# taz.de -- Kommentar „Kalifat“ im Irak: Grausamkeit und Größenwahn | |
> Das „Kalifat“ der Isis-Miliz im Irak ist weit weg davon, ein wirklicher | |
> Staat zu sein. Doch seine Ausrufung hat ohnehin eher propagandistische | |
> Zwecke. | |
Bild: Schreckensgeschichten überall, wo die schwarze Fahne der Isis weht. | |
Ein Kalifat, das klang mal nach Tausendundeiner Nacht, nach Harun | |
al-Raschid und Scheherazade. Doch ein märchenhaftes Großreich voller Prunk | |
und Verschwendung ist nicht gerade das, was Miliz-Anführer Abu Bakr | |
al-Baghdadi und seinen Dschihadisten vorschwebt. Sie orientieren sich nicht | |
am ausschweifenden Lebensstil früherer muslimischer Herrscher, sondern an | |
einer imaginierten Frühzeit des Islam, die sie sich als besonders asketisch | |
und zugleich brutal ausmalen. Überall, wo ihre schwarze Fahne weht, machen | |
sie durch extreme Grausamkeiten von sich reden. | |
Die vielen Berichte über Massenerschießungen und sogar Kreuzigungen, die | |
über ihr Terrorregime kursieren, sind zwar schwer nachprüfbar – aber sie | |
verfehlen ihre Wirkung nicht. Sie festigen den Ruf der Dschihadisten, | |
„grausamer als al-Qaida“ zu sein, und verbreiten Angst und Schrecken. | |
In dieser Logik hat auch die eilige Ausrufung eines „Kalifats“, keine drei | |
Wochen nach der Einnahme der Stadt Mossul, vor allem propagandistische | |
Gründe. Die Audiobotschaft, professionell in verschiedenen Sprachen und | |
symbolträchtig zum ersten Tag des Fastenmonats Ramadan lanciert, zeigt, wie | |
sicher sich die Dschihadisten ihrer Sache wähnen, jetzt, wo sie große Teile | |
des Irak überrannt haben. Das Versprechen, hier den Traum von einem | |
Gottesstaat zu erfüllen, soll weitere potenzielle Mitkämpfer ins | |
Zweistromland locken helfen. | |
Ihre Hybris kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der | |
Miliz weder um eine klar definierbare Organisation handelt noch bei ihrem | |
„Kalifat“ um einen Staat auf fest umrissener religiös-ideologischer | |
Grundlage. Den Erfolg verdanken die Dschihadisten vielmehr dem Versagen der | |
Zentralregierung in Bagdad, die die Hauptschuld am Zerfall des Landes | |
trägt. Eine heterogene Koalition sunnitischer Stämme fühlt sich von Premier | |
al-Maliki im Stich gelassen. Sie und ehemalige Anhänger von Saddam Hussein | |
haben sich mit den Milizen gemeingemacht, die sich stark auf ausländische | |
Kämpfer aus Tschetschenien, Libyen und Afghanistan stützen. | |
Man darf gespannt sein, wie diese Allianz jetzt auf den Größenwahn von | |
Milizchef Abu Bakr al-Baghdadi reagiert, der sich mit seiner Botschaft zum | |
religiösen und politischen Oberhaupt nicht nur aller Sunniten im Irak | |
aufschwingen möchte, sondern gleich aller Muslime weltweit. Das ist eine | |
Kampfansage an alle möglichen Herrscher in der Region, die sich ebenfalls | |
religiös legitimieren, ob in Jordanien, Saudi-Arabien oder Marokko. Es ist | |
aber auch eine Provokation für alle frommen Muslime, die mit Gewalt nichts | |
am Hut haben. Sie müssen ihm jetzt seinen vermessenen Anspruch streitig | |
machen, theologisch und ganz praktisch. | |
30 Jun 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Bax | |
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