# taz.de -- Kolumne Wir retten die Welt: Her mit den Chinesen! | |
> Die Eurokrise hat Zypern erwischt, aber nicht verändert. Die Zyprioten | |
> verramschen weiter ihre Insel: Erst an Briten und Russen, jetzt an reiche | |
> Asiaten. | |
Bild: Die Russen sind schon da. Und können auch gar nicht weg – jedenfalls n… | |
Die grauhaarige Armenierin sagt es jedem Kunden, der ihr Antiquariat in | |
Nicosia betritt: „Zypern ist zerstört.“ Auf einem Tisch liegen die | |
Bildbände schon bereit, die ihr als Beweis dienen. Erst bietet sie einen | |
Mokka an, und dann blättert sie liebevoll durch die Fotos in Schwarz-weiß: | |
„Unsere Insel war schön!“ | |
Die Fotos zeigen eine Welt, die erst 50 Jahre her ist und die es nicht mehr | |
gibt. Man sieht schwarz gekleidete Frauen mit ihren Eseln, wie sie am Rande | |
ihrer Getreidefelder hocken und sich von der Ernte erholen. Man sieht das | |
Meer, wie es gegen einsame Strände schwappt. Man sieht die römischen Reste | |
in Paphos, die noch inmitten von Orangenhainen stehen. | |
Heute ist Zypern zubetoniert. Mit billigen, raschen Mehrgeschossern wurde | |
die Küste verriegelt, und seit der begehrte Meerblick rar wird, verwüsten | |
die Bausünden auch das Inland. Die Insel sieht aus, als ob sie Masern | |
hätte. Überall erheben sich hässliche Pickel. | |
Diese Pickel werden kaum noch von Urlaubern bevölkert, denn die haben | |
längst entdeckt, dass Tunesien oder die Türkei bessere und billigere Hotels | |
haben. Aber die zypriotischen Hoteliers kamen auch ohne Touristen bestens | |
zurecht. „Sie bauten einfach Appartmenthäuser für britische Rentner“, | |
beschreibt Ökonom Michalis Persianis das Geschäftsmodell seiner Landsleute. | |
Später kamen neureiche Russen hinzu, die zu schätzen wussten, dass Zypern | |
nebenher als Steueroase agiert. | |
Die griechischen Zyprioten entwickelten ein mehrstufiges Konzept, das | |
jahrelang prächtig funktionierte. Sie verramschten ihre Insel – und boten | |
sich den britischen und russischen Neubürgern dann als Dienstleister an, | |
die Restaurants, Putzdienste, Pflegestationen und Boutiquen betreiben. | |
## Bevölkerte Pickel | |
Allerdings müsste man diesen Satz ins grammatikalische Passiv setzen: Die | |
Zyprioten lassen betreiben. Sie sind nur Mittelsmänner, während Frauen aus | |
den Philippinen, Vietnam, Bangladesh und Sri Lanka die eigentliche Arbeit | |
verrichten. Sonntags haben diese fernöstlichen Bediensteten frei, und dann | |
verwandelt sich Nicosia in eine asiatische Stadt. | |
Auch Alexis hat ein Restaurant, hoch oben in den Troodos Bergen, wo die | |
Hotels noch von den britischen Kolonialherren errichtet wurden und | |
aussehen, als ob sie für die Schweizer Alpen gedacht wären. 700 Euro pro | |
Monat zahlt Alexis der Vietnamesin, die bei ihm in der Küche steht und die | |
„traditionelle Moussaka“ herstellt. „Kost und Logis inklusive, so dass sie | |
600 Euro nach Hause schicken kann.“ Er findet nicht, dass er seine Hilfe | |
ausbeutet. „Alles legal“, betont er. | |
Die Eurokrise hat Zypern hart erwischt, aber nicht verändert. „Die Russen | |
sind geblieben“, stellt Alexis befriedigt fest. Zur Wahrheit gehört | |
allerdings auch, dass die Russen gar nicht gehen konnten: Durch die | |
Kapitalverkehrskontrollen wurde ihr Geld auf Zypern eingefroren. | |
Doch es reicht nicht, dass die Russen bleiben. Das zypriotische Modell | |
funktioniert nur, wenn ständig neue Einwohner angelockt werden. Deswegen | |
hängen jetzt auf der Insel riesige Plakate – auf Chinesisch. Wer 300.000 | |
Euro in eine zypriotische Immobilie investiert, erhält eine unbegrenzte | |
Aufenthaltsgenehmigung – und kann sich frei in der ganzen EU bewegen. | |
Bleibt nur ein Problem: Wie bei jedem lukrativen Geschäft herrscht harte | |
Konkurrenz. Zypern ist nämlich nicht das einzige Krisenland, das die | |
Chinesen als potenzielle Neubürger entdeckt hat. Die Portugiesen haben die | |
Asiaten sogar schon in ihren Haushalt eingeplant. 500 Millionen Euro wollen | |
sie in diesem Jahr damit verdienen, dass sie Aufenthaltsgenehmigungen | |
verkaufen. Die Troika hat diesen Plan bereits abgesegnet. | |
Auch die Griechen überlegen, wie sie reiche Ausländer anlocken könnten. Die | |
neueste Idee: Man könnte doch den alten Flughafen von Athen in eine „Gated | |
Community“ umwandeln. Nur für Chinesen natürlich. Damit sie sich heimisch | |
fühlen. | |
20 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Ulrike Herrmann | |
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