| # taz.de -- Sachbuch über Menschen und Affen: Bunte Mischung der Kooperation | |
| > Was trennt den Menschen vom Affen? Zu dieser Frage legt Michael Tomasello | |
| > in seiner „Naturgeschichte des menschlichen Denkens“ Neues vor. | |
| Bild: Kann der Affe auch kooperieren? | |
| Der Mensch lernt nie aus. Zuallerletzt über sich selbst. Ähnlich wie das | |
| einzelne Individuum sich ein Leben lang mit der „Wer bin ich“-Frage | |
| herumschlagen kann, ist auch der Mensch als Spezies noch längst nicht | |
| fertig mit der Suche nach seinem Wesen. Dieses wird von der Forschung | |
| allgemein im Kopf verortet – schließlich ist das Hirn das einzige Organ, | |
| mit dessen Funktionsweise der Mensch sich allen anderen Lebewesen überlegen | |
| zeigt. | |
| Um den Menschen im Verhältnis zu den Tieren genauer bestimmen zu können, | |
| pflegt er sich mit seinen nächsten Verwandten, den Menschenaffen, zu | |
| vergleichen. Im Laufe mehrerer Jahrzehnte Primatenforschung ist der | |
| gefühlte Abstand zwischen Homo sapiens und den Hominiden jedoch immer | |
| kleiner geworden. | |
| Im Folgenden soll es auch hier heißen: Mensch und Menschenaffen. Eine | |
| biologisch gesehen natürlich unzulässige Kategorientrennung, die aber | |
| selbst Michael Tomasello aus sprachlichen Gründen in seinem Buch vollzieht. | |
| Anfang der sechziger Jahre sorgte die junge Jane Goodall für eine | |
| Sensation, als sie erstmals einen Schimpansen beim Werkzeuggebrauch | |
| beobachtet hatte. Mittlerweile weiß jedes Kind, dass viele Affen Werkzeuge | |
| benutzen. Und während es lange Zeit Common Sense war, dass allein der | |
| Mensch sprachliche Fähigkeiten besitzt, ist auch diese Trennung nicht mehr | |
| in Gänze haltbar, seit in den letzten Jahrzehnten etliche Menschenaffen, | |
| die von Menschen zu diesem Zweck in Gefangenschaft trainiert wurden, | |
| zeigten, dass auch sie arbiträre sprachliche Zeichen benutzen und zu | |
| einfachen syntaktischen Konstruktionen zusammenfügen können, um damit zu | |
| kommunizieren. | |
| ## „Hypothese der geteilten Intentionalität“ | |
| Im Zuge dieser Erkenntnisfortschritte hat sich der Hauptfokus der | |
| evolutionären Menschenforschung von der Kommunikation auf die Kooperation | |
| verschoben. Auch Michael Tomasello, einer der Direktoren des Leipziger | |
| Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, betont in seinem | |
| aktuellen Buch, „Die Naturgeschichte des menschlichen Denkens“, die | |
| sozialen Triebkräfte der Evolution. Das ist an sich alles nicht so neu. | |
| Auch ohne Tomasellos Gesamtwerk zu kennen, lässt sich anhand der Rezeption | |
| früherer Bücher feststellen, dass hier vieles noch einmal zusammenfassend | |
| recycelt wird, was der Autor anderswo eingehender ausgeführt hat. Das lässt | |
| sich auch positiv dahingehend formulieren, dass es Tomasello in „Die | |
| Naturgeschichte des menschlichen Denkens“ eben darum zu tun ist, | |
| thematische Stränge zusammenzubringen, die vorher eher getrennt betrachtet | |
| wurden. | |
| Schließlich ist das menschliche Denken aus evolutionärer Sicht, wie er | |
| (oder der Übersetzer) es formuliert, „kein Monolith, sondern eine bunte | |
| Mischung“. Soll heißen, Fragen der sozialen Kooperation, der Kognition, der | |
| linguistischen Pragmatik und der Logik spielen ineinander, wenn es darum | |
| geht, den evolutionären Werdegang des menschlichen Denkorgans zu | |
| rekonstruieren. | |
| Gegen den ganzheitlichen Ansatz, den Tomasello verfolgt, ist nichts | |
| einzuwenden. Auch dass die Anfänge der menschlichen Sprache aus sozial | |
| immer kooperativeren Zusammenhängen erwachsen sein sollen, deren Entstehung | |
| dieser neuen Form von Kommunikation vorausging, ist ein bedenkenswertes | |
| Konzept. Tomasello nennt dies die „Hypothese der geteilten Intentionalität“ | |
| und belegt mit Beispielen aus der Forschung, dass Mensch und Menschenaffe | |
| sich in diesem Punkt grundlegend unterscheiden. | |
| ## Stilistisch sperrig | |
| Die zusammengesetzten sprachlichen Äußerungen, die Menschenaffen in | |
| Experimenten zustande brachten, hätten, so Tomasello, sämtlich | |
| auffordernden Charakter; andere modale Zustände von Inhalten habe die | |
| Affe-Mensch-Sprache nie hervorgebracht. Der Menschenaffe verfüge zwar über | |
| zielgerichtete Intentionalität, die er im Einzelfall auch sprachlich | |
| auszudrücken imstande ist, doch bleibe dies stets eine „individuelle | |
| Intentionalität“. | |
| Im Gegensatz dazu seien menschliche Zweijährige auch im vorsprachlichen | |
| Stadium sehr wohl schon in der Lage, sich kooperativ zu verhalten. | |
| Vermutlich gibt es Primatenforscher, die in manchem Detail anderer Ansicht | |
| wären (es sollen schon Affen geflucht haben), und sicherlich fällt | |
| Tomasellos Darstellung verschiedener Forschungsergebnisse hier recht | |
| verkürzt aus. In der Tendenz aber mag man ihm hier getrost folgen – wenn | |
| man denn die nötige Kooperationsbereitschaft bei der Lektüre aufbringt. | |
| Tomasello ist Wissenschaftler, kein hauptberuflicher Essayist, deshalb kann | |
| man seine stilistische Sperrigkeit bis zu einem gewissen Grad akzeptieren; | |
| und an der Tendenz zum schlecht lesbaren Nominalstil ist der Übersetzer | |
| mindestens mitschuldig. Aber gerade auf einem so hochspekulativen Gebiet, | |
| wie es die evolutionäre Kognitionswissenschaft ist, wäre doch eine gewisse | |
| feurige Zwangsläufigkeit in der Argumentation wünschenswert. | |
| Wo man wenig empirische Grundlagen hat, steigt schließlich der Wert der | |
| Überzeugungskraft. Andererseits ist das Verfahren, durch die | |
| Umständlichkeit der Darstellung einen Eindruck von objektiver Wahrheit zu | |
| erwecken, der dem Gegenstand gar nicht unbedingt angemessen ist, ja leider | |
| in der Wissenschaft nicht unüblich. Ein Lektorat, das sich was traut, hätte | |
| da sicher noch einiges ausrichten können. | |
| Ein Sachbuchautor aus der nichtakademischen Welt würde etwa eine schiefe | |
| Metapher wie „dieser perspektivische Sprung im Ei der Erfahrung“ nur so um | |
| die Ohren gehauen bekommen, während Tomasello sie sogar wiederholt benutzen | |
| darf. Dass Tomasello prinzipiell durchaus in der Lage ist, prägnanter zu | |
| schreiben, zeigt sich in den beiden Schlusskapiteln, die zusammenfassenden | |
| Charakter tragen. So mancher inhaltliche Nebel lichtet sich dann doch noch. | |
| 10 Nov 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Granzin | |
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