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# taz.de -- Von Menschen und Menschenaffen: Wie wir unsere Nächsten lieben
> Erheben sich Gorillas in ihren Sternstunden tatsächlich auf das Niveau
> eines Aushilfshausmeisters? Und soll es ein Grundrecht für Menschenaffen
> geben?
Bild: Die Evolution nimmt seltsame Wege: auf dem Southside-Festival in Neuhause…
„Wir brauchen einen neuen Gesellschaftsvertrag, der die Tiere mit
einschließt“, fordern immer mehr Tierschützer und Vegetarier. Die uns
nächststehenden Menschenaffen sollen die ersten sein. Gleichzeitig werden
die „Zumutbarkeiten“ bei der Haltung von Nutz- und Zootieren verhandelt.
Selbst die Kunst ist schon von der Sorge um die nichtmenschlichen Lebewesen
und ihre Daseinsprobleme berührt.
Kürzlich gastierte das Schauspielhaus Hannover in der Vertretung des Landes
Niedersachsen beim Bund mit seinem Stück „Die Affen“, über deren
Menschenrechtswürdigkeit dort szenisch und multimedial gestritten wird.
Neben drei als Schimpansen verkleideten Schauspieler traten zwei
Primatologen auf. Sie loteten die Intelligenz der Affen aus, indem sie
empirisch mit ihnen (auf der Bühne) und in Laborexperimenten (die sie als
Filme vorführten) darüber diskutierten, ob diese bloß grunzenden und
schnalzenden Tiere wirklich in der Lage wären, unser Erbe (als Nachfolger
der ausgestorbenen Menschheit) anzutreten. Um jetzt schon zu testen, ob sie
seiner auch würdig sind, lasen sie ihnen Goethes „Faust“ vor. Die drei
Schimpansen verstanden natürlich Bahnhof, dafür konnten sie bald – gegen
Belohnung – den Fahrstuhl und einen Fotokopierer bedienen. Sie befanden
sich damit in etwa auf der Stufe eines Aushilfshausmeisters.
Fraglich blieb jedoch, ob sie wie diese Spezies auch über eine „sekundäre
Theory of Mind“ verfügen. Davon handelte das Stück letztlich. Es
orientierte sich explizit an den etwas ärmlichen, aber streng amerikanisch
ausgerichteten Schimpansen-Experimenten des Max Planck Instituts für
evolutionäre Anthropologie in Leipzig, wo es vornehmlich um
Intelligenztests geht – eben im Rahmen einer „Theory of US-Mind“ (d. h.
eine Annahme über Bewusstseinsvorgänge in anderen treffen zu können).
Allerdings belohnt man dort die Versuchstiere mit Bananen und nicht mit
Nüssen – wie in dem Stück, wenn sie etwa untereinander „kooperieren“.
## Zum zweiten Mal den Finger abgebissen
In Berlin, wo man statt einer Bühne das große Foyer der Landesvertretung
bespielte, endete das Stück damit, dass die drei Schimpansen quasi das
letzte Wort bekamen. Es bestand darin, dass einer Klavier spielte und die
zwei anderen mit einer großen Topfpalme und einem -gummibaum (auf Rädern)
dazu tanzten. Der Wissenssoziologe Bruno Latour fordert schon lange, dass
sie – aber auch alle anderen nichtmenschlichen Wesen – mit an unsere
„runden Tische“ gehören, wenn es um ihre Belange geht. Dabei denkt er in
seiner Verhandlungstheorie konkret an kompetente Menschen, die in ihrem
Namen sprechen.
Dies geschah nun am 8. Mai in einem Saal der Bundespressekonferenz, wo die
Giordano-Bruno-Stiftung, die mit den Primatenforschern des „Great Ape
Projects“ um Menschenrechte für unsere nächsten Verwandten, die
Menschenaffen, warb. Dazu wurde eine Untersuchung aller in Deutschland in
Gefangenschaft gehaltenen Menschenaffen vorgestellt. Ihr Autor, der
Psychologe und Tierrechtler Colin Goldner, hatte fast alle Käfige und
Gehege der etwa 500 (deutschen) Affen für mangelhaft befunden. Seine Studie
hat den Titel: „Lebenslänglich hinter Gittern.
Die Wahrheit über Gorilla, Orang-Utan, Schimpansen und Bonobos in deutschen
Zoos“. „Katastrophale Verhältnisse“ attestierte er insbesondere einem
norddeutschen Zirkus, in dem ein Schimpanse als Pausenclown auftritt, und
einer „Betreuungsstätte“ für Schimpansen in Hönow bei Berlin. Diese
„Auffangstation“ für ausrangierte Schimpansen aus Forschung und
Showbusiness wurde von zwei ehemaligen Raubtierdresseuren des
DDR-Staatszirkus gegründet, die daneben aber auch Schimpansen
„nachzüchten“, damit diese auf Geburtstagsfeiern und anderen
Veranstaltungen „den Leuten Spaß und Unterhaltung bringen“.
Ihr „Schimpansen-Business“ war 2012 bereits von einigen
Tierschutzorganisationen kritisiert worden. Abgelehnt wird es auch von
ihren Affen selbst: Einem biss ein Schimpanse kürzlich zum zweiten Mal
einen Finger ab. Nebenbei bemerkt wurde auch den Primatenforscherinnen
Angelique Todd und Sue Savage-Rumbaugh bereits ein Finger von Schimpansen
abgebissen, ebenso dem vorigen Berliner Zoodirektor, dessen
Menschenaffenhaus die Giordano-Bruno-Stiftung jetzt im „Mittelfeld“ ihres
Zoo-Ranking ansiedelte.
## „Zoos treiben Menschenaffen in den Wahnsinn“
Auf der Pressekonferenz berichtete die Politologin Laura Zimprich von ihrer
Mitarbeit als Tierschützerin an der Erstellung des staatlichen
„Säugetiergutachtens“. Die Zoodirektoren wehrten sich in diesem
Expertengremium am vehementesten gegen eine Erweiterung der Gehege für
Menschenaffen über die bisherigen 50 Quadratmeter im Haus und 50
Quadratmeter davor im Freien für eine Orang-Utan-Familie zum Beispiel. Den
Zoos geht es in erster Linie um zahlendes Publikum, denen sie eher mit der
„Disneylandisierung“ ihrer Einrichtungen entgegenkommen wollen.
Überdies denken viele Direktoren noch wie Lutz Heck, der den Berliner Zoo
von 1932 bis 1945 leitete: „Wir bieten unseren Tieren lebenslängliche
Versorgung, einen Arzt, wenn sie krank sind, freie Wohnung, Schutz gegen
böse Feinde, kurzum: lebenslängliche Pension und Versicherung. Wie viele
Menschen haben eine so gesicherte Zukunft vor Augen?“
Nicht thematisiert wurde vom Podium, auf dem noch ein Ethiker und ein
Jurist saßen, dass die Affen neben ihrer lebenslänglichen Gefangenschaft
auch noch auf sehr lange Transporte geschickt werden, etwa in andere Zoos,
vor allem, um Inzucht zu vermeiden. Besonders für soziale Tiere bedeutet
dies, dass sie am Ende völlig kontaktlos und verhaltensgestört in der
Käfigecke irgendeines Zoos vor sich hindämmern, wie der Zürcher Zoodirektor
Heini Hediger feststellte. Der klinische Psychologe Colin Goldner kam zu
dem Urteil: Die Zoos treiben Menschenaffen „geradewegs in den Wahnsinn“ –
insofern sie deren menschenähnliche Bedürfnisse auf ein Minimum reduzieren
und sie mit Psychopharmaka traktieren.
Würde man, wie die Giordano-Bruno-Stiftung hofft, die „Grundrechte für
Menschenaffen“ in der deutschen Verfassung verankern, hätten diese „ein
Recht auf Freiheit“. Da man sie mit ihren verkümmerten Fähigkeit aber nicht
wieder in ihren Ursprungsländern auswildern kann, kommt laut dem „Great Ape
Project“ nur eine – zum Beispiel griechische – Insel infrage; für ihren
Unterhalt müsste dann eine internationale Treuhändergruppe sorgen.
Der Ethikphilosoph Dieter Birnbacher beruhigte uns daraufhin: „Auch mit
Grundrechten für Affen behält der Mensch seine moralische Sonderstellung.“
Und der Jurist Eisenhart von Loeper stellte noch einmal klar, dass es bei
der Gesetzesinitiative um den Personenstatus von Menschenaffen geht, was
auf so etwas Ähnliches wie eine Vormundschaft für „unmündige Menschen“
hinausliefe. Wenn wir die Menschenrechte dergestalt um Tierrechte
erweitern, dann auch, „um unserer Würde gerecht zu werden“.
Ich hatte auf der sehr gut und vorwiegend von Vegetariern besuchten
Pressekonferenz den Eindruck, dass es bei diesen Tierschutzaktivitäten auch
um einen gewissen Menschheitsüberdruss, zumindest aber um Menschenmüdigkeit
geht.
7 Jul 2014
## AUTOREN
Helmut Höge
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