# taz.de -- WM-Kolumne Ordem e Progresso: „Be welcome in Brazil!“ | |
> Unterwegs in São Paulo: von angelernten Fifa-Grüßen, überfüllten | |
> U-Bahn-Zügen und vermeintlicher Flaggenpflicht in den Straßen. | |
Bild: Straßenszene in São Paulo. | |
SÃO PAULO taz | Eigentlich war die Anweisung ganz einfach. Gerade über die | |
Straße und dann links. Genau das habe ich doch gemacht. Und dennoch ruft | |
die freundliche Brasilianerin, die mir soeben den Weg zur Metro gewiesen | |
hat, recht aufgeregt hinter mir her. | |
Ich drehe mich auf der anderen Straßenseite noch einmal um und sehe sie da | |
stehen. Die Arme in etwa so weit ausgebreitet wie diese Christusstatue, die | |
nicht hier in São Paulo, sondern knapp 360 Kilometer weiter über Rio de | |
Janeiro thront. „Be welcome in Brazil!“ brüllt sie so laut, wie es eben | |
sein muss, um eine vierspurig befahrene Straße zu übertönen. | |
Ich nehme mir sogleich vor, die Leute hier öfters nach dem Weg zu fragen. | |
Doch in das gute Gefühl drängen sich Zweifel. Staatspräsidentin Dilma | |
Rousseff und Fußballpräsident Sepp Blatter, denke ich mir wenig später, | |
wären gewiss stolz auf diese Frau, die so vorbild- und modellhaft gute | |
Stimmung erzeugt. | |
Womöglich ist sie ja geschult worden und hat mir versehentlich erst mit | |
Verspätung den angelernten Fifa-Gruß dargeboten. Auf der Suche nach dem so | |
unabwägbaren Protestpotential will man schließlich keinem | |
Begeisterungsfähigen vorbehaltlos über den Weg trauen. | |
In die Metro, die bis zum Montag noch bestreikt wurde, drängen seither | |
wieder die üblichen Menschenmassen – bis zu 3,5 der gut 12 Millionen | |
Einwohner São Paulos sollen es täglich sein. Und sie bekommen kurz vor dem | |
Eröffnungsspiel im U-Bahn-Video immer wieder ein und denselben | |
Zusammenschnitt vom Vorbereitungsspiel zwischen Portugal und Irland | |
serviert. | |
## Keine Freude auf die WM | |
Der Hingucker ist Cristiano Ronaldo, der stets in Nahaufnahme gezeigt wird, | |
obwohl er beim 5:1 der Portugiesen bei ihrem Vorbereitungsspiel in New York | |
nicht einmal ein Tor geschossen hat. Die Fahrgäste in meiner Metro widmen | |
ihm kaum mehr Aufmerksamkeit als der Klavierspielerin an der nächsten | |
Station, die auf ihrem verstimmten Instrument „Freude schöner Götterfunken�… | |
klimpert. | |
Andererseits gewinnt man in manchen Straßenzügen dieser | |
Wirtschaftsmetropole den Eindruck, neben der allgemeinen Wahlpflicht wäre | |
kurzfristig auch noch die Flaggenpflicht eingeführt worden. Damit sich die | |
Einheimischen am Tag des ersten Auftritts der Seleção auf jeden Fall freuen | |
können, haben die Lokalpolitiker am Donnerstag einen stadtweiten Feiertag | |
ausgerufen. Clever, zumal es die chronisch verdickten Verkehrsadern | |
entlastet. | |
Mein neuer Freund und Taxifahrer wird sein Auto dann auch zu Hause lassen. | |
Das werde er bei Brasilienspielen immer so halten, erzählt er mir. Aber | |
zugleich beteuert er, er freue sich keineswegs auf diese WM. Zu viel sei | |
falsch gelaufen. | |
Richtige Freude kommt bei ihm erst auf, als ich seinem Vorschlag zustimme, | |
zum ausgemachten Preis auch noch am Stadion seines Lieblingsklubs | |
Portuguesa de Desportos vorbeizufahren. Am Ende der Fahrt steckt er mir | |
seine Visitenkarte zu. Ich solle ihn anrufen, wenn ich etwas brauche. | |
In anderen Worten: Be welcome in Brazil. | |
12 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Johannes Kopp | |
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