| # taz.de -- Kolumne Ordem e Progresso: Verschrottet die verdammten Gitter! | |
| > Das Geschäft mit der Angst: In Brasiliens Städten gibt es kaum Häuser, | |
| > die nicht vergittert sind. Es wird in Metallstäbe investiert statt in | |
| > Bildung. | |
| Bild: Eine Frau in Manaus fixiert die brasilianische Flagge an der vergitterten… | |
| Es muss eine Abrüstungsinitiative in Brasilien gestartet werden! Es ist | |
| kaum mehr zum Aushalten. Egal durch welche Stadt Brasiliens ich bislang | |
| gelaufen bin – es ist immer das gleiche Bild. Es gibt Eingesperrte und | |
| Ausgesperrte. Um in ein Haus hineinzugelangen, muss man zuweilen gar zwei | |
| Gitterbarrieren überwinden. Erst öffnet der Portier per Knopfdruck die | |
| erste Tür. Wenn sich diese geschlossen hat, dann wartet man in einem | |
| Korridor aus Metallstäben, bis sich auch die zweite Tür auftut. | |
| Hier habe ich erst verstanden, warum meine Vermieterin meine Frage nach | |
| einem Zimmersafe für Computer oder Wertsachen überhaupt nicht verstanden | |
| hat. So gut bewacht wie hier habe ich noch nirgends geschlafen. Jeder lebt | |
| hier in seiner Burg. Es fehlt nur die Zugbrücke und der Wassergraben. Aber | |
| ich habe als Auswärtiger natürlich gut reden. | |
| Es geht um die gefühlte Sicherheit. Und letztlich kommt man mit der | |
| Rationalisierung des Problems, ob diese Gittergigantomanie tatsächlich mehr | |
| Sicherheit einbringt, nicht weiter. Wenn man beim Nachbarn schon so schwer | |
| reinkommt, will man selbst es den Kriminellen auch nicht einfacher machen. | |
| So nimmt die Aufrüstungsspirale ihren Lauf. | |
| Im Dschungel Brasiliens mögen einige noch fieberhaft nach Gold suchen. In | |
| den Städten scheint das Gittergeschäft die wahre Goldgrube zu sein. | |
| Allerdings hat sich da offenbar jemand das Monopol aufs allgemeine Zu- und | |
| Aussperren gesichert. Es sind immer die gleichen klobigen Metallgerüste zu | |
| sehen. Monotone Einheitsware. Nun, gusseiserne Girlanden würden das | |
| drückende Bild auch nur marginal abmildern können. | |
| ## Bildung und medizinische Versorgung statt Metallstäbe? | |
| Und freilich könnten die Befürworter dieser Sicherheitsarchitektur jetzt | |
| ausrechnen, wie viele Arbeitsplätze all diese baulichen Maßnahmen samt den | |
| dazugehörigen Portiers mit sich bringt. Aus volkswirtschaftlicher | |
| Perspektive, so würden sie argumentieren, kann ein wenig Angst nicht | |
| schaden. Ganz im Gegenteil! | |
| Wenn man sich aber nicht den vermeintlich ökonomischen Imperativen | |
| unterwerfen möchte, sondern sich nach mehr Lebensqualität sehnt, dann | |
| sollten mutigere Maßnahmen in Erwägung gezogen werden. Probeweise könnten | |
| vielleicht Tage der offenen Tür eingeführt werden. Und wenn sich diese | |
| bewähren, sollte man über Verschrottungsprämien nachdenken. Oder noch | |
| besser: Über ein staatliches Programm werden ab jetzt Metallstäbe gegen | |
| Bildungsgutscheine oder ärztliche Vorsorgeuntersuchungen eingetauscht. | |
| Damit wären in Brasilien gleich mehrere Probleme auf einmal gelöst. | |
| Falls sich all diese Vorschläge auf nationaler Ebene nicht realisieren | |
| lassen, muss eine internationale Friedensinitiative gestartet werden. Wenn | |
| in den nächsten vier Jahren mindestens 50 Prozent aller Gitterbauten | |
| demontiert werden, darf die Seleção bei der nächsten WM ihr Tor vergittern, | |
| und Júlio César – dann als 38-Jähriger im besten Portiersalter – darf | |
| weiterhin davorstehen. Das Halbfinale von Belo Horizonte soll ja einmalig | |
| bleiben. Und Fifa-Präsident Sepp Blatter bekommt doch noch seinen | |
| Friedensnobelpreis. | |
| 11 Jul 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Johannes Kopp | |
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