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# taz.de -- Schadenersatz bei Radunfällen: Helmlose bleiben voll versichert
> Sind Radfahrer, die keinen Helm tragen, mitverantwortlich, wenn sie sich
> am Kopf verletzen? Bundesgerichtshof hat nun geurteilt, dass das nicht so
> ist.
Bild: Helm auf? Ist egal
KARLSRUHE taz | Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine „Helmpflicht durch die
Hintertür“ abgelehnt. Fahrradfahrer, die schuldlos in einen Unfall
verwickelt werden, haben auch dann Anspruch auf vollen Schadensersatz, wenn
sie keinen Helm trugen (Az.: VI ZR 281/13). Ein anderslautendes Urteil des
Oberlandesgericht (OLG) Schleswig hob der BGH am Dienstag auf.
Konkret ging es um einen Unfall in der Kleinstadt Glücksburg bei Flensburg.
Am 7. April 2011 fuhr die heute 61-jährige Physiotherapeutin Sabine
Lühr-Tanck mit dem Rad zur Arbeit – ohne Helm. Plötzlich öffnete sich die
Tür eines am Straßenrand parkenden BMW, die Autofahrerin wollte aussteigen.
Sabine Lühr-Tanck konnte nicht ausweichen, stürzte, ihr Hinterkopf schlug
auf dem Pflaster auf. Sie erlitt einen doppelten Schädeldachbruch,
Blutungen und Hirnquetschungen. Erst nach vier Monaten konnte sie wieder
arbeiten, doch noch immer kann sie weder riechen noch schmecken und ist
sehr stress-empfindlich. Die Berufsgenossenschaft hat eine 40-prozentige
Minderung der Erwerbsfähigkeit attestiert.
Die Versicherung der BMW-Fahrerin erkannte zwar an, dass diese den Unfall
durch ihre Unachtsamkeit allein verursacht hat. Die Radfahrerin müsse
dennoch die Hälfte des Schadens selbst tragen – weil sie keinen Helm
getragen habe. Beim OLG Schleswig hatte die Versicherung damit zumindest
teilweise Erfolg. Der Schadensersatzanspruch von Lühr-Tanck wurde vom OLG
auf 80 Prozent reduziert, weil jeder „ordentliche und verständige Mensch“
beim Radfahren einen Schutzhelm trage. Diese Vorgabe entspreche inzwischen
einer „allgemeinen Überzeugung“. Das Urteil sorgte bundesweit für Aufsehe…
Lühr-Tanck aber ging in die Revision. Sie wollte ungekürzten
Schadensersatz. „Ich habe schließlich nichts falsch gemacht“, sagte sie in
Karlsruhe. Ihr Anwalt Erich Waclawik verwies darauf, dass es für Radfahrer
keine gesetzliche Helmpflicht gebe und auch keine geplant sei. Unter den
Oberlandesgerichten sei das OLG Schleswig das einzige, das eine
„Obliegenheit“ zum Tragen eines Helms annehme. Auch der Fachverband ADFC
lehne eine Helmpflicht ab, weil sie das Radfahren unattraktiv mache. Vor
allem aber trugen 2011 nach einer Statistik der Bundesanstalt für
Straßenwesen nur elf Prozent aller erwachsenen Radfahrer einen Radhelm.
„Von einer allgemeinen Überzeugung kann keine Rede sein“, betonte Anwalt
Waclawik.
Der gegnerische Anwalt Siegfried Mennemeyer pochte dagegen auf die
„Vernunft“. Der BGH könne wählen, ob er der Vernunft sofort zum Durchbruch
helfe oder erst in einigen Jahren. Es sei schließlich eindeutig, dass
Radhelme das Risiko von schweren Kopfverletzungen stark reduzieren. „Die
Schädeldecke bricht nicht, wenn ich einen Helm trage“, erklärte er vor
Gericht. Maßstab sei nicht das Verhalten der Mehrheit, sondern das
Verhalten der „vernünftigen“ Radfahrer.
## Vernünftig? Unvernüntig? Nicht relevant
Sabine Lühr-Tanck zeigte sich nach dem Schlagabtausch empört. „Ich bin doch
keine unvernünftige Frau, nur weil ich ohne Helm radle“, sagte sie. „Ich
wohne schließlich im kleinen Glücksburg und nicht in Hamburg.“ Sie fährt
immer noch ohne Helm zur Arbeit. Ihr Anwalt warnte: „Erst wird von Radlern
ein Helm verlangt, dann Schutzwesten mit Reflektoren und schließlich ein
Schutzanzug aus Leder.“
Doch am Ende hatte die Revision vollen Erfolg. Der BGH sprach dem
Unfallopfer ungekürzten Schadensersatz zu. Ein Mitverschulden sei ihr nicht
vorzuwerfen. Zum Zeitpunkt des Unfalls habe es kein „allgemeines
Verkehrsbewusstsein“ gegeben, dass das Tragen eines Schutzhelms für
Radfahrer im Straßenverkehr „zum eigenen Schutz“ erforderlich ist. Dabei
stellte der Vorsitzende Richter Gregor Galke ganz auf die Statistik der
Bundesanstalt für Straßenwesen ab. Eine Unterscheidung zwischen
vernünftigen und unvernünftigen Radfahrern nahm er nicht vor. Das
BGH-Urteil ist rechtskräftig. Ob die Entscheidung auch für Rennradler und
Mountain-Biker gilt, ließ Galke offen.
Im Jahr 2013 stieg die Helm-Quote laut Bundesanstalt zwar auf 15 Prozent
an, doch dürfte der geringe Anstieg den BGH zu keiner anderen Einschätzung
veranlassen. Auch der Gesetzgeber denkt nicht über eine Helmpflicht für
Radler nach. „Das steht für mich derzeit nicht zur Debatte“, erklärte
Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) am Wochenende.
17 Jun 2014
## AUTOREN
Christian Rath
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