# taz.de -- Ägyptischer Satiriker hört auf: Allein gegen den Strom | |
> „Was darf Satire?“, fragte Tucholsky einst. TV-Star Bassem Youssef hat | |
> die Frage auf seine Art beantwortet: Der Druck war einfach zu groß. | |
Bild: „Es war eine Achterbahn“: Bassem Youssef will nicht mehr. | |
BERLIN taz | Der Eiertanz deutscher Satiriker, schrieb Kurt Tucholsky 1919 | |
in seinem Essay „Was darf Satire?“, sei zwar recht graziös, auf Dauer aber | |
ermüdend. Satiriker sollten sich ihrer Fesseln entledigen. Kritisieren, | |
angreifen, frei sein! Worüber Tucholsky sich noch keine Gedanken zu machen | |
brauchte: Je freier Staat und Gesellschaft, desto weniger eckt Satire an, | |
desto weniger regt Satire auf. Wer lacht noch, wenn alle über alles | |
spotten? | |
Vielleicht ist es dieses Spannungsfeld zwischen „dürfen“ und „nicht | |
dürfen“, das Bassem Youssef weltberühmt gemacht hat. Freiheit und | |
Unfreiheit rangen miteinander, als der Ägypter im Frühjahr 2011 – das Volk | |
hatte soeben seine Stimme wiederentdeckt – ein paar Videoclips ins Netz | |
stellte. Er scherzte und kritisierte, pikste und provozierte. Er kämpfte, | |
bewaffnet mit dem beißenden Witz des Humoristen, für die Meinungsfreiheit. | |
Nun sitzt der Satiriker in der Berliner Akademie der Künste. „Es war eine | |
Achterbahn“, erzählt er mit funkelnd grünen Augen, „aber wir haben etwas | |
Außerordentliches auf die Beine gestellt.“ Die selbst produzierten | |
YouTube-Videos verbreiten sich rapide im Netz. Und schon bald erkennt ein | |
ägyptischer Fernsehsender das Potenzial der Clips und macht aus dem | |
Laienprogramm des Herzchirurgen eine professionelle Satireshow mit | |
Livepublikum. Hungrig nach Freiheit fiebern Millionen „al-Bernameg“ | |
allfreitäglich entgegen. | |
An Steilvorlagen aus der Politik mangelte es Youssef nie. Wenn sich ein | |
konservativ-islamistischer Präsident Mursi vor laufender Kamera das beste | |
Stück zurechtrückt oder das Konterfei eines Generals al-Sisi Gebäck und | |
Damenschlüpfer ziert, wird Politik zur Realsatire. Platt war „al-Bernameg“ | |
trotzdem nur selten. Und sie traf. | |
## Beleidigter Prediger | |
„Wenn du ein Mann bist, dann mach doch mal eine Episode über die Christen. | |
Und mach dich über deinen Meister Mohammed al-Baradei lustig“, forderte ihn | |
der TV-Prediger Sheikh Khalid Abdullah – sichtlich beleidigt über Youssefs | |
Spott über die Islamisten – einmal öffentlich auf. Youssef antwortete mit | |
Witzen über Priester und al-Baradei und sagte: „Ich habe einen Vorschlag: | |
Macht al-Baradei zum Präsidenten und die Christen zur Regierungspartei, und | |
ich werde nicht mehr aufhören, über sie zu sprechen.“ | |
Wer war inspirierender für einen Satiriker, will einer der Berliner Gäste | |
wissen, Präsident Mohammed Mursi oder Abdel Fatah al-Sisi, der die | |
Islamisten 2013 wegputschte? „Die Muslimbrüder waren einfach“, sagt | |
Youssef, sie hätten zu viel Angriffsfläche geboten. „Viel stolzer bin ich | |
auf unsere späteren Episoden unter dem neuen Regime.“ Als das Militär | |
wieder die Macht übernahm, wurde der autoritäre Druck größer. Blind | |
bejubelten dieses neue Ägypten jene Massen, die gerade erst Mubaraks | |
Generäle vom Thron gezerrt hatten. Soeben noch auf dem Höhepunkt seiner | |
Popularität, hassten Youssef nun bald auch viele Säkulare. „Wir waren | |
allein gegen die ganze Strömung. Das war viel inspirierender.“ An der | |
Einschaltquote im sechsstelligen Bereich änderte das nichts. | |
Im November 2013 setzt der Fernsehsender CBC die Show ab. „Wir haben Angst, | |
dass Faschismus im Namen von Patriotismus und nationaler Sicherheit | |
Faschismus im Namen der Religion ersetzt“, hat Youssef seinen Zuschauern | |
zuvor erklärt. CBC distanziert sich von diesen Aussagen, trennt sich von | |
dem Satiriker. Youssef sucht einen neuen Sender und feiert schon im Februar | |
2014 sein großes Comeback. Der ägyptische Funnyman, so schien es, gibt | |
nicht auf. | |
## Satire als Emanzipation | |
Warum haben es Satiriker in autoritären Staaten so schwer? Weil sie die | |
Menschen zum Lachen bringen? Wohl kaum. „Sie hatten keine Angst vor dem | |
Humor“, meint Youssef, „sondern vor dem Effekt.“ Satire deckt Zustände a… | |
lädt den Lachenden ein, sich Gedanken zu machen, sich ein Urteil zu bilden. | |
Satire schafft Emanzipation. | |
Und hier beginnt Demokratie. Drei Jahre lang hat Youssef gekämpft. Doch der | |
Eiertanz hörte nicht auf. Ermüdete den Satiriker schließlich selbst. Im | |
Juni 2014 verkündet Bassem Youssef das Ende der erfolgreichsten Satireshow | |
in der Geschichte Ägyptens. Zu viel Druck, zu wenig Freiheit, kein Raum für | |
Satire im derzeitigen Ägypten, lautet seine vage Begründung. Kompromisse? | |
Lehnt Youssef ab. Ein Humorideologe will er nicht sein. | |
„Der Druck auf uns und den Sender war zu groß“, erklärt er den Gästen in | |
der Akademie der Künste. Welcher Druck? „Ich werde keine Details verraten, | |
manchmal schmerzen Details.“ „Todesdrohungen?“, fragt jemand im Publikum. | |
„Lassen Sie uns über etwas Positives sprechen!“, blockt Youssef traurig | |
grinsend ab. Das Ende seiner Show, der Satiriker hüllt es in ein kleines, | |
wohl behütetes Mysterium. Wird er weitermachen? Als Chirurg werde er | |
jedenfalls nicht mehr arbeiten. | |
Die Frage, was Satire dürfe, beantwortete Tucholsky mit: „Alles.“ Darüber | |
lässt sich in Deutschland heute sicherlich wieder streiten. Doch wenn die | |
Grenzen zu eng sind, um „dem dicken Kraken an den Leib zu gehen, der das | |
ganze Land bedrückt“, dann soll Satire nicht sein. Schade. | |
6 Jul 2014 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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