| # taz.de -- Streetart in Ägypten: Auf die Straßen kommt es an | |
| > Mit „Walls of Freedom“ liegt nun ein opulentes Hochglanzstandardwerk über | |
| > die Straßenkunst der ägyptischen Revolution vor. | |
| Bild: Eine vielfach überschriebene und übermalte Wand. | |
| Es ist eines der interessantesten Begleitphänomene der arabischen | |
| Aufstände: Street Art, vor allem die in Ägypten, hat seit dem Beginn der | |
| Revolution vor dreieinhalb Jahren eine atemberaubende Entwicklung hinter | |
| sich. Die zeitgenössische Kunstform ist ein Lieblingsthema der | |
| Feuilletonisten, Künstler wie Ammar Abo Bakr sprechen auf internationalen | |
| Foren über die Bedeutung von Graffiti oder Stencils. Und noch immer ist das | |
| Thema brandheiß, denn in Ägypten verpufft Street Art nicht im luftleeren | |
| Raum. In Ägypten haben die Herrscher vor ihr Angst. | |
| Gerade erst wurde Ganzeer, einer der kritischsten Künstler der neuen Szene, | |
| öffentlich als Unterstützer der Muslimbrüder – lies: der Terroristen – | |
| gebrandmarkt. Das Übermalen seiner und anderer Wandbilder reicht dem Regime | |
| nicht, es nimmt die neuen Kunstformen als Bedrohung wahr. Basma Hamdy und | |
| Don Karl haben nun ein Buch herausgegeben, das zeigt, warum. „Walls of | |
| Freedom“ versammelt hunderte Werke zeitgenössischer ägyptischer Street Art, | |
| fast alle politisch, viele bereits übermalt, sei es vom Regime oder durch | |
| die Künstler selbst. | |
| „Walls of Freedom“ ist ein Zeitzeugnis, im wörtlichen Sinn, und zugleich | |
| ein Werk, das sich nicht ganz entscheiden kann, was es sein will: | |
| Standardwerk des revolutionären Narrativs in Ägypten oder bildgewaltige | |
| Dokumentation auf 260 Seiten Hochglanz. Und, ganz ehrlich: Das ist das | |
| Beste, was die beiden Herausgeber tun konnten. Die Bilder sind schlichtweg | |
| grandios, die Hintergrundtexte gut kuratiert und inhaltlich stark. | |
| Da ist die Dokumentation der großen Wandbilder in der | |
| Mohamed-Mahmoud-Straße, wohl das emotional am stärksten aufgeladene Stück | |
| Asphalt in Kairo. Am Schauplatz der brutalsten Kämpfe zwischen | |
| Demonstranten und Sicherheitsapparat arbeiteten die Künstler an ihren | |
| Werken, teils noch mitten im Blut und Tränengas. | |
| ## Die Märtyrer der Mohamed-Mahmoud-Straße | |
| Die Märtyrer, die für die Sache Gestorbenen, blickten stumm von den Wänden | |
| dieser Straße herab. Wie Chalid Sa’id, dessen Ermordung in Alexandria zur | |
| Inspiration für die später beginnenden Aufstände geworden war. Oder die | |
| Toten der Stadionkatastrophe von Port Said. | |
| Es gibt eine Fülle von Publikationen über Street Art in Ägypten, allen | |
| voran Mia Gröndahls Buch „Revolution Graffiti“. Aber „Walls of Freedom“ | |
| will mehr, will das ganze Bild. Mit seinem strikt chronologischen Aufbau | |
| und den vielen Texten erhebt das Werk fast schon einen wissenschaftlichen | |
| Anspruch. So was liest man nicht an ein paar Abenden durch. | |
| Aber auch wenn die Bilder äußerst ästhetisch daherkommen, sie sind eben | |
| auch keine leichte Kost, sie sind durchwirkt von Sinn. Zu Beginn der | |
| Revolution transportierten die Graffiti oft noch recht einfache Symboliken: | |
| ein als Teufel stilisierter Mubarak oder ein Schachbrett, auf dem eine | |
| Horde von Bauern den König überrennt. Doch zwischen den Zeilen ist extrem | |
| viel versteckt – und das Buch nimmt es tatsächlich auf sich, jeden | |
| arabischen Begriff zu übersetzen und indirekte Bezüge zu erklären. Das Buch | |
| ist für den internationalen Markt gedacht. | |
| Diesen Lesern erklärt Aya Tarek, Ägyptens bekannteste | |
| Street-Art-Künstlerin, in einem der gut 15 Essays, dass nicht etwa Kairo, | |
| sondern Alexandria die Wiege der ägyptischen Straßenkunst ist; dass es vor | |
| der Revolution sehr wohl schon Graffiti gegeben hat. Lange war Aya Tarek | |
| die einzige Frau in der Szene, die vor 2011 noch gar keine Szene war. | |
| ## Es geht um Teilhabe | |
| Mit am stärksten ist „Walls of Freedom“, wenn das Buch das Thema | |
| zeitgenössische Kunst verlässt, wie in dem großartigen Essay von Omar | |
| Robert Hamilton, „Everything Was Possible“. Dieser Text ist zuerst beim | |
| Onlinemedium MadaMasr erschienen, und dass Basma Hamdy und Don Karl ihn | |
| aufgenommen haben, zeugt von ihrem tiefen Verständnis für das | |
| zeitgenössische Ägypten. | |
| „The revolution is dead when we say it’s dead“, schreibt Hamilton, Sohn d… | |
| Schriftstellerin Ahdaf Soueif, die ebenfalls in dem Werk vertreten ist. | |
| Dieser Satz beschreibt, was jedes einzelne Graffito eben auch bedeutet: | |
| Ganzeers „Freedom Mask“, sein auf einen armen Jungen zielender Panzer, | |
| Ammar Abo Bakrs riesige optische Täuschung auf einer vom Militär | |
| errichteten Trennmauer – all diese öffentlichen Interventionen sind Zeichen | |
| dafür, dass junge Ägypter teilhaben, ihr Leben in die eigene Hand nehmen | |
| wollen und dafür wie selbstverständlich den öffentlichen Raum, die Straße | |
| nutzen. | |
| „The streets mattered“, schreibt Soueif, und das hat natürlich auch das | |
| Regime erkannt. Nichts zeigt das so deutlich wie der Terrorismusvorwurf an | |
| Ganzeer. Weitere Anschuldigungen werden wohl folgen. | |
| 20 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Christopher Resch | |
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