# taz.de -- Airbag für Fahrradfahrer: Halskrause statt Eierschale | |
> Der aufblasbare Fahrradhelm „Hövding“ wird nur im Ernstfall sichtbar. | |
> Zwei Studentinnen hoffen aus ihrem Examsprojekt einen Markterfolg zu | |
> machen. | |
Bild: Stilsicher für 400 Euro: Wer die Fönfrisur schonen will, muss zahlen | |
STOCKHOLM taz | Die Frisur macht er nicht kaputt. Der „Hövding“. Dieser | |
Fahrradhelm sitzt nicht auf dem Kopf, sondern wird als Kragen um den Hals | |
getragen. Zu einem Helm wird er erst im Ernstfall: Stürzt die Radlerin oder | |
der Radler, bläst sich der Kragen in einer Zehntelsekunde auf, stülpt sich | |
über den Kopf, stabilisiert den Nacken und mildert somit einen harten | |
Aufschlag deutlich ab. | |
Die Erfinderinnen dieser Halskrause sind Anna Haupt und Terese Alstin, | |
heute 33 Jahre alt. 2005 begannen die Industriedesignstudentinnen für ihre | |
Examensarbeit an der schwedischen Universität Lund mit Umfragen zu | |
möglichen Verbesserungen bei Fahrradhelmen. Viele der Befragten wünschten | |
sich ein besseres Aussehen, wenn es schon nicht möglich sei, einen ganz | |
unsichtbaren Helm zu entwickeln. | |
Das brachte die beiden Studentinnen auf die Idee der Airbagtechnik. Ganz | |
unsichtbar ist der „unsichtbare Helm“ zwar nicht. Aber erst mal sieht er | |
aus wie ein Schal und wird erst dann zum Helm, wenn die eingebauten | |
Sensoren eine Erschütterung wahrnehmen. | |
Nach dem Examen erhielten Haupt und Alstin ein Stipendium, um ihre Idee | |
weiterzuentwickeln. Sie meldeten ein Patent an, gewannen mehrere | |
Innovations- und Designpreise, und es fanden sich einige risikobereite | |
Geldgeber. „Hövding Sverige“ mit Sitz in Malmö wurde gegründet, hat | |
mittlerweile 15 Angestellte und verkauft außer in Skandinavien nun auch | |
nach Deutschland, der Schweiz, Österreich und den Beneluxstaaten. | |
Beim Praxistest in der eigenen Familie schied eine von drei Personen gleich | |
als „Hövding“-Träger aus: Es gibt den Kragen bislang nur in den Größen S | |
und M. Halsgrößen über 42 cm werden auf eine künftige Größe L vertröstet. | |
Der „Hövding“ ist allerdings auch gewöhnungsbedürftig, und gerade im Som… | |
will man doch eigentlich keinen engen, hohen Schal um den Hals tragen. „Das | |
ist wie bei neuen Schuhen“, argumentiert die Erfinderin Terese Alstin. Die | |
bräuchten ja auch einige Zeit, bis sie eingelaufen wären. Mit 800 Gramm ist | |
der „Hövding“ allerdings auch deutlich schwerer als ein normaler | |
Fahrradhelm. Außerdem spürt man ein hartes Teil im Nacken: den | |
Gasgenerator, der im Ernstfall mit Heliumgas den Airbag aufblasen soll. | |
## Ein Häuptling mit technischen Herausforderungen | |
Eingeschaltet wird diese Elektronik über den Reißverschluss, mit dem man | |
den Kragen vorne schließt. Klemmt man den Zipper an einem Knopf fest, | |
ertönt ein Signal. Einige Dioden leuchten auf, die Sensoren sind aktiviert. | |
Die Batterie reicht 18 Stunden und kann über einen Mini-USB-Stick wieder | |
aufgeladen werden. | |
Die Serienproduktion des „Häuptlings“ – so lässt sich „Hövding“ ü… | |
– startete Ende 2011. Einige Monate später aber musste das Unternehmen alle | |
ausgelieferten Kragen zurückrufen. Der Verschluss, mit dem das System | |
aktiviert wird, hatte Macken. „Im Mai 2012 konnten wir wieder liefern“, | |
berichtet Terese Alstin. Wie viele „Hövding“ verkauft wurden, will sie | |
nicht verraten. Das sei „vertraulich“, meint sie. Ein kommerzieller Erfolg | |
scheint der „Hövding“ noch nicht zu sein. Laut veröffentlichten Zahlen hat | |
die Firma in den vergangenen drei Jahren etwa 4 Millionen Euro Verlust | |
gemacht. | |
Eine Zahl nennt Alstin aber doch: Man habe 20 bis 30 „Helme“ nach Gebrauch | |
zurückbekommen. Für die Erfinderin ein Vertrauensbeweis für das System: | |
Einmal aufgeblasen, ist die Krause nämlich nicht mehr zu gebrauchen. | |
Schickt man den aufgeblasenen „Hövding“ dann zurück an den Hersteller, | |
erhält man einen Rabatt beim Kauf eines neuen. Außerdem sind die | |
gebrauchten Helme auch notwendig zur weiteren Verfeinerung der Technik: Der | |
Kragen enthält eine Art Black Box, die die letzten zehn Sekunden vor der | |
Aktivierung des Airbags aufzeichnet und speichert. | |
Wie das geht? Das „Hirn“ des „Hövding“ ist ein Algorithmus, der die | |
Elektronik steuert, erklärt die Erfinderin: „Dafür haben wir zahlreiche | |
umfassende Tests gemacht. Mit Stuntmen und Dummies wurden alle denkbaren | |
Fahrradunfälle mit verschiedenen Geschwindigkeiten und aus | |
unterschiedlichen Winkeln durchgeführt.“ Am kniffeligsten ist aber, den | |
Sensoren, die Beschleunigung und Lageveränderung messen, beizubringen, wann | |
ein Sturz erfolgt: Ein Bewegungsmuster, das beispielsweise beim Überfahren | |
einer Bordsteinkante entsteht, soll den Airbag natürlich nicht auslösen, | |
und auch dann soll er sich nicht aufblähen, wenn man sich nur mal schnell | |
herunterbeugt, um die Schnürsenkel zuzubinden. | |
## Dreimal so gut, aber zehnmal so teuer | |
Die Tests, die die Wissenschaftler beim Transportforschungsinstitiut in | |
Linköping mit den Dummies machten und die auf Youtube nachzusehen sind, | |
wirken überzeugend. „Test nicht möglich“, vermerkt dagegen der schwedische | |
Versicherungskonzern Folksam, der regelmäßig Fahrradhelme unter die Lupe | |
nimmt. Die Kragenweite seiner standardisierten Testmethoden für Kollisionen | |
zwischen Fahrrad- und Auto-Kollisionen war für den Fahrrad-Airbag zu eng. | |
Immerhin lobte Folksam dafür die Ergebnisse der Crash-Tests : Der sich | |
aufblasende Helmfing schnitt mindestens dreimal so gut ab wie die besten | |
herkömmlichen Fahrradhelme. Aber er war eben auch zehnmal so teuer wie der | |
letztjährige Testsieger. | |
Man habe aber schließlich auch eine Zielgruppe im Auge, die bislang keine | |
Fahrradhelme tragen wolle, sagt Alstin. Wer auf dem Rad gut aussehen will, | |
muss eben zahlen. Rund 400 Euro kostet der „unsichtbare Helm“. | |
15 Jul 2013 | |
## AUTOREN | |
Reinhard Wolff | |
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