# taz.de -- Obdachlosencamp aufgelöst: Hamburg räumt auf | |
> Polizei räumt Park, in dem Obdachlose sowie Menschen aus Rumänien und | |
> Bulgarien lebten. Hilfe gibt es selbst für Familien mit Kindern nicht. | |
Bild: Immer mal wieder Stein des Anstoßes: Obdachlosigkeit in Hamburg. | |
HAMBURG taz | Großaufgebot am Hamburger Nobistor: Mit sechs | |
Großraumfahrzeugen rückt am Dienstagmorgen die Polizei an, um auf Anweisung | |
des Bezirks Altona die Obdachlosen im dortigen Park zu vertreiben. Die | |
Stadtreinigung karrt große Container an, in denen Matratzen, Zelte und | |
andere Einrichtungsgegenstände verschwinden. Mit Sätzen wie „Packen Sie | |
zusammen, sonst wird das Zelt abgerissen!“, werden die Obdachlosen aus dem | |
Schlaf gerissen. Ihre persönlichen Besitztümer dürfen sie mitnehmen, ihre | |
Schlafplätze müssen sie verlassen. | |
Die Räumung hatte der Bezirk Altona am Montag per Aushang angekündigt. | |
Eigentlich richtete sie sich gegen die Familien aus Bulgarien und Rumänien, | |
die seit einigen Wochen in dem Park und in an der Straße abgestellten Autos | |
gelebt hatten. Beschwerden aus der Nachbarschaft über Lärmbelästigung und | |
Verunreinigungen und daran anschließende Medienberichterstattung hatten das | |
Bezirksamt auf den Plan gerufen. Hatten dessen Mitarbeiter zunächst | |
Dixi-Toiletten aufgestellt und medizinische Hilfe angeboten, wollten sie | |
die Familien nun aus dem Park vertreiben. So stand es in der | |
Allgemeinverfügung des Bezirks, die der taz vorliegt: „Es wird darauf | |
hingewiesen, dass die Nutzungsuntersagung durch Zwangsmittel durchgesetzt | |
werden wird, wenn der Verfügung nicht Folge geleistet wird.“ | |
## Leben im Zelt | |
Die Diakonie und das Straßenmagazin Hinz & Kunzt hatten den Bezirk | |
aufgefordert, zumindest den obdachlosen Familien mit Kindern eine | |
öffentliche Unterkunft zur Verfügung zu stellen. „Wie kann es sein,dass | |
eine der reichsten Städte Deutschlands es zulässt, dass Familien mit | |
Kindern in Zelten leben müssen?“, fragte Hinz & Kunzt-Sozialarbeiter | |
Stephan Karrenbauer. Das Bezirksamt wiegelte ab: Die Osteuropäer hätten in | |
Deutschland keinen Anspruch auf Sozialleistungen. | |
Diese Rechtsauffassung ist umstritten. „Wir gehen davon aus, dass für | |
Arbeitssuchende in der Regel ein Sozialrechtsanspruch besteht“, sagte Dirk | |
Hauer vom Diakonischen Werk. Wer Recht hat, wird der Europäische | |
Gerichtshof bald entscheiden. Bis dahin will Hamburg Hilfen für Osteuropäer | |
ablehnen. Und auch das Kindeswohl sah der Bezirk durch die Obdachlosigkeit | |
nicht gefährdet, was eine Unterbringung ermöglichen würde: „Die Familien | |
kümmern sich ja um ihre Kinder“, sagte Sprecherin Kerstin Godenschwenge. | |
Ihren Lebensunterhalt finanzierten die Familien mit Flaschensammeln oder | |
Betteln, weil sie keine reguläre Arbeit fanden. Nun soll Osteuropäern auch | |
das Betteln streitig gemacht werden: Die Hamburger CDU fordert in einem | |
Antrag in der Bürgerschaft, „gewerbsmäßig organisierte Bettler, die | |
überwiegend aus Osteuropa stammen“, über das Hamburgische Wegegesetz aus | |
der Innenstadt zu vertreiben. Dabei handele es sich nämlich nicht um | |
„wirklich bedürftige Obdachlose“, sagte der Abgeordnete Christoph de Vries: | |
„Wir erwarten, dass der Senat diese missbräuchliche Form der Bettelei | |
unterbindet.“ Ein Vorstoß, der bei Hinz & Kunzt für Kopfschütteln sorgt. | |
„Betteln ist für viele Menschen die einzig legale Form, um Geld zu | |
verdienen“, sagt Karrenbauer. „Deswegen dürfen diese Möglichkeiten nicht | |
eingeschränkt werden.“ | |
Die Familien, die die Debatte ausgelöst hatten, waren am Dienstagmorgen gar | |
nicht mehr da. Sie hatten den Park vor einigen Tagen verlassen. „Wir wissen | |
nicht, wo die sind“, sagte Bezirksamtssprecherin Godenschwenge. Laut Rom | |
und Cinti Union e. V. sind einige mit Unterstützung der Organisation bei | |
anderen Familien untergekommen, andere sollen auf sogenannten | |
Durchreiseplätzen im Hamburger Umland untergebracht worden sein. Einige | |
hätten auch in Jobs vermittelt werden können. | |
## Seit acht Jahren dort | |
Diejenigen, die den Park am Nobistor nun verlassen mussten, lebten | |
teilweise seit Jahren dort. „Ich bin über acht Jahre hier. Die Behörde hat | |
uns toleriert!“, sagte der obdachlose Niko, der aus Mazedonien kam und sein | |
Geld mit Straßenmusik auf der Reeperbahn verdient. Lärm und Müll würden vor | |
allem jugendliche „Partygänger“ auf dem angrenzenden Spielplatz | |
verursachen. „Aber einer muss ja Schuld haben“, sagt er, während er seine | |
Sachen packt. In einem Gebüsch hatte Christian aus Rumänien, der in Hamburg | |
Arbeit suchte und nun Pfandflaschen sammelt, sein Zelt aufgebaut. „Wie soll | |
ich Arbeit finden, wenn ich keinen Platz zum Schlafen habe?“, sagte er. | |
Und: „Ich weiß nicht, wo ich hin soll.“ | |
Als Polizei und Stadtreinigung vom Nobistor abrücken, sitzen einige | |
Obdachlose noch auf der Wiese. Das duldete der Bezirk: „Es ist nicht | |
verboten, im Park zu sitzen“, sagt der Leiter des sozialen | |
Dienstleistungszentrums im Bezirk Altona, Christian Siegmann. „Aber wenn | |
sie auf die Idee kommen, hier heute Abend wieder eine Matratze hinzulegen, | |
geht das wieder von vorne los.“ | |
17 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Benjamin Laufer | |
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