rund um die | |
| Badeseen kein Bett mehr frei war, quartierte man sich zwischen Eberndorf, | |
| Bleiburg und Lavamünd ein, vorübergehend, versteht sich, denn eigentlich | |
| wollte man in die vertraute Welt von Tretbootverleih, Strandcafé und | |
| Minigolfanlage, die fest in deutscher Hand war. | |
| Dass die Region so lange im touristischen Windschatten lag, hat ihr nicht | |
| geschadet. Im Gegenteil. Wer sich in die südlichen Teile des Bezirks | |
| Völkermarkt verirrt, findet die Ursprünglichkeit, die zwischen Klagenfurt | |
| und Spittal längst über Bord gegangen ist. Das von den Karawanken geprägte | |
| Landschaftsbild ist so schön wie im Westen Südkärntens, das Auge bleibt | |
| aber vor Ferienwohnungen im internationalen Heimatstil verschont. In | |
| Bleiburg selbst gibt es nur ein wundervoll restauriertes Uralt-Hotel und | |
| genau vier Zweitwohnungen. Gezählt werden gerade mal 8.000 Übernachtungen | |
| pro Jahr, die meisten stammen allerdings von durchreisenden Monteuren und | |
| Geschäftsleuten. Unglaublich, wenn man weiß, dass allein der Klopeiner See | |
| in Spitzenjahren auf rund eineinhalb Millionen Logiernächte kam. Am meisten | |
| Freude hat, wer diese Terra incognita mit dem Fahrrad durchstreift. | |
| Das Jauntal ist nämlich kein tief eingeschnittenes Tal, sondern eine weite | |
| Ebene, in der man von quälenden Anstiegen verschont bleibt. Inspiriert vom | |
| großen Erfolg des Drauradweges hat man in den letzten beiden Jahren fast | |
| dreihundert Kilometer behaglicher Routen ausgewiesen. Sie führen durch eine | |
| kleinräumige Agrarlandschaft mit herrlichen Blumenwiesen, den typischen | |
| slowenischen Heuharpfen und schwarzbewaldeten Hügeln mit ihren Kapellen. | |
| Rund um Bleiburg, das sich durch rege Kulturinitiativen und die | |
| Werner-Berg-Galerie seit Jahren als Kulturstadt profiliert, wurde jetzt ein | |
| Kunst-Radweg angelegt. Wer will, kann auch mit dem Zug nach Slowenien | |
| hinüberfahren und von Maribor aus den Drauradweg zurückradeln oder einen | |
| Abstecher ins wildromantische Lavanttal machen, das Benediktinerkloster St. | |
| Paul besuchen und von dort über die spektakuläre Jauntalbrücke zurück ins | |
| Bleiburger Land radeln. | |
| Ließe man sie in Frieden, hätten sich die während der Partisanenherrschaft | |
| eskalierten Spannungen zwischen Slowenen und Deutschkärntnern längst | |
| gelegt. Die offizielle Politik schürt jedoch die Konflikte und | |
| instrumentalisiert die doppelte Identität der Region. Volkstribun Haider | |
| versteht es wie kein Landeshauptmann vor ihm, aus der Kärntner Urangst vor | |
| den Slowenen politisches Kapital zu schlagen. Er setzt damit die unselige | |
| Geschichte fort, die 1972 mit dem sogenannten "Ortstafelsturm" begann. | |
| Haiders Vorgänger, Hans Sima, hatte es gewagt, die seit 1955 in der | |
| Verfassung verankerten Minderheitenrechte umzusetzen und 205 zweisprachige | |
| Ortstafeln aufzustellen. Die meisten von ihnen wurden jedoch bereits in der | |
| ersten Nacht oder am nächsten Tag wieder ausgerissen, gelegentlich sogar im | |
| Beisein von Bürgermeister und Gendarmerie. Die Assimilierung war bereits so | |
| weit fortgeschritten, dass selbst viele jener Südkärntner, die zuhause | |
| slowenisch sprachen, nichts von Ortsschildern wissen wollten, die auf die | |
| Existenz einer Minderheit hinweisen. | |
| Inzwischen ist die Bevölkerung das Thema leid, mit dem sich Österreich seit | |
| Jahren in ganz Europa blamiert. "Bis auf wenige Unverbesserliche hat hier | |
| niemand etwas gegen eine zweisprachige Beschilderung", versichert | |
| Bürgermeister Stefan Visotschnig. Er muss jedoch vorsichtig sein. Mit viel | |
| Fingerspitzengefühl unterläuft er die politisch gewollte Polarisierung - | |
| beim traditionellen Wiesenmarkt etwa, dem größten Unterkärntner Volksfest. | |
| Auf den Transparenten, mit denen die rund zehntausend Gäste begrüßt werden, | |
| hat er das althergebrachte "Willkommen in der Grenzstadt Bleiburg" durch | |
| "Benvenuti - willkommen - dobrodoðli" ersetzt. Niemand scheint den | |
| Schachzug bemerkt zu haben. Visotschnig nutzt dabei die Unverdächtigkeit | |
| der sogenannten Alpe-Adria-Initiative - der sich langsam etablierenden | |
| touristischen Zusammenarbeit zwischen Kärnten, Slowenien und Italien. Die | |
| Transparente nur in Deutsch und Slowenisch zu beschriften, wäre nach wie | |
| vor nicht möglich. | |
| Rückendeckung bekommt der zweisprachig aufgewachsene Visotschnig vom neu | |
| gegründeten Tourismusverband "Klopeiner See-Südkärnten GmbH". Für Andreas | |
| Krobath, den Geschäftsführer, sind länderübergreifende Projekte | |
| unverzichtbare Pfeiler der Tourismuspolitik geworden. Er nutzt auch das | |
| Alleinstellungsmerkmal, das die Kärntner Landespolitik aufgrund ihrer | |
| ideologischen Schlagseite hoffnungslos vernachlässigt - die Tatsache, dass | |
| sich genau hier der slawische, der germanische und der romanische | |
| Kulturkreis überlappen. Mit diesem Kurswechsel hat sich Krobath nicht nur | |
| Freunde gemacht. Schließlich fährt er das Gegenmodell zur offiziellen | |
| Kärntner Tourismuswerbung. Die eigentlichen Qualitäten der Region, die | |
| kulturelle Vielfalt und das unverwechselbare Landschaftsbild, | |
| unterbewertend, setzt diese auf das Eventmarketing und verspricht nach wie | |
| vor "Urlaub bei Freunden", klammert sich also an die heimatsüchtigen Gäste | |
| der Vergangenheit. | |
| Krobath hingegen weiß, dass der Kärnten-Gast der Zukunft an aufgesetzter | |
| Gastlichkeit ebenso wenig Interesse hat wie an geheuchelten "Deutschtum". | |
| "Unverfälscht und intensiv" lautet seine neue Werbebotschaft - und sie | |
| scheint Erfolg zu haben. Den weiteren Absturz der Gästezahlen hat er schon | |
| mal stoppen können, im Unterschied zu den meisten Kärntner Regionen. | |
| In der touristischen Realität Südkärntens ist für Ressentiments ohnehin | |
| kein Platz mehr. Statt alemannische Monokultur herrscht hier längst | |
| Multikulturalität, die Gäste aus Deutschland dominieren nicht mehr das | |
| Geschehen, der Anteil der Italiener hat in den letzten Jahren signifikant | |
| zugenommen. Auch aus Ungarn oder Kroatien kommen immer mehr Gäste. Das | |
| Jauntal ist nicht nur deshalb eine Reise wert, weil es eine unverbrauchte | |
| Landschaft präsentiert, sondern auch, weil sie soeben zu der Region wird, | |
| die sie in den letzten hundert Jahren nicht mehr sein durfte: eine Region, | |
| in der Germanen und Slawen friedlich zusammenleben, der Wald Dobrova heißt | |
| und Klagenfurt auch schon mal Celovec genannt wird. | |
| 26 Jan 2008 | |
| ## AUTOREN | |
| Gerhard Fitzthum | |
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