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# taz.de -- Gipfel zu sexueller Gewalt in Konflikten: Endlich kein Randthema me…
> Der Weltgipfel gegen sexuelle Gewalt in Konflikten zeigt: Es geht nicht
> nur um Sexualverbrechen. Sondern um „das Überleben der Menschheit“.
Bild: Verschaffte dem Gipfel zusätzliche Aufmerksamkeit: Schauspielerin Angeli…
LONDON taz | Als am Ende alle in die Schlussveranstaltung zogen, kam
Feststimmung auf. Die Band „Musicians without Borders“ spielte Afrobeat und
kongolesische Töne zu ernsten Texten.
Der Weltgipfel zum Kampf gegen sexuelle Gewalt in Konflikten, der am
Freitag nach vier Tagen in London zu Ende ging, gilt als Erfolg: 155
Staaten haben die Absicht bekundet, sich gegen sexuelle Gewalt zu
engagieren, 123 haben sich zum Protokoll über gemeinsame Standards zur
Dokumentation sexueller Kriegsverbrechen bekannt. „Wir sind stolz darauf,
was wir geleistet haben“, erklärte der britische Außenminister William
Hague: „das internationale Protokoll, Geld für Opfer, nationale Strategien,
Unterstützung für Kinder in Nigeria.“
Deutlich wurde, wie sinnvoll es ist, einen Weltstar wie Angelina Jolie
dabeizuhaben. Trauben von Delegierten umzingelten die Schauspielerin am
Ende, für ein Händeschütteln, ein Selfie oder um einfach Danke zu sagen.
Der zum Gipfelabschluss angereiste US-Außenminister John Kerry betonte in
seiner Ansprache, Hague und Jolie seien „Personen, die den Geschichten von
Überlebenden sexueller Gewalt persönlich nachgegangen sind und wirklich
einen historischen Gipfel zustande gebracht“ hätten. Er nannte den Gipfel
einen „Wendepunkt“. Dann überraschte Kerry das ergriffen lauschende
Auditorium mit einer auswendigen Rezitation des Gedichtes „And Still I
Rise“ der kürzlich verstorbenen Schriftstellerin Maya Angelou, die ihre
Position als Opfer sexueller Gewalt in eine Stärke verwandelte.
Doch kaum jemand erhielt so viel Applaus wie der Kongolese Denis Mukwege,
Gründer des Panzi-Krankenhauses in Bukavu, eines der wichtigsten Zentren
zur Behandlung von Opfern sexueller Gewaltverbrechen im Kongo. „Oft
verlieren wir die Hoffnung, wenn wir versuchen, menschliche Körper zu
reparieren, die durch nichts anderes als menschliche Dummheit zerstört
worden sind“, bekannte er. Es gehe nicht um den Kampf gegen
Sexualverbrechen, sondern es sei „ein Kampf für das Überleben der
Menschheit“.
## Ideen in die Tat umsetzen
Die interdisziplinären Aufnahmezentren für angereiste, teils entsetzlich
zugerichtete Frauen im Panzi-Krankenhaus gelten jetzt als internationales
Vorbild. Beim Gipfel ging es vor allem darum, Erfahrungen auszutauschen und
dafür zu sorgen, Ideen in Taten umzusetzen.
Für diejenigen, die sich schon lange mit dem Thema beschäftigen, war die
hochrangige Aufmerksamkeit Genugtuung. „Konfliktbezogene Vergewaltigung ist
kein Randthema mehr!“ – mit diesem Satz begann die aus Sierra Leone
stammende UN-Sonderbeauftragte für sexuelle Gewalt in Konflikten, Zainab
Bangura, ihre Ansprache in London. Für dieses Verbrechen gäbe es nun weder
Amnestie noch Vergebung und auch nicht die Ausrede, es sei Privatsache.
Opfer sexueller Gewalt seien heute nicht mehr „Opfer zweiter Klasse“, sie
müssten nicht mehr mit dem Stigma des Schweigens leben.
Das und die bessere juristische Verfolgung sexueller Straftaten ist nicht
nur für die Betroffenen wichtig, sondern auch für Gesellschaften insgesamt.
In einer Besprechung zum Thema der Dokumentation solcher Verbrechen durch
Videoaufnahmen wurde das Beispiel der Shoah Foundation, welche die Aussagen
50.000 Überlebender der Schoah und auch anderer Konfliktherde wie in
Bosnien-Herzegowina und Guatemala dokumentiert hat, analysiert. Dabei
stellte sich heraus, dass unerwarteterweise in 2.000 der Videos von
Holocaust-Überlebenden sexuelle Gewalterfahrungen vorkommen:
Zwangsprostitution in Auschwitz-Birkenau, trotz der nationalsozialistischen
Rassengesetze. Einige dieser Aussagen wurden erst 70 Jahre nach den
Gewalttaten erstmals gemacht. In Bosnien dauerte es teilweise 15 Jahre, bis
Frauen über das sprachen, was ihnen widerfahren ist.
Schamgefühle und Angst vor Konsequenzen seien Gründe dafür, sagte Karen
Jungblut, Direktorin der Shoah Foundation. Zainab Bangura stellte daraufhin
fest, dass die Reparationen für Opfer im sierra-leonischen Bürgerkrieg wohl
viel zu früh festgesetzt wurden. „Jetzt erst merken wir, wie viele weitere
Opfer es gab, insbesondere Opfer solcher sexueller Gewalt. Doch die
Auszahlungen in Sierra Leone sind bereits abgeschlossen“, sagte sie.
## Nicht nur für Opfer wichtig
Nicht nur in Sierra Leone muss eventuell die Aufarbeitung vergangener
Konflikte umgeschrieben werden. Doch, und dieser Spruch hallte oft durch
die Säle des Gipfels, gerade das Protokoll soll dies ändern und die Bürde
des Verbrechens durch globale Standards in der juristischen und
medizinischen Erfassung „von den Opfern auf die Täter verschieben“.
Für Bangura bedeutet das Protokoll vor allem eins, und sie sprach die Täter
direkt an: „Wenn Sie ein Sexualverbrechen begehen oder solches unter Ihrem
Kommando geschieht, dann werden wir Ihnen nachsetzen. Es wird kein Versteck
geben!“ Außerdem: Das Protokoll dient der Gerechtigkeit und der
Aufarbeitung des Geschehenen – genauso intensiv müsse an Prävention
gearbeitet werden. In der Erziehungsarbeit seien aufgenommene
Zeugenaussagen ganz wichtig, damit junge Generationen aus den Fehlern und
Verbrechen der Alten lernen.
Aber nicht alle sind zufrieden. Zynab Binta Senesie aus Sierra Leone ist
sich nicht sicher, ob dieser Gipfel etwas ändern wird. „Mein Land
verzeichnet seit dem Bürgerkrieg ein Wachstum der sexuellen Gewalt“, sagt
sie und äußert die Befürchtung: „Genaugenommen geschieht das nicht im
Konflikt, sondern nach dem Konflikt, also wird das Protokoll nicht direkt
anwendbar sein.“
Sierra Leones Bürgerkrieg ist seit 2002 vorbei. Senesie findet, dass es
dennoch ein gutes Arbeitsprotokoll ist, weil es vorher gar keines gab.
Jedoch: „Wir haben zwar Gesetze, aber niemanden, der sie anwenden kann. Es
fehlen Gerichte und Krankenhäuser. Die ehemaligen Täter des Bürgerkrieges
haben 100 Dollar pro abgegebene Schusswaffe erhalten sowie psychologische
Behandlungen. Frauen, die wiederholt vergewaltigt wurden, erhielten gar
nichts.“
Jane Odwong Akwero von der Fraueninitiative für Geschlechtergerechtigkeit
in Uganda sprach von ähnlichen Szenarien, wo mehr Hilfe an ehemalige
Rebellen der „Lord’s Resistance Army“ (LRA) kam als an die Opfer sexueller
Gewalt. Ugandas Regierungsversprechen eines Planes mit konkreten Maßnahmen
für Opfer nennt sie „eine Fantasie“. Die einzige Hoffnung käme vom
UN-Kinderhilfswerk Unicef und vom Opferfonds des Internationalen
Strafgerichtshofs.
Aus Anlass des Gipfels hat Großbritannien die Zuschüsse an diesen Fonds von
2 auf 3 Millionen Pfund erhöht. Er muss sich allerdings erst noch bewähren,
wie seine Programmleiterin Kristin Kalla zugibt – denn noch laufen
Einsprüche gegen die zwei Präzedenzurteile, mit denen kongolesischen Opfern
Reparationen zugesprochen wurden.
13 Jun 2014
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
## TAGS
Sexuelle Gewalt
Krieg
Angelina Jolie
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