# taz.de -- Film „Wiedersehen mit Brundibár“: „Das kann man nicht nachem… | |
> Greta Klingsberg ist Musikerin aus Israel und spielte im KZ | |
> Theresienstadt in der Kinderoper "Brundibár" mit. Jetzt war sie in | |
> Deutschland unterwegs. | |
Bild: In „Wiedersehen mit Brundibár“ spricht Greta Klingsberg mit Jugendli… | |
Greta Klingsberg ist übernächtigt und aufgedreht zugleich. Am Abend vor | |
unserem Treffen hat in der Berliner Schaubühne die Premiere des Films | |
„Wiedersehen mit Brundibár“ stattgefunden, in dem die 85-Jährige eine der | |
Hauptpersonen ist. In den nächsten Tagen wird sie im Rahmen der Kinotour | |
noch in anderen deutschen Städten erwartet; und vorher gilt es noch, | |
diverse Pressetermine wahrzunehmen. | |
Frau Klingsberg ist eine gefragte Zeitzeugin. Sie hat Theresienstadt, | |
Auschwitz und weitere Lager überlebt, hat nach dem Krieg in Israel ihre | |
Eltern wiedergetroffen und ist Sängerin geworden. Gesungen allerdings hatte | |
sie schon vorher viel; vor allem im KZ Theresienstadt. In der Kinderoper | |
„Brundibár“ des tschechisch-deutschen Komponisten Hans Krása sang sie als | |
Dreizehn-, Vierzehnjährige über fünfzigmal die Hauptrolle, das arme Mädchen | |
Aninka, das mit seinem Bruder auf dem Marktplatz für Geld singt und vom | |
bösen Leierkastenmann Brundibár vertrieben wird. | |
„Brundibár“ war ein großer Hit in Theresienstadt und kommt, als Beleg | |
dafür, wie schön es die Juden dort hatten, sogar im berüchtigten | |
Nazi-Propagandafilm über die Festungsstadt vor. | |
## Situation der jüdischen Kinder im KZ | |
Die Kinderoper, die erst Mitte der achtziger Jahre wiederentdeckt wurde, | |
diente vor zwei Jahren der Jugendtheatergruppe „Die Zwiefachen“ an der | |
Berliner Schaubühne als Anlass für ein Stück, in dem sich Szenen der Oper | |
abwechselten mit solchen, in denen die Jugendlichen sich mit der Situation | |
der jüdischen Kinder im KZ auseinandersetzten (siehe taz v. 22. 6. 12). Der | |
Dokumentarfilmer Douglas Wolfsperger, der das Projekt angestoßen hatte, | |
begleitete die Proben mit der Kamera und bemühte sich um den Kontakt zu | |
Greta Klingsberg, die aus Jerusalem angereist kam, um mit der Gruppe nach | |
Theresienstadt zu fahren. | |
Diese Reise kommt auch im gerade angelaufenen Film „Wiedersehen mit | |
Brundibár“ vor, der allerdings nicht in erster Linie eine Geschichte der | |
Greta Klingsberg und ihres schweren Kinderschicksals ist. Wolfsperger ist | |
mehr an dem inneren Prozess interessiert, der durch die Konfrontation mit | |
der Holocaust-Thematik und durch die persönliche Begegnung mit der alten | |
Dame bei den jungen Deutschen ausgelöst wird. | |
Klingsberg selbst sieht das Ergebnis durchaus kritisch. Wie mir der Film | |
denn gefallen habe, fragt sie mich. Ihre Vorbehalte sind in der Frage | |
herauszuhören. Ich bekenne, ihn sehr schön gefunden zu haben, räume aber | |
ein, dass er Längen gehabt habe, und kann es verstehen, als sie erklärt, | |
sich selbst und ihre Geschichte darin nicht wirklich wiedergefunden zu | |
haben. | |
## Perspektive der ehemaligen Opfer | |
Nein, einen Erinnerungsfilm hat Wolfsperger in der Tat nicht gemacht, | |
sondern einen Film über Jugendliche, die eine unbekannte, schockierende | |
Vergangenheit entdecken. Ihm ist also gewissermaßen die Befindlichkeiten | |
dieser neuen Generation wichtiger als die Perspektive der ehemaligen Opfer. | |
Aus Sicht einer Auschwitz-Überlebenden muss das befremdlich sein. | |
Andererseits sagt Greta Klingsberg selbst, das alles liege so weit zurück, | |
dass es ihr vorkomme, als sei es einer ganz anderen Person passiert. Auch | |
und gerade beim Besuch in Theresienstadt: „Es ist unmöglich, das | |
nachzuvollziehen. Man geht hinein, die Sonne scheint, die Vögel singen, und | |
es ist leer!“ Es sei ja immer so ein furchtbares Gedränge überall gewesen, | |
„und die schrecklichen Gerüche, und die Angstvorstellungen, was darf man, | |
was darf man nicht, kann man dort über die Straße oder nicht … Das war | |
alles nicht mehr da, es war so offen, so viel Raum. Das kann man einfach | |
nicht nachempfinden.“ | |
Jetzt muss sie doch einmal Luft holen. Sie spricht ohnehin sehr schnell – | |
ein eigentlich unmögliches Tempo für eine Person, in deren Deutsch der | |
muttersprachliche Wiener Zungenschlag immer noch unverkennbar mitschwingt | |
–, und gerade hatte sie es derart gesteigert, dass zum Atmen gar keine Zeit | |
blieb. Diese Enge. | |
## Die bestimmende Erinnerung | |
Ist das die bestimmende Erinnerung, die sie an diese Jahre hat? Ja; das | |
habe sie auch damals gesagt, bei Spielberg (vor zwanzig Jahren ist sie für | |
Steven Spielbergs Shoah Foundation interviewt worden): „I need space! Ich | |
brauche Platz! Wenn Sie bei mir zu Hause sind, da ist praktisch nichts!“ | |
Ansonsten, sagt sie, habe sie wenig konkrete Erinnerungen. Sie sei ja ein | |
Kind gewesen, beschützt von Erwachsenen. Die Theresienstädter Komponisten | |
habe sie erst im Nachhinein kennengelernt, auch eine Platte aufgenommen mit | |
Chansons und Liedern aus Theresienstadt. Aber damals, als Kind, habe sie | |
einfach nur gesungen. | |
Wie und wer dort eigentlich festgestellt habe, dass sie über ein absolutes | |
Gehör verfüge, frage ich. Das erzählt sie nämlich im Film. Aber daran | |
erinnert sie sich ebenso wenig wie an die Proben zu „Brundibár“. „Ich hab | |
so viel andere Musik dort mitgemacht. Deswegen war ich ja auch so gut. Ich | |
hab im Verdi-Requiem gesungen, in der ’Verkauften Braut‘, ich hab in der | |
’Zauberflöte‘ den zweiten Knaben gesungen, das war eine wichtige Rolle! Die | |
musste man stimmlich halten, die zwei andern. Und in ’Figaros Hochzeit‘ | |
habe ich der Gräfin … ’Gräfin, Gräfin, diese Blumen‘ und so weiter …… | |
## Anfangschor aus Smetanas „Verkaufter Braut“ | |
Sie kichert wie ein junges Mädchen und scheint jetzt erst so richtig in | |
Schwung gekommen. Auf Tschechisch und Deutsch zitiert sie den Anfangschor | |
aus Smetanas „Verkaufter Braut“: „Warum sollen wir uns nicht freuen, wenn | |
der Herrgott uns Gesundheit gibt?“ Das habe sie einem Mädchen ins | |
Poesiealbum geschrieben, dazu ein paar Zeilen Noten und einen | |
Violinschlüssel. Noten lesen konnte sie also wohl schon; aber ob man bei | |
den Proben jemals Noten in der Hand hatte oder ob es irgendwo ein Klavier | |
gab, daran erinnert sie sich nicht. | |
Nur an das alte Harmonium von Karel Berman, das in einem Keller stand und | |
komische Pedale hatte und an dem er viele Proben leitete. Berman überlebte | |
die Lager und spielte in der Tschechoslowakei bis zu seinem Tod 1995 eine | |
wichtige Rolle in der Opernwelt. | |
Wenn man Greta Klingsberg so erlebt beim Erzählen, scheint es einem fast, | |
als sei sie damals trotz allem richtig glücklich gewesen bei der Musik. Und | |
so muss es wohl auch gewesen sein, solange eben die Musik dauerte – vor | |
allem in „Brundibár“, wo sie ja die Rolle eines gleichaltrigen Mädchens | |
sang und ganz darin aufgehen konnte: „Das Kind ist völlig in seiner Rolle | |
drin, sodass alles andere plötzlich entfällt. Dann hast du keinen Hunger, | |
es gibt keinen Schmutz und keine Angst.“ Für die Erwachsenen sei alles viel | |
schlimmer gewesen. Als Kind dagegen habe man nicht nur vieles gar nicht | |
verstanden, sondern auch sehr in seiner eigenen Welt gelebt. | |
## 1938 mit einem illegalen Transport aus Wien nach Palästina | |
Wenn sie von den Erwachsenen spricht, meint sie damit ganz sicher auch ihre | |
Eltern. Die waren 1938 mit einem illegalen Transport aus Wien nach | |
Palästina gegangen und hatten die achtjährige Greta und ihre um ein Jahr | |
jüngere Schwester in der Obhut eines Kinderheims in Brünn gelassen – | |
vorübergehend, wie sie dachten, denn sie wollten die Kinder bald nachholen. | |
Doch die Besetzung der Tschechoslowakei kam dazwischen. | |
Das deutschsprachige jüdische Kinderheim wurde aufgelöst, die Kinder in ein | |
tschechisches Waisenhaus gesteckt, wo sie auf die harte Tour Tschechisch | |
lernen mussten und mehrere Jahre verbrachten – „die schlimmste Zeit meines | |
Lebens“, wie Greta Klingsberg heute sagt –, bis sie nach Theresienstadt | |
kamen. | |
Acht Jahre lang sprach Greta kein Wort Deutsch, erst wieder als | |
Sechzehnjährige, als sie in Palästina ihre Eltern wiedertraf: „Meine Eltern | |
hatten keine andere Sprache.“ Und auch keine Vorstellung von dem, was mit | |
dem Europa passiert war, das sie gekannt hatten. | |
## Ein Rollentausch | |
Den Jugendlichen in Douglas Wolfspergers Film erzählt Greta Klingsberg, | |
dass sich in den acht Jahren, die bis zum Wiedersehen vergangen waren, ein | |
Rollentausch vollzogen habe. Am Ende sei sie selbst die Erwachsene gewesen | |
und ihre Eltern die Kinder. Gretas kleine Schwester war in Auschwitz | |
ermordet worden, ihre Großmutter war verhungert. Über all das habe sie mit | |
den Eltern nie sprechen können. | |
Mit ihrem eigenen Schicksal hadert Greta Klingsberg nicht. Alles, was sie | |
erlebt habe, „hat mich mit geschaffen, so wie ich bin, so wie ich sehr gern | |
lebe und viele Freunde habe, viele sehr gute Freunde“. Greta Klingsberg, | |
die seit Jahrzehnten in Jerusalem lebt, hat im übrigen auch gute arabische | |
Freunde. Arabisch gehört zu den vielen Sprachen, die sie in ihrem Leben | |
gelernt hat. | |
Für Aufführungen in Israel hat sie „Brundibár“ ins Hebräische übersetz… | |
Sie selbst allerdings singt die Oper, wenn man sie irgendwo dazubittet – | |
kürzlich erst in Griechenland – stets auf Tschechisch mit. Nach all den | |
Jahren kann sie den Text immer noch auswendig. | |
15 Dec 2014 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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