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# taz.de -- Sexuelle Gewalt im Kongo: Systematischer und brutaler Terror
> Im Juli 2010 überfielen FDLR-Angehörige Luvungi. Ein Jahr später sprachen
> die vergewaltigten Frauen des Dorfes erstmals über das Verbrechen.
Bild: Diese Kinder, reflektiert in einer Pfütze, gehören zu den Flüchtlingen…
Diese Reportage über den Terror der FDLR in Ostkongo ist zuerst im Mai 2011
in der taz erschienen. Das eingebundene Video des Fotojournalisten
[1][Yannick Tylle] ist zur selben Zeit in Zusammenarbeit mit Simone
Schlindwein entstanden. Aus Anlass des „Global Summit to End Sexual
Violence in Conflict“ publizieren wir beide hier erneut.
LUVUNGI/MUTOBO taz | Vom Hubschrauber sieht der Dschungel aus wie Broccoli.
Dicht reihen sich die Baumkronen, kaum ein Lichtstrahl dringt hindurch.
Dort, im Regenwald im Osten der Demokratischen Republik Kongo, sind die
Rebellen der ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Demokratische Kräfte zur
Befreiung Ruandas) die Herrscher. Ihr Hauptquartier auf einem Hügel nicht
weit vom Dorf Kimua besteht aus Hütten, versteckt zwischen Palmen. Unter
einem dieser Strohdächer trinkt FDLR-Militärchef General Sylvestre
Mudacumura schon am Nachmittag Bier, während er mit seinen Kommandeuren
Operationen plant. Oberhalb der Siedlung befindet sich das Waffenarsenal,
auf einem anderen Hügel die FDLR-Militärpolizei mit Offiziersschule.
Von diesem Versteck im Dschungel aus regierte die Hutu-Miliz bislang ein
Gebiet, das größer ist als ihr Heimatland Ruanda. Sie kontrollierten die
Minen sowie die wenigen Zugangswege in den Wald - auch die matschige
Straße, die sich von Walikale aus in engen Kurven durch den Dschungel
Richtung Goma windet. Die Dörfer entlang dieser Achse lagen bisher auf
FDLR-Territorium. Seitdem die kongolesische Armee (FARDC) gegen die FDLR
vorgeht, schrumpft deren Gebiet zunehmend. Jetzt bemüht sich die UNO,
Vorposten im Dschungel zu errichten.
Der UN-Hubschrauber landet auf einem Fußballplatz: Bunyampuli, rund 40
Kilometer nördlich des FDLR-Hauptquartiers. Bewaffnete Blauhelme stehen vor
dem Wald. Indische UN-Soldaten laden Benzinkanister aus dem Helikopter auf
einen Lkw. Es muss schnell gehen: Dunkle Regenwolken hängen über den
Bäumen. Die Inder schieben einen rostigen Geländewagen an, bis der Motor
anspringt und sie auf die Ladefläche hüpfen. Quietschend holpert das
Fahrzeug durch die Pfützen ins 3 Kilometer entfernte Dorf Luvungi.
Luvungi liegt im Tal. Lehmhütten mit Strohdächern schmiegen sich an die
Hänge. Dahinter ragt der Regenwald düster in die Höhe. Von dort kamen einst
die FDLR-Rebellen. Dorfvorsteher Livingstone Mbusa-Mbusa erinnert sich
genau. Während er erzählt, blickt er voller Furcht auf die Baumwipfel. Ganz
so, als könnten sie jeden Moment zurückkommen.
## Von Haus zu Haus
Es war dunkel, nach 23 Uhr am 30. Juli 2010. Wie Schatten drangen die
Gestalten in das Dorf ein. Sie gingen von Haus zu Haus, traten die
Holztüren ein, zerrten die Männer auf die Straße. Auch Mbusa-Mbusa stand
dort im Matsch. Von allen Seiten hörte er Rufe: „Ich sterbe, ich sterbe.“
Auch er dachte, „jetzt werden sie uns alle umbringen“. Stattdessen begannen
sie Hühner und Ziegen zusammenzutreiben. Schlachteten das Vieh. Ein Feuer
loderte auf. In einem Laden an der Straße fanden sie Bier und „tranken,
tanzten, sangen“.
Am nächsten Tag musste Mbusa-Mbusa die restlichen Ziegen den Hügel hinauf
in den Dschungel treiben. Einige Rebellen begleiteten ihn, die Kalaschnikow
im Anschlag. „Wenn du davonläufst, kriegen wir dich“, drohten sie ihm. Am
Abend des dritten Tages gelang es ihm, zu entkommen. Am vierten Tag wagte
er sich vorsichtig ins Dorf - die Rebellen waren weg. Doch was sie den
Frauen angetan hatten, lässt die Bewohner bis heute nicht los. 270 Frauen
und Mädchen wurden in den vier Tagen vergewaltigt. Das jüngste Opfer war 2
Jahre alt, das älteste 79.
Dass eine der Frauen jetzt darüber sprechen will - das ist mutig. Ihren
Namen will sie nicht nennen. Zu groß ist die Angst. Sie heißt hier Marie.
Vor dem Angriff hätten die Rebellen ihre Frauen geschickt, berichtet Marie.
Die kauften Seife, bezahlten mit Gold. „Nachdem sie fort waren, fanden wir
einen Brief.“ Wenn ihr Luvungi nicht verlasst, töten wir euch, hieß es
darin. Der Dorfvorsteher berichtete seinen Vorgesetzten in Walikale von der
Drohung. Doch niemand schickte Hilfe.
Marie sitzt in ihrer fensterlosen Hütte. Es ist dunkel. Gewitterwolken
ballen sich über Luvungi. Regentropfen prasseln auf das Dach. Die fünffache
Mutter hat ihr Jüngstes auf dem Schoß. Dass der Embryo die mehrfache
Vergewaltigung überlebte, ist ein Wunder.
Es war spät am Abend, erinnert sich Marie. Sie lag im Bett neben ihrem
Mann. Plötzlich traten uniformierte Männer die Tür ein. „Wir sind gekommen,
um uns um euch zu kümmern“, sagten sie und zerrten Marie an den Haaren aus
dem Bett. Jeder der Männer verging sich an ihr. Ihr Mann musste zusehen.
Sie vergewaltigten auch die 2-jährige Tochter. Die schrie und schrie,
blutete. Dann schleppten die Rebellen Marie in den Busch und vergewaltigten
sie weiter. Nach vier Tagen verschwanden die Rebellen und ließen Marie und
die anderen Frauen im Unterholz zurück. Blutend, ohne Hilfe. „Viele sind an
den Verletzungen gestorben“, sagt Marie.
Sie steht auf und ruft ihre 15-jährige Nachbarin herbei. Regennass, mit
dickem Bauch schlüpft das Mädchen mit vier weiteren Frauen in die Hütte.
Unter Schmerzen setzen sie sich auf eine Couch. Von der Unterleibsinfektion
habe sie sich nie erholt, gesteht das Mädchen. Ob sie die Kindsgeburt
überleben werde, wisse sie nicht. Alle Frauen sind im neunten Monat
schwanger, alle wurden vergewaltigt.
## Straffe Befehlskette
Was in Luvungi geschah, das geschieht in den Wäldern Ostkongos fast jeden
Tag. Seit 16 Jahren, seitdem die ruandischen Hutu-Milizen nach dem
Völkermord an Ruandas Tutsi 1994 in den Kongo flohen und sich dort neu
formierten. Sie begehen diese Taten nicht willkürlich oder wahllos. Es ist
ein systematischer, von FDLR-Anführern befohlener und brutal ausgeführter
Terror.
Die FDLR funktioniert wie eine Exilregierung, verstreut über mehrere
Länder: mit einem gewählten Präsidenten, zwei Stellvertretern und
Kommissaren, die Funktionen ausüben wie Minister eines Kabinetts. Sie
verfügt über eine straff organisierte Armee. Deren Kommandeure sind
Generäle der ehemaligen ruandischen Armee, die den Genozid mit beging und
dann in den Kongo floh. Viele von ihnen wurden einst in europäischen
Militärakademien ausgebildet. Es gibt eine klare Befehlskette.
So auch für die Vergewaltigungen von Luvungi: Der ausführende Kommandeur
vor Ort hört auf den Kriegsnamen Lionceau (Kleiner Löwe), er ist im 2.
Bataillon für die Goldminen zuständig. Als Unteroffizier hat er keine
Befehlsgewalt. Sein Vorgesetzter und Bataillonschef ist Oberstleutnant
Evariste Kanzeguhera alias Sadiki, der wiederum die Befehle aus dem
Militärhauptquartier erhält, wo General Mudacumura das Sagen hat.
Die Spitze der Befehlskette geht aus den 74 Paragrafen der FDLR-Verfassung
hervor. Sie wurde in einem Heft auf kariertem Papier mit sauberer
Handschrift niedergeschrieben. Unterzeichnet hat sie der in Deutschland
lebende FDLR-Präsident Ignace Murwanashyaka am 24. Mai 2005 in Masisi, im
Ostkongo. Entscheidend für die Rolle des Präsidenten ist Paragraf 23: „Die
FDLR ist eine hierarchische Organisation. Die höherstehenden Organe können
die Weisungen an die untergeordneten Organe ändern oder annullieren.“
In Paragraf 24 sind die Aufgaben des Präsidenten festgeschrieben: „Das
Oberkommando der Streitkräfte wahrnehmen“ sowie „nach der Beratung mit dem
Widerstandskomitee den Streitkräften Befehle zu erteilen sowie diese wieder
aufzuheben.“
Murwanashyaka und sein Stellvertreter Straton Musoni wurden am 17. November
2009 in Deutschland verhaftet; am 4. Mai 2011 beginnt in Stuttgart der
Prozess gegen sie. Für die Massenvergewaltigung von Luvungi können sie
nicht angeklagt werden, die geschah erst, als sie schon hinter Gittern
saßen. Es geht insgesamt um die Frage: Kann die deutsche
Generalbundesanwaltschaft nachweisen, dass Murwanashyaka und Musoni von
Deutschland aus über die sogenannte Vorgesetztenverantwortlichkeit für ihre
Kämpfer verfügen und damit für Kriegsverbrechen verantwortlich sind, die
von der FDLR im Kongo begangen wurden?
Vor Gericht werden Loglisten der Telefonverbindungen eine zentrale Rolle
spielen. Diese beweisen: Mudacumura telefonierte von seinem
Satellitentelefon im Hauptquartier bei Kimua regelmäßig mit Murwanashyaka
in Mannheim. Auch SMS und E-Mails schrieben sie sich. Im März 2009 fing die
UNO einen Funkspruch ab, den Mudacumura vom Hauptquartier aus an seine
Bataillone im Feld sendete. Dieser lautete: „Die Bevölkerung angreifen, um
eine humanitäre Katastrophe zu verursachen.“
Das war eine Reaktion auf zunehmende kongolesische Armeeoffensiven gegen
die FDLR. Seit diesem Befehl ereignen sich auf FDLR-Territorium regelmäßig
Massaker, brutale Überfälle und systematische Vergewaltigungen. So auch in
der Nacht vom 9. auf den 10. Mai 2009, als rund 1.500 Häuser im Dorf
Busurungi in Flammen aufgingen.
## Verbrannte Erde
Busurungi ist eine Siedlung zwischen vier Hügeln, 60 Kilometer südöstlich
von Luvungi, tief im FDLR-Gebiet. Satellitenaufnahmen vor und nach dem
Angriff lassen erkennen: Dort, wo einst Umrisse von Hütten zu erkennen
waren, befindet sich nur noch verbrannte Erde.
Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch sowie das kongolesische
Forschungsinstitut Pole haben Überlebende aus Busurungi in Ostkongos
Flüchtlingslagern gefunden. Deutsche Ermittler vernahmen diese Zeugen in
einem Hotelzimmer in der ruandischen Grenzstadt Gisenyi. Laut diesen wurden
in jener Nacht 94 Menschen dort ermordet, darunter mindestens 25 Kinder und
23 Frauen. Einige waren festgebunden worden. „Sie haben ihnen die Kehle
durchgeschnitten wie Hühnern“, berichtet ein Zeuge. Busurungi soll im
Verfahren in Stuttgart eine zentrale Rolle spielen.
## „Ein Haufen wilder Tiere“
Zwei der Täter von Busurungi ist es gelungen, ihrem Kommando zu entkommen.
Jetzt hocken sie jenseits der Vulkane, die Ostkongo von Ruanda trennen, in
einem Camp aus Wellblechhütten in Ruanda: Mutobo, das Auffanglager für
Ex-FDLR-Kämpfer. Nkindi, 32, und Mustafa, 35, dienten im Kongo in der
Reservebrigade, die nahe dem Hauptquartier stationiert ist. Unterleutnant
Nkindi führte in Busurungi einen Zug von 20 Mann, Oberstleutnant Mustafa
hatte eine Kompanie mit rund 100 Mann unter seinem Kommando. Er wurde in
jener Nacht angeschossen. Er stellt fest: „Die FDLR ist wie ein Haufen
wilder Tiere, Verletzte sind nichts mehr wert.“
Vor wenigen Wochen gelang es den beiden, davonzuschleichen. Vor ihrer
Flucht schickten sie Frauen und Kinder nach Ruanda, zur Sicherheit. „Wenn
sie einen schnappen, hacken sie dir den Kopf ab“, erklären sie. Sie
flüchteten nachts, krochen durch das Unterholz, bis sie bei Walikale auf
UN-Blauhelme stießen und sich ergaben. Die UNO brachte sie nach Mutobo.
Hier müssen sie lernen, sich in einem Leben ohne Krieg zurechtzufinden.
Mustafa kramt eine Digitalkamera hervor, liebevoll betrachtet er Fotos
seiner vier Kinder. „Ich wollte sie nicht im Dschungel aufwachsen lassen“,
sagt er. Er hat selbst keinen Schulabschluss. Als der Völkermord 1994 an
den Tutsi begann, war er 17. Wie Millionen Hutu floh auch er in den
Ostkongo, als die Tutsi-Befreiungsarmee unter der Führung des heutigen
Präsidenten Paul Kagame Ruanda eroberte und die Hutu-Milizen in den Kongo
vertrieb. Die formierten sich im Kongo neu. „Ich wurde zwangsrekrutiert“,
sagt er. Er durchlief später im Hauptquartier ein Offizierstraining. Nkindi
hat ein ähnliches Schicksal: Als 19-Jähriger geriet er in einen Hinterhalt.
Die Rebellen verschleppten ihn. Auch er besuchte die Offiziersschule. Artig
schlägt er die Hacken zusammen und salutiert.
Wenn Mustafa und Nkindi über Busurungi sprechen, klingt dies wie aus einem
Militärhandbuch: nüchtern, sachlich, präzise. Aus ihren Berichten wird
deutlich: Es war eine komplexe Operation - mit einer strikten,
übersichtlichen Befehlskette: Militärchef Mudacumura gab den Befehl an den
Kommandeur der Reservebrigade, Oberst Lucien Nzabamwita alias Kalume.
Dieser ernannte Oberstleutnant Wellars Nsengiyumva alias Sirius zum
Einsatzleiter, der auch in jener Nacht des Angriffs vor Ort war und die
Truppen befehligte.
Sirius war Mustafas und Nkindis direkter Vorgesetzter. Er erteilte ihnen
den Befehl: „Erschießt alle, brennt Busurungi nieder!“ Der Grund, erklärt
Nkindi: „Erstens, damit die Bevölkerung fliehen muss. Zweitens, damit die
Soldaten sich nicht verstecken können. Drittens, um die Bevölkerung gegen
die Armee aufzuhetzen, damit sie diese nicht mehr unterstützt.“
Der Angriff auf Busurungi wurde sorgfältig vorbereitet. Bereits am 4. Mai
musste Nkindi das Dorf ausspionieren. Die kongolesischen Soldaten hatten
sich in den Häusern der Bewohner verschanzt, er sah den Armee-Kommandeur in
einer Hütte ein- und ausgehen. Dies berichtete Nkindi Kommandeur Kalume. Am
8. Mai bestellte dieser seine Offiziere ein.
Auch Mustafa war dabei: „An diesem Tag haben wir die Entscheidung zum
Angriff getroffen“, sagt er. Doch um die Operation auzuführen, benötigten
sie eine Genehmigung „von oben“, sagt Mustafa. Kommandeur Kalume erstattete
seinem Chef Mudacumura im Hauptquartier Bericht. Dieser schickte am frühen
Nachmittag des 9. Mai seinem Vorgesetzten in Mannheim, FDLR-Präsident
Ignace Murwanashyaka, vier Textnachrichten. Kurz nach 16 Uhr antwortete
Murwanashyaka.
Zu diesem Zeitpunkt hockten 400 Kämpfer nahe Busurungi im Dschungel.
Nachdem Murwanashyakas SMS eintraf, marschierten sie los, nachts um 2 Uhr
schlugen sie los. „Ein Überraschungsangriff“, erinnert sich Nkindi. „Nach
knapp 20 Minuten Feuergefecht zogen wir uns zurück.“ Im Morgengrauen des
10. Mai stürmten sie das Dorf. „Die Soldaten rannten davon“, sagt Nkindi.
Die Rebellen zündeten die Strohdächer an, das Dorf brannte lichterloh. Sie
töteten jeden, dem nicht die Flucht gelang. „Operationsleiter Sirius stand
in der Dorfmitte und gab die Befehle“, bestätigt Nkindi. Um 6 Uhr rief
dieser zum Rückzug.
All dies ist genau dokumentiert. Für die Frage der
Vorgesetztenverantwortung vor Gericht ist entscheidend: Die Truppen trafen
sich zur Besprechung. Danach funkte Sirius seinen Bericht an Brigadechef
Kalume, der ihn an Mudacumura via Satellitentelefon weitergab. Mudacumura
schickte am nächsten Tag wieder eine SMS nach Deutschland.
Für die Rebellen war der Angriff ein Erfolg, so Nkindi - seitdem
kontrollieren sie wieder das Gebiet. Sechs Monate nach dem Angriff wird
Murwanashyaka am 17. November 2009 in Deutschland verhaftet.
## Oberst im Bayern-Trikot
Murwanashyakas Verhaftung war „der Anfang vom Ende der FDLR“, gesteht
Oberst Dmitrie - einer der höchsten FDLR-Kommandeure, die je den Busch
verlassen haben. Er war einst im Hauptquartier Sekretär des Oberkommandos.
Heute sitzt der große Mann in Mutobo, versteckt seine ergrauten Haare unter
einer Kappe mit Deutschland-Flagge und trägt ein Bayern-München-Trikot:
„Ich liebe Bayern München“ schwärmt er und gesteht: „Viele FDLR-Kämpfer
verfolgen die Bundesliga, weil unser Chef in Deutschland lebt.“
Dmitrie bestätigt: „Jeder einfache Kämpfer kennt den Namen Ignace
Murwanashyaka, sie glauben an ihn.“ Seitdem dieser im Gefängnis sitze, sei
die Kampfmoral dahin. Auch er selbst entschied, zu desertieren. Es war eine
waghalsige Flucht, die er über ein Jahr lang vorbereiten musste. In dieser
Zeit sah er die Führungsstruktur kollabieren. Als am 11. Oktober 2010
schließlich Exekutivsekretär Callixte Mbarushimana in Paris verhaftet und
später an den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag überstellt
wurde, „brach unsere Repräsentanz in Europa endgültig zusammen“, sagt er.
Die FDLR hat sich jetzt eine neue, provisorische Führung gegeben, die nicht
mehr in Europa lebt. Die seit 2010 überfälligen Präsidentschaftswahlen
wurden auf 2016 zu verschoben. „Alle gehen davon aus, dass Murwanashyaka
freigesprochen wird und dann wieder übernehmen kann“, sagt Dmitrie. Daran
mag er selbst aber nicht glauben. „Ich habe eingesehen, dass wir erledigt
sind“, nickt er. Noch nie seien so viele Kämpfer geflohen wie nach der
Verhaftung: Laut UN-Zahlen knapp 1.600. Insgesamt brachte die UNO seit 2002
rund 10.000 ruandische Hutu-Kämpfer aus dem Kongo zurück in ihre Heimat.
Maximal 2.000 sollen noch übrig sein.
Die Militäroperationen zeigen mittlerweile Wirkung. Viermal hat Kongos
Armee das Hauptquartier bei Kimua angegriffen, zuletzt im Januar. Zwar
können sie die Hügel im Urwald nicht halten. Doch immerhin: Mudacumura -
alt, dicklich und Alkoholiker - musste flüchten.
## Auf dem Rückzug
Auf einem Hügel über dem Dorf Luvungi stapft Polizeikommandeur Josephat
Mutayongwa durch sein Camp. Von hier aus lässt sich die Straße überblicken.
Er zeigt auf die Zelte, 93 Polizisten hausen darin auf Feldbetten. Gekocht
wird auf einer Feuerstelle. Ein paar Polizisten werkeln an einem Plumpsklo.
Mutayongwas Einheit ist seit März hier stationiert. Es ist eine
Elitetruppe: Von Polizisten der EU trainiert, mit zwei Fahrzeugen
ausgestattet. Wöchentlich kommt die UNO vorbei - ein ehrgeiziger Versuch,
einen Vorposten im FDLR-Territorium zu halten. Die Polizisten
patrouillieren in den Dschungel hinein, fahren die Straße ab. Am 23. April
wehrten sie einen Hinterhalt der FDLR ab.
Die Polizeipräsenz zeigt Erfolge: Die FDLR hat sich jenseits des
Osa-Flusses zurückgezogen - immerhin sieben Stunden zu Fuß entfernt. Und
die vergewaltigte Marie ist froh, dass sich der FDLR-Chef jetzt vor Gericht
verantworten muss. „Wenn die deutschen Richter noch Opfer benötigen, die
gegen die FDLR aussagen, dann bin ich bereit“, sagt sie.
10 Jun 2014
## LINKS
[1] http://yannick-tylle.de
## AUTOREN
Simone Schlindwein
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Debatte Sexuelle Gewalt: Vergewaltigung als Kriegswaffe
William Hague, britischer Außenminister, berichtet über Vergewaltigungen in
Kriegs- und Krisengebieten. 2011 hat er eine internationale Initiative
gegründet.
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