# taz.de -- Der Absturz aus Christian Wulffs Sicht: „Es war eine Jagd“ | |
> Der Ex-Bundespräsident wirft dem Bild-Chef vor, ihn aus Ehrgeiz zum | |
> Abschuss freigegeben zu haben. Wulffs Buch liefert erhellende Einblicke | |
> in den Medienbetrieb. | |
Bild: Ex-Bundespräsident Christian Wulff präsentiert sein neues Werk. | |
BERLIN taz | Eigentlich will Christian Wulff jetzt gehen. Er steht im Foyer | |
der Bundespressekonferenz zwischen einem Dutzend Kameraleute, er hat | |
mehrere Mikrophone vor der Nase und einen Schweißtropfen über dem Auge. | |
Gerade hat er eine Stunde lang in einem überhitzten Saal sein neues Buch | |
beworben, alles ist gesagt. | |
Aber dieser eine Punkt ist ihm besonders wichtig. „Doch. Es war eine Jagd“, | |
sagt Wulff und schaut dem Reporter in die Augen. „Viele Journalisten haben | |
sich ja selbst als Teil einer Jagdgesellschaft empfunden.“ Dann dreht er | |
sich um und geht. | |
Christian Wulff ist so tief gestürzt wie kaum ein anderer Politiker. Er war | |
gefeierter Ministerpräsident in Niedersachsen, er war ein möglicher | |
Nachfolger von Angela Merkel, dann war er Bundespräsident. Genau 598 Tage | |
lang. Bis die Bild-Zeitung im Dezember 2011 schrieb, dass Wulff von einem | |
befreundeten Unternehmer 500.000 Euro für den Kauf seines Hauses in | |
Großburgwedel geliehen hatte. Ein Freundschaftsangebot, mit sehr niedrigen | |
Zinsen. | |
In den Wochen danach war Wulff täglich in den Schlagzeilen. Medien | |
krempelten sein ganzes Privatleben um. Angeführt von Bild und Spiegel | |
durchforsteten Journalisten Wulffs Vergangenheit. Ein Anwalt, den Wulff mit | |
seiner Pressearbeit beauftragt hatte, beantwortete längliche Fragebögen, | |
die intime Details forderten. Tag für Tag, Woche für Woche. | |
Es kam viel heraus, was Wulff in ein unschönes Licht rückte. Er bezeichnete | |
den besagten Unternehmer Egon Geerkens als väterlichen Freund. Er sagte im | |
niedersächsischen Landtag nicht die ganze Wahrheit, als er nach | |
geschäftlichen Beziehungen zu Geerkens gefragt wurde. Er sprach dem | |
Bild-Chefredakteur Kai Diekmann auf die Mailbox, wohl auch, um den | |
kritischen Bericht zu stoppen. Er machte mit seiner damaligen Frau Bettina | |
gerne Gratisurlaube bei wohlhabenden Freunden. | |
Wichtiges mischte sich in der Berichterstattung mit Unwichtigem, manche | |
Journalisten verloren im Eifer des Gefechts alle Maßstäbe. Das wohl | |
berühmteste Beispiel ist das Bobbycar. Ein geschenktes Plastikspielzeug für | |
Wulffs Sohn, das von einer Zeitung zum vermeintlichen Skandal hochgejazzt | |
wurde. | |
Die Frage an diesem Nachmittag in der Bundespressekonferenz ist: Was denkt | |
Wulff heute über seinen Rücktritt? Wem gibt er die Schuld? Wie schaut er | |
auf die zwei Monate zurück, in denen die Affäre fast alle Medien der | |
Republik beschäftigte? | |
## „Die letzte Kugel“ | |
Auf über 250 Seiten hat Wulff seine Sicht der Dinge aufgeschrieben. Der | |
Titel des im C. H. Beck-Verlag erschienenden Werks lautet: „Ganz oben. Ganz | |
unten.“ Schon die Kapitelüberschriften weisen darauf hin, dass sich Wulff | |
als Opfer einer medialen Inszenierung sieht. „Die Jagd“, heißt eines, „D… | |
letzte Kugel“ ein weiteres. | |
Der Verlag sei stolz darauf, dass Wulff ihm dieses Buch anvertraut habe, | |
sagt Cheflektor Detlef Felken. Es gehe um eine in der Geschichte der | |
Bundesrepublik „singuläre Fallhöhe“: von der jungen Hoffnung im Schloss | |
Bellevue zum Schandfleck der Nation. | |
Lektor Felken beschreibt das Buch als Beitrag zur Zeitgeschichte. „Hier ist | |
vieles nicht wirklich aufgearbeitet.“ Die Menschen fragten sich, was | |
eigentlich los war, so Felken – und warum von den Vorwürfen nichts übrig | |
blieb. | |
## Nur Peanuts blieben übrig | |
Das Landgericht Hannover hatte Wulff Ende Februar vom Vorwurf der | |
Vorteilsannahme freigesprochen, die Staatsanwaltschaft hatte Revision | |
eingelegt. Von 13.000 Akten der Staatsanwälte blieb am Ende nur der | |
Vorwurf, auf dem Oktoberfest 2008 Hotel- und Bewirtungskosten von dem | |
Filmunternehmer David Groenewold angenommen zu haben. Wert: 720 Euro. | |
Peanuts. | |
Nach seinem Lektor erklärt Wulff, was er mit dem Buch will. Er redet ruhig, | |
nüchtern und gelassen. Falls er in diesem Moment so etwas wie Genugtuung | |
verspürt, lässt er sie sich nicht anmerken. Seine Erinnerungen seien „ein | |
politisches Buch für die politische Kultur im Land.“ Er nehme sich das | |
Recht, den verschiedenen Versionen der Affäre seine eigene hinzuzufügen. | |
Die des Hauptbetroffenen. | |
Wulff bemüht sich, einseitige Schuldzuweisungen zu vermeiden. Er räumt | |
Fehler ein, nennt etwa das Verschweigen wichtiger Fakten im Landtag oder | |
die Mailboxnachricht. Doch gleichzeitig lässt er keinen Zweifel daran, dass | |
er sich als Opfer einer medialen Inszenierung sieht. Die Art und Weise, wie | |
sich Medien und Justiz während der Affäre die Bälle zugespielt haben, | |
bedrohe die Gewaltenteilung, sagt Wulff. | |
## Gestörte Machtbalance | |
Er schaut hoch und schaut die Hauptstadtjournalisten an, von denen viele | |
selbst über die Affäre berichteten. „Es geht auch um das Vertrauen in die | |
Medien“, sagt er. „Die Menschen wissen, dass nichts einfach nur Schwarz | |
oder Weiß ist.“ Sein Buch sei kein Angriff auf die Medien im Allgemeinen, | |
ihm gehe es vor allem um die Störung der Machtbalance zwischen Medien, | |
Justiz und Politik. | |
Manchmal schimmert dennoch Verbitterung durch. Wichtige Wochenendblätter, | |
die die Affäre genussvoll ausgewalzt hätten, hätten den Freispruch mit | |
keiner Zeile erwähnt, sagt er. Er zitiert eine Schlagzeile der | |
Online-Ausgabe der Bild-Zeitung nach dem Gerichtsurteil: „Seit dem 27. | |
Februar gilt Wulff als unschuldig“. | |
Dies, sagt Wulff, sei eine „verkehrte Welt“. Und fragt: Man wird von Bild | |
angeklagt, verurteilt und muss einen Freispruch vor Gericht durchsetzen, um | |
als unschuldig zu gelten? „Die Unschuldsvermutung ist ein Menschenrecht“, | |
gibt er die Antwort selbst. „Das darf niemandem entzogen werden.“ Nach | |
seinem Eindruck sei bei den Bürgern ein fader Beigeschmack geblieben. | |
## Von Diekmann instrumentalisiert | |
Sein Buch bietet Journalisten viel Stoff für Selbstreflexion. Denn das | |
Urteil, das Wulff über wichtige deutsche Medien fällt, ist hart. Jene | |
hätten eine „zwei Monate dauernde Treibjagd“ veranstaltet und sich dabei | |
von Bild-Chefredakteur Kai Diekmann instrumentalisieren lassen, lautet sein | |
Vorwurf. | |
Detailliert beschreibt er seinen Absturz aus dem höchsten Staatsamt und die | |
unrühmliche Rolle, die vor allem die Bild-Zeitung dabei spielte. Bild habe | |
mit seinem Fall eine Botschaft an die Prominenz Deutschlands geschickt, | |
schreibt Wulff. „Seht her, so machen wir es mit jedem, der die | |
Ausnahmestellung von Bild nicht anerkennt, er geht unter.“ | |
Ein Machtkampf also, Bild ernennt, Bild entlässt. | |
Ein Wendepunkt der Affäre war Wulffs Anruf bei Bild-Chefredakteur Kai | |
Diekmann. Der Präsident sprach diesem im Dezember 2010 auf die Mailbox, um | |
mit ihm über die drohende Veröffentlichung zu sprechen. Der Rubikon sei für | |
ihn und seine Frau überschritten, sagte Wulff damals. Er wolle mit | |
zuständigen Redakteuren reden. „Dann können wir entscheiden, wie wir den | |
Krieg führen.“ | |
## Infos weitergereicht | |
Mit dieser Mailboxnachricht des Bundespräsidenten betrieb Diekmanns Bild | |
ein perfides Spiel. Sie veröffentlichte die Nachricht nicht selbst, aber | |
ihre Redakteure stachen sie häppchenweise an andere Medien durch. Bild | |
stand – scheinbar – unbeteiligt an der Seite, während andere gerne den | |
schmutzigen Job übernahmen. | |
Was blieb, waren drei Erkenntnisse: Ein Boulevardblatt spielte auf perfide | |
Art und Weise mit einem Bundespräsidenten. Ein Chefredakteur machte selbst | |
Politik. Und der Präsident versuchte, auf kurzem Dienstweg einen kritischen | |
Bericht zu stoppen. | |
Wulff attestiert Diekmann in seinem Buch, diesem sei es um eine Trophäe | |
gegangen. Und er vermutet einen weiteren Grund für die Angriffe auf sich: | |
seine aufgeschlossen-freundliche Haltung zum Islam. Schließlich stammt von | |
Wulff der berühmte Satz, der Islam gehöre zu Deutschland. | |
## Böse Geschichten in der Springerpresse | |
War das ein Grund für die Springerpresse, seinen Rücktritt mit bösen | |
Geschichten zu befördern? Für Wulff steht beides in einem Zusammenhang. Die | |
Bild-Zeitung, schreibt er, sei Ende 2011 auf eine Wulff-kritische Linie | |
eingeschwenkt. Die Gründe seien in seiner Haltung zum Islam und „im | |
persönlichen Ehrgeiz ihres Chefredakteurs“ zu suchen. | |
Dass diese Position auch bei anderen Geschichten von Springer-Zeitungen | |
über ihn eine Rolle spielte, habe er nicht thematisieren können, schreibt | |
Wulff an anderer Stelle. „Hätte ich sagen sollen: Herr Döpfner bekämpft | |
mich, weil er durch meine Äußerungen zum Islam die Freiheit in Deutschland | |
bedroht sieht und Joachim Gauck ohnehin für den Besseren hält?“ | |
Bei dieser und bei vielen anderen Stellen seines Buches hält man inne. Und | |
hofft, dass die offene Debatte über Fehler, die er einfordert, auch geführt | |
wird – von uns Journalisten selbst. | |
10 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrich Schulte | |
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