# taz.de -- Krieg in Syrien und im Irak: Irans Stoßtrupps | |
> Schiitische Milizen kämpfen an vorderster Front gegen die Dschihadisten – | |
> in Syrien und nun auch im Irak. Die Gruppen haben mächtige Hintermänner. | |
Bild: Von Teheran geschult: Asaib-Miliz in Nadschaf | |
BAGDAD/NADSCHAF taz | In einem schäbigen Büro im Sadr City, dem riesigen | |
schiitischen Armenquartier im Nordosten von Bagdad, empfängt ein junger | |
schiitischer Geistlicher mit weißem Turban ein paar westliche Journalisten. | |
Kopftuch und langer Mantel genügen ihm nicht, die Reporterin muss sich | |
einen schwarzen Umhang überstülpen. Mit verschlagenem Blick zieht er über | |
die Amerikaner her, stößt finstere Drohungen aus. | |
Fast elf Jahre ist das her. Kaum jemand kennt damals den Namen des | |
Geistlichen: Kais al-Khasali. Er ist so etwas wie der Provinzfürst von Sadr | |
City, Sprecher von Muktada al-Sadr, dem Spross eines berühmten schiitischen | |
Gelehrten, mehr aber auch nicht. Heute ist Khasali ein gemachter Mann. | |
Er lebt in der grünen Zone, in direkter Nachbarschaft von Regierungschef | |
Nuri al-Maliki, hat eigene Leibwächter, betreibt ein florierendes | |
Unternehmen. Und er ist Chef der berüchtigten Miliz Asaib Ahl al-Haq. Sie | |
hat im großen Stil Kämpfer gegen die Isis nach Syrien geschickt. Inzwischen | |
geht sie mit anderen Milizen auch im Irak an vorderster Front gegen die | |
Radikalislamisten vor. Zu mehreren Tausend kämpfen sie auf Seiten der | |
schwächelnden irakischen Armee. | |
Asaib, wie sie im Land kurz genannt wird, ist bei weitem nicht die einzige, | |
aber neben zwei weiteren Milizen – der „Badr Organisation“ und der Kataeb | |
al-Hisbollah – eine der schlagkräftigsten. Hinter all diesen Gruppen steht | |
das Nachbarland Iran, sie wurden von den Revolutionsgarden aufgebaut, | |
ausgebildet und finanziert. Offizieller Schlachtruf ist die Verteidigung | |
des Schreins von Sayeda Zeinab, dem wichtigen schiitischen Heiligtum am | |
südlichen Stadtrand von Damaskus. Doch gemeinsam mit syrischen Milizionären | |
und vor allem Kämpfern der libanesischen Hisbollah haben die Kämpfer aus | |
dem Iran inzwischen die Lücke gefüllt, die der Krieg in die Reihen der | |
syrischen Armee gerissen hat. | |
Gegner sind auch dort die sunnitischen Rebellen des „Islamischen Staats im | |
Irak und Syrien“, kurz Isis. Angefangen habe es im Winter 2012/2013, sagt | |
Phillip Smyth von der Universität von Maryland in der Nähe von Washington. | |
Die Isis, gestärkt durch Tausende von ausländischen Dschihadisten, war auf | |
dem Vormarsch, und das Regime von Baschar al-Assad drohte neben der | |
Wirtschaftsmetropole Aleppo auch die strategische Verbindung zwischen | |
Damaskus, dem Libanon und dem Küstenstreifen um Tartus zu verlieren. | |
## Schiitische Milizen mit an der Regierung | |
Ihren ersten Erfolg feierte die Anti-Isis-Koalition, als sie nach schweren | |
Gefechten die Rebellen Anfang Juni 2013 in Kusair, dem Knotenpunkt an | |
dieser Achse, besiegte. Seitdem sei die Zahl der Kämpfer aus dem Libanon | |
wie aus dem Irak stetig gestiegen, sagt Smyth, einer der besten Kenner der | |
Szene und Autor des Blogs „Hizballah Cavalcade“. | |
Landauf, landab hängen riesige Poster mit den Bildern der Märtyrer in den | |
schiitischen Gebieten des Irak. Auf dem riesigen Friedhof von Nadschaf, wo | |
die meisten Schiiten begraben werden, gibt es eigene Grabfelder für die in | |
Syrien getöteten Milizionäre. Einige scheinen kaum älter als 15 Jahre alt | |
geworden zu sein. Allein auf den Feldern der Asaib und der Kataib | |
al-Hisbollah kann man mehr als 100 Gräber zählen. Viele weitere | |
Kriegsgefallene seien jedoch neben den Toten der eigenen Familie begraben, | |
sagt uns ein Totengräber. Smyth schätzt, dass mindestens 300 irakische und | |
bis zu 700 libanesische Schiiten im Kampf für Assad getötet worden sind. | |
„Wir werden erreichen, wofür ihr gestorben seid“, sagte Khasali Ende April | |
auf einer Veranstaltung vor Tausenden von Anhängern in Bagdad. | |
Khasali will heute Fragen von westlichen Journalisten nicht mehr | |
beantworten. Das überlässt er Wahab al-Taie. Taie ist in gewisser Weise das | |
genaue Gegenteil des Milizenchefs. Er reicht Frauen die Hand, ist charmant, | |
zitiert Goethe und findet sogar für die Amerikaner ausgesprochen | |
freundliche Worte. Dass Iraker in Syrien kämpfen, bestreitet er nicht. | |
„Viele schicken Kämpfer und behaupten dann, wir hätten sie geschickt“, sa… | |
Taie. „Aber das ist nicht wahr, wir haben keinen einzigen geschickt.“ Dann | |
zählt er die Länder auf, aus denen sich die sunnitischen Extremisten der | |
Isis rekrutieren, schildert ihren Hass gegen die Schiiten und verweist auf | |
die Gefahr, die sie für den Irak und künftig auch Europa bilden. | |
Es ist die gleiche Position, die auch Regierungschef Maliki immer wieder | |
vorträgt: Der Irak sei das Opfer, die Gewalt im eigenen Land eine Folge des | |
Syrienkonflikts. „Die Isis und ihre regionalen Verbündeten versuchen uns in | |
diesen Krieg zu ziehen“, sagt der Abgeordnete Abbas Bayati, ein Vertrauter | |
von Maliki. „Wir stehen in diesem Konflikt auf keiner Seite. Wir sind | |
neutral.“ | |
Aber das ist bestenfalls die halbe Wahrheit. | |
## Milizionäre in der Regierung | |
Der Irak hat seinen Luftraum freigegeben, damit der Nachbar Iran Waffen und | |
Kämpfer nach Syrien transportieren kann. Washington hat dagegen mehrmals | |
protestiert, ohne großen Erfolg. Irakische Milizionäre werden teilweise | |
auch direkt von Nadschaf nach Damaskus geflogen, bestätigen Beamte, die | |
jedoch anonym bleiben wollen. Bayati bestreitet das. „Sie gehen als | |
Touristen nach Iran oder in den Libanon“, sagt er. „Dagegen können wir | |
nichts unternehmen.“ | |
Die Milizionäre sitzen inzwischen mit in der Regierung. Hadi al-Ameri ist | |
nicht nur Chef der Badr Organisation, sondern auch Minister für Transport | |
und Verkehr und als solcher für die Flughäfen zuständig. Im vergangenen | |
August schickte seine Organisation nach eigenen Angaben 1.500 Kämpfer nach | |
Syrien. Kaum waren die Amerikaner Ende 2011 abgezogen, streckte Maliki | |
Asaib-Chef Khasali die Hand aus, der sich seine Sporen im Kampf gegen | |
US-Soldaten verdient und mehr als zwei Jahre in einem Gefängnis der | |
Amerikaner gesessen hatte. | |
Heute kontrollieren die Milizionäre ganze Stadtteile in Bagdad, | |
gleichzeitig haben sie die Armee und Polizei infiltriert, zum Teil sogar | |
das Kommando gesamter Einheiten übernommen. Seit der Eroberung von Mossul | |
durch die Isis kämpfen sie auch im Irak: in der Provinz Diyala, der Stadt | |
Samarra nordwestlich von Bagdad oder in Tal Afar zwischen Mossul und der | |
syrischen Grenze. | |
Extrem gefährlich für den Irak, aber auch die Region, nennt Smyth die | |
Rekrutierung von Milizionären, die der Iran auch unter den Schiiten in den | |
Golfstaaten, Jemen und sogar Afghanistan betreibt. „Die Iraner haben jetzt | |
die Führung unter den Schiiten übernommen – nicht nur politisch, sondern | |
auch militärisch“, sagt Smyth. Seit der islamischen Revolution sei das ein | |
Ziel der Iraner gewesen. „Jetzt, wo der amerikanische Einfluss in der | |
Region sinkt, sind sie in der besten Position, die Lücke zu füllen. Das ist | |
ein riesiger Wandel.“ | |
20 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Inga Rogg | |
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