# taz.de -- Sexuelle Gewalt im Krieg: Leidensweg vor Gericht | |
> Die Ahndung sexueller Gewalt als Kriegsverbrechen steht noch ganz am | |
> Anfang. Auf internationaler Ebene aber gibt es konzeptionell | |
> Fortschritte. | |
Bild: Soldaten, egal wo auf der Welt, dürfen nicht über dem Recht stehen. | |
BERLIN taz | „Ich fiel nach dem zweiten Schlag mit dem Gewehrkolben auf den | |
Rücken. Ein Soldat hat mich vergewaltigt. Dabei hat er seinen Körper | |
benutzt. Ich konnte mich nicht mehr wehren, ich hatte keine Kraft mehr. In | |
diesem Moment habe ich meine Jungfräulichkeit verloren. Als er mich mit dem | |
Gewehr geschlagen hat, kam Blut aus meinem Mund … Ich bin dann | |
weitergegangen und habe die Straße erreicht. Dort traf ich viele andere, | |
die auch gequält worden waren. Auf dem Weg haben wir nicht gesprochen, weil | |
jeder mit seinen Schmerzen beschäftigt war.“ | |
Diese Schilderung einer jungen Frau aus der Demokratischen Republik Kongo | |
beschreibt, was für viele Frauen im Ostkongo Alltag ist: Vergewaltigung | |
durch Bewaffnete, als Maßnahme zum Gefügigmachen der Zivilbevölkerung. Die | |
Täter kamen in diesem Fall mutmaßlich aus der ruandischen Hutu-Miliz FDLR | |
(Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas). Das Bemerkenswerte an dieser | |
Schilderung ist nicht ihr Inhalt, sondern dass sie sich in einem | |
Vernehmungsprotokoll der deutschen Bundesanwaltschaft findet, Teil der | |
Beweisaufnahme im Prozess gegen die beiden politischen FDLR-Führer Ignace | |
Murwanashyaka und Straton Musoni vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. | |
Sexuelle Gewalt als Kriegswaffe ist durch den FDLR-Prozess in Stuttgart, | |
der nun schon seit über drei Jahren läuft, inzwischen Thema auch für die | |
deutsche Justiz. Ein Meilenstein: „Die überwiegende Mehrheit der Opfer | |
erfahren nie Gerechtigkeit und erhalten nie die nötige Unterstützung“, | |
heißt es in der UN-Erklärung zur Beendigung sexueller Gewalt in Konflikten | |
vom September 2013, deren Umsetzung jetzt das offizielle Hauptthema des | |
Londoner Gipfels ist. „Wir müssen die Kultur der Straflosigkeit brechen. Es | |
sollte für Täter keine sicheren Häfen geben.“ | |
Die sicheren Häfen sind bislang meist die Tatorte selbst. In der | |
Demokratischen Republik Kongo, wo nach Meinung von Experten mehr Frauen im | |
Rahmen von Konflikten vergewaltigt worden sind als irgendwo sonst auf der | |
Welt, endete der bisher größte Vergewaltigungsprozess am 5. Mai im | |
ostkongolesischen Goma mit einer Enttäuschung: Von 39 Regierungssoldaten, | |
die auf der Flucht vor Rebellen im November 2012 Hunderte Frauen in der | |
Stadt Minova vergewaltigt hatten, wurden 14 freigesprochen. Von 190 | |
Vergewaltigungsvorwürfen in der Anklage wurden nur zwei aufrechterhalten. | |
## Physische und psychologische Zerstörung | |
Entscheidend vorangebracht hat die Strafverfolgung von sexueller Gewalt als | |
Kriegswaffe nicht die nationale, sondern die internationale Justiz. Seit | |
1977 ist Vergewaltigung unter den Genfer Konventionen als Kriegsverbrechen | |
geächtet. 1998 wurde dies erstmals auch vor Gericht verhandelt, vor den | |
damals neuartigen UN-Kriegsverbrechertribunalen für Exjugoslawien (ICTY) | |
und Ruanda (ICTR). Dabei ging es nicht um die Täter selbst, sondern um | |
deren Befehlsgeber, und nicht um die Gewaltakte selbst, sondern um deren | |
Bedeutung. „Frauen werden als Hüllen missbraucht, um dem Feind eine | |
Botschaft zu senden“, befand die spätere liberianische Präsidentin Ellen | |
Johnson Sirleaf 2002 in einem UN-Bericht. | |
Im ersten Urteil dazu weltweit – 1998 gegen den ruandischen Exbürgermeister | |
Jean-Paul Akayesu – befanden die Richter, dass es bei Vergewaltigung | |
während des ruandischen Völkermords um „die physische und psychologische | |
Zerstörung von Tutsi-Frauen, ihrer Familien und ihrer Gemeinschaft“ | |
gegangen sei. Die im Akayesu-Urteil festgelegte Definition sexueller Gewalt | |
– „jede Handlung sexueller Natur, die unter Zwangsbedingungen gegen eine | |
Person vorgenommen wird“ – ist inzwischen internationaler Standard, | |
wenngleich nicht nationaler. | |
Das Akayesu-Urteil war wegweisend. So wurde Vergewaltigung nicht mehr | |
einfach als „nichteinvernehmlicher Geschlechtsverkehr“ definiert – viele | |
Frauen in Konfliktgebieten wurden und werden ohne Geschlechtsverkehr | |
sexuell gefoltert, durch das Einführen von Gegenständen. Es müsse nicht | |
einmal zur Berührung kommen – viele Frauen in Konfliktgebieten wurden und | |
werden durch Ausziehen und Zurschaustellen entwürdigt. Zwang, so die | |
Ruanda-Richter weiter, kann bereits dann vorliegen, wenn Bewaffnete präsent | |
sind oder „Drohungen, Einschüchterungen, Erpressung oder andere Formen des | |
Drucks, die auf Angst oder Verzweiflung aufbauen“, im Spiel sind. | |
Diese konzeptionellen Fortschritte erleichtern aber nicht automatisch den | |
Kampf gegen Straflosigkeit, denn die Beweisführung bleibt enorm schwierig. | |
Vor allem kann sich die Schwere des Verbrechens zum Nachteil des Opfers | |
auswirken. Wenn eine Frau bestialisch gefoltert wurde und seitdem schwer | |
traumatisiert ist, kann sie vor Gericht dann eine glaubhafte Aussage über | |
die Befehlsgeber der Täter machen? Beim FDLR-Prozess in Stuttgart ist dies | |
so manchen Opfern zum Verhängnis geworden. | |
## Traumatisierung als juristisches Hindernis | |
Zehn anonyme kongolesische Opfer von FDLR-Verbrechen hat die deutsche | |
Anklage aufgeboten, denen teils schwerste sexuelle Gewalt zugefügt wurde. | |
Zu ihrem Schutz schloss das Gericht nicht nur von der Videobefragung die | |
Öffentlichkeit aus – auch die Identität der Opfer blieb allen | |
Prozessbeteiligten und sogar der ermittelnden Staatsanwältin verborgen. So | |
ist es praktisch unmöglich, die Aussagen dieser Opfer zu überprüfen. Einige | |
Punkte der Stuttgarter Anklage, die sich allein auf Opferzeugenaussagen | |
stützen, hat das Gericht daher fallen gelassen. Von den Verteidigern wird | |
wiederum die Erinnerung der Opfer gerade wegen ihrer Traumatisierung | |
angezweifelt. | |
Der Internationale Strafgerichtshof, bei dem seit 2013 erstmals mit der | |
Gambierin Fatou Bensouda eine Frau Chefanklägerin ist, hat nun „die | |
Herausforderungen und Hindernisse der effektiven Untersuchung und | |
Verfolgung sexueller Verbrechen“ zur Priorität für seine Arbeit bis 2015 | |
erklärt. In einem neuen internen Arbeitspapier dazu heißt es, die | |
Anklagebehörde werde bei der Vorbereitung von Ermittlungen „Kontakte und | |
Netzwerke in den Gemeinschaften“ knüpfen und sich beim Ermitteln sexueller | |
Kriegsverbrechen von der untersten Ebene hocharbeiten. Der psychosoziale | |
Zustand möglicher Opfer und Zeugen müsse in allen Stadien des Verfahrens | |
bewertet und berücksichtigt werden. | |
Solche Dinge, so banal sie klingen, sind auf nationaler Ebene, auch in | |
Deutschland, keineswegs selbstverständlich. Anders als beim Internationalen | |
Strafgerichtshof in Den Haag treten die Opfer beim FDLR-Prozess in | |
Stuttgart nicht als Nebenkläger auf, es gibt keine miteinzubeziehenden | |
Opferverbände, keine Berücksichtigung möglicher Entschädigungsansprüche. | |
Kann die eingangs zitierte Aussage überhaupt von den Stuttgarter Richtern | |
berücksichtigt werden? Das ist völlig offen. | |
10 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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