| # taz.de -- Christian Wulffs Sicht auf die Affäre: Wulffs letzte Abrechnung | |
| > In seinem Buch wirft der Exbundespräsident ehemaligen CDU-Kollegen, | |
| > „Bild“ und „Spiegel“ schmutzige Methoden vor – und erwähnt spannen… | |
| > Details. | |
| Bild: Noch mal im Rampenlicht: Wulff bei der Buchpräsentation in Berlin. | |
| BERLIN taz | Zweimal habe er nach seinem Rücktritt geweint, bekennt | |
| Christian Wulff in seinem Buch „Ganz oben Ganz unten“, das seit Mittwoch in | |
| den Läden steht. Einmal, als ihm davon berichtet wurde, dass ein | |
| prominenter Journalist Ende 2011 einen Mitarbeiter des | |
| Bundestagspräsidenten gefragt habe, ob man in Berlin denn wisse, dass Wulff | |
| mit einer ehemaligen Prostituierten verheiratet und deswegen von Zuhältern | |
| und Rockern erpressbar sei. Diese Niedertracht habe ihn schockiert. | |
| Das andere Mal, als er Ende Februar vor dem Fernseher die Trauerfeier für | |
| die Opfer der NSU-Terroristen im Berliner Konzerthaus verfolgte und sich | |
| Ismail Yozgat aus Kassel, dessen Sohn 2006 in seinem Internetcafé ermordet | |
| wurde, dort ausdrücklich bei Wulff bedankte. „Mit einem Mal wusste ich | |
| wieder, dass es sich gelohnt hat, für die richtige Sache zu streiten“, | |
| schreibt der frühere Bundespräsident. | |
| Dies bleiben aber auch die einzigen emotionalen Höhepunkte in „Ganz oben | |
| Ganz unten“, denn mit Aussagen über seine Gefühle während der Affäre geht | |
| Wulff in seinem Buch äußerst sparsam um – das unterscheidet es von dem | |
| seiner Gattin. Der Jurist argumentiert eher wie ein Anwalt in eigener | |
| Sache, der alle Argumente zu seiner Verteidigung vorbringt und mit seinen | |
| Gegnern hart ins Gericht geht. Nur manchmal lässt er sich dabei zu | |
| polemischen Spitzen hinreißen; im Laufe der Kapitel schlägt die kalte Wut | |
| auf seine politischen und publizistischen Gegner, die er zum Teil | |
| namentlich nennt, immer stärker durch. | |
| Insbesondere gegen die Bild-Zeitung und deren Chefredakteur Kai Diekmann | |
| wendet er sich: Das Boulevardblatt habe mit seinem Fall eine Botschaft an | |
| andere Prominente in Deutschlands geschickt, schreibt er in seinem Buch: | |
| "Seht her, so machen wir es mit jedem, der die Ausnahmestellung von Bild | |
| nicht anerkennt, er geht unter." | |
| ## Ideologischer Kriegspfad | |
| Für die Härte, mit der er noch lange nach seinem Rücktritt angegangen | |
| wurde, als er schon lange am Boden lag, nennt Wulff zwei Gründe: einmal | |
| habe er als Präsident nicht so mit dem Blatt kooperiert, wie man es sich | |
| dort erhofft hatte. Zum anderen hätten seine Bekenntnise zu einer „bunten | |
| Republik“ und zum Islam in Deutschland die konservative Blattlinie des | |
| Springer-Verlags gestört. Die Bild-Zeitung habe Thilo Sarrazin als | |
| Volkshelden gefeiert und gegen ihn in Stellung gebracht, und der | |
| Springer-Vorsitzende Mathias Döpfner befinde sich auf einem ideologischen | |
| Kriegspfad, weil er den „freien Westen“ durch radikale Muslime bedroht | |
| sehe. | |
| Wulff ist auch davon überzeugt, dass die Ermittlungen der | |
| Staatsanwaltschaft in Hannover gegen ihn politisch motiviert gewesen seien. | |
| Sie hätten nie aufgenommen werden dürfen; erst sie hätten ihn zum Rücktritt | |
| gezwungen. Seinen Parteifreund Bernd Busemann, den er noch selbst zum | |
| niedersächsischen Justizminister ernannt hatte und dem er in alter | |
| Feindschaft verbunden ist, sieht er dabei als treibende Kraft – ebenso | |
| Frank Lüttig, Leiter der Generalstaatsanwaltschaft Celle, die der | |
| Staatsanwaltschaft in Hannover vorgesetzt ist, der erst nach Wulffs Weggang | |
| aus Hannover einen rasanten Karrieresprung hingelegt habe. | |
| Rein rechtlich hätte er sogar im Amt bleiben können, schreibt Wulff. Er | |
| verweist auf Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU), | |
| die erst jüngst mit Untreue-Vorwürfen konfrontiert war und deren Immunität | |
| aufgehoben wurde, bis die Ermittlungen im Februar 2014 eingestellt wurden. | |
| Doch anders als ein Ministerpräsident oder Minister hätte er die | |
| Ermittlungen nicht einfach aussitzen können, ohne dem Amt Schaden | |
| zuzufügen, so Wulff. | |
| ## Die Bälle zugespielt | |
| Medien, Politik und Justiz hätten sich in seinem Fall „die Bälle | |
| zugespielt“ und die Gewaltenteilung ausgehebelt, so lautet sein zentraler | |
| Vorwurf, den er schon am Dienstag auf seiner Pressekonferenz äußerte. | |
| Insbesondere die Bild-Zeitung hatte er da atackiert: Das Boulvardblatt habe | |
| mit seinem Fall eine Botschaft an andere Prominente in Deutschlands | |
| geschickt, schreibt Wulff in seinem Buch: "Seht her, so machen wir es mit | |
| jedem, der die Ausnahmestellung von Bild nicht anerkennt, er geht unter." | |
| Im Buch wird Wulff konkret: Die Bild-Zeitung habe vor allen anderen von der | |
| Entscheidung gewusst, seine Immunität aufheben zu lassen. Aber auch der | |
| Spiegel habe „exzellente Kontakte“ zu Staatsanwaltschaft und Staatskanzlei | |
| in Hannover gehabt, schreibt Wulff spitz und zitiert aus einer Mail eines | |
| Redakteurs, der um Einblick in vertrauliche Akten aus der Staatskanzlei | |
| bat. Im Gegenzug würde der Spiegel darauf verzichten, über einen von | |
| Ministerpräsident David McAllister (CDU) ungewöhnlich günstig geliehenen VW | |
| Golf zu berichten. „So etwas nennen manche eine Nötigung“, kommentiert | |
| Wulff. | |
| Die Bild-Zeitung sei aber noch weniger zimperlich gewesen. Wulff äußert den | |
| Verdacht, sie habe einen ehemaligen Nachtportier des Hotels Stadt Hamburg | |
| auf Sylt dafür bezahlt, dass er ihr belastbares Material an die Hand | |
| liefere, um daraus den Vorwurf der versuchten Vertuschung zu konstruieren. | |
| Eine „Manipulation“, so Wulff. Erst dieser Vorwurf aber habe im Februar | |
| 2012 die Staatsanwaltschaft in Hannover auf den Plan gerufen, sich später | |
| aber, bei genauerer Untersuchung, in Luft aufgelöst. Denn sein Freund, der | |
| Filmproduzent David Groenewold, habe lediglich Kopien seiner Rechnungen | |
| erbeten, „um auf vielfältige Journalistenanfragen präzise Auskunft geben zu | |
| können“, so Wulff. | |
| ## Mehr Loyalität erwartet | |
| Keinen Zweifel lässt der Exbundespräsident daran, dass er die Ermittlungen | |
| für völlig überzogen hält. Wulff musste Hausdurchsuchungen, peinliche | |
| Befragung seiner engsten Mitarbeiter und Personenschützer sowie die | |
| Überprüfung seines gesamten Telefon- und Mailverkehrs über sich ergehen | |
| lassen. 14 Monate lang seien 24 Kriminalbeamte und 4 Staatsanwälte mit | |
| seinem Fall betraut gewesen. Und das alles wegen eines vagen Verdachts – | |
| die Ermittler hätten sich häufiger auf Sylt aufgehalten als er in seinem | |
| ganzen Leben, höhnt Wulff. | |
| Nur am Rande geht Wulff darauf ein, dass er von seinen Parteifreunden mehr | |
| Loyalität erwartet hätte. Dass er auch aus Berlin kaum Rückhalt erhielt, | |
| erklärt er sich damit, dass die Regierungsparteien unter dem Druck der | |
| Opposition und der Medien verstummt seien. Immerhin: Angela Merkel habe | |
| „immer zu ihm gestanden“ und „niemals in irgendeiner Form Druck ausgeübt… | |
| Dass es anders gegangen wäre, zeige das Beispiel Johannes Rau. Die | |
| Staatskanzlei in Düsseldorf habe ihren ehemaligen Ministerpräsidenten gegen | |
| alle Vorwürfe rund um die WestLB „geschlossen verteidigt“. In Hannover | |
| aber, so Wulffs Lesart, gaben die Intriganten den Ton an. | |
| Wulff hat den Termin seiner Buchveröffentlichung bewusst gewählt. Bis | |
| Donnerstagabend hat die Staatsanwaltschaft Hannover Zeit, darüber zu | |
| informieren, ob sie weiterhin in Revision gehen will. Das Landgericht | |
| Hannover hatte Wulff am 27. Februar vom Vorwurf der Vorteilsannahme | |
| freigesprochen. Um mit einer Revision Erfolg zu haben, müsste sie dem | |
| Landgericht Verfahrensfehler nachweisen. | |
| Der Deutsche Journalisten-Verband weist die gegen die Medienbranche | |
| erhobenen Vorwürfe zurück. „In einigen Punkten sind einige Kollegen über | |
| das Ziel hinausgeschossen“, gab der DJV-Bundesvorsitzende Michael Konken am | |
| Mittwoch in Berlin zu, darüber habe es aber bereits eine selbstkritische | |
| Debatte gegeben. Ansonsten hätten die Medien nur „ihre Wächterfunktion | |
| ernst genommen“, so der Journalist. Denn es sei für die Öffentlichkeit | |
| durchaus von Belang, ob sich ihr Präsident durch anfangs ungeklärte private | |
| Kreditgeschäfte möglicherweise in Abhängigkeit begeben habe. | |
| Seine Kritiker wird Wulff mit seinem Buch nicht überzeugen. Alle anderen | |
| können nun seine Sicht der Dinge nachlesen. | |
| 12 Jun 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Bax | |
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