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# taz.de -- Färöische Popmusik: Wo die Winterstürme komponieren
> Das Fernsehen kam spät, die traditionelle Hausmusik blühte. Das hat der
> jungen Szene der Popmusik der Färöer-Inseln einen eigenen Background
> gegeben.
Bild: Fernsehen gibt es auf den Inseln erst seit 1985. Gemeinsames Musizieren i…
Die Sängerin Eivør hat ihr Haus auf den Färöern verkauft. „Es war das
kleine Haus da hinten, gegenüber vom Strand, können Sie es sehen?“ Eine
ähnliche Antwort bekommt man meistens, wenn man auf den Färöern in einem
Ort nach einer Adresse fragt: Gerade mal knapp 50.000 Einwohner verteilen
sich auf die 18 Inseln, die im Nordatlantik zwischen Schottland und Island
liegen.
Die Hauptstadt Tórshavn ist mit 12.000 Einwohnern der einzige Ort, den man
als Stadt bezeichnen kann. Eivør Pálsdóttir sitzt auf dem Sofa eines Hauses
in Gøta, wo sie gerade ein Wohnzimmerkonzert gespielt hat. Die Fensterfront
gibt den Blick frei auf die wenigen Häuschen des Ortes. Graue Wolken
verdecken auch an diesem milden Julitag die Gipfel der Berge, die den Fjord
Gøtuvík einrahmen. Der Ort mit gut 500 Einwohnern gilt als Keimzelle eines
kleinen färöischen Popwunders, das vor etwa 15 Jahren begonnen und auch die
Sängerin Eivør hervorgebracht hat.
Ungewöhnlich viele junge Leute haben damals in Gøta Musik gemacht, den
Grund kann keiner so genau nennen. Sie haben einen Treffpunkt gegründet,
sich gegenseitig inspiriert und unterstützt. „Es gab einen Probenraum,
schauen Sie, das kleine rote Haus dahinten. Alle Musiker kamen dort
zusammen und haben gemeinsam gespielt. Auf den Färöern heißt es, Gøta sei
der Ort der Musik“, erinnert sich Eivør Pálsdóttir.
Eivør ist zwar einer der größten Popstars der Färöer. Doch über Island und
Skandinavien hinaus ist die Singer-Songwriterin mit dem markanten Sopran
kaum bekannt. Sie ist längst nach Dänemark gezogen, denn die grünen,
baumlosen Inseln sind einfach zu abgelegen für eine Musikerkarriere. „Die
größte Schwierigkeit für Musiker besteht hier in den Kosten der
Flugtickets. Es ist sehr teuer, auf Tour zu gehen. Und genau das ist es,
was man tun muss.“
Oder man holt Musiker zu sich. 2002 hat Jón Tyrill, ein anderer Musiker aus
Gøta und einst Gitarrist der Band Clickhaze, mit diesem Gedanken ein
Popfestival gegründet. Es heißt „G!“ und findet jedes Jahr im Juli statt,
die Hauptbühne steht am Strand des kleinen Ortes. Eine besondere Kulisse,
die auch bekanntere Künstler wie die britische Band Travis schon
hierhergelockt hat. Doch vor allem ist das Festival eine Plattform für die
färöische Popmusikszene, die inzwischen ein sehr breites Spektrum an Stilen
bietet, von Singer-SongwriterInnen wie Eivør oder Teitur über den
Elektropop des Duos Byrta bis zu Doom Metal.
## Viele traurige Geschichten
Diese Spielart des Metal wird hier von der Band Hamferd, ja: zelebriert:
Sechs junge Männer stehen in schwarzen Anzügen auf der Bühne und spielen
mit ernsten Gesichtern ihre sehr laute Musik – bis zu zehn Minuten lange
Stücke, Metal-Arien von wagnerscher Schwere. „Unsere Ernsthaftigkeit auf
der Bühne hat nichts Ironisches“, betont Hamferd-Gitarrist Theodor Kapnas.
Die Lieder der Band sind melancholische Geschichten von Tod und Verlust.
„Wir haben im Winter sehr heftige Stürme. Die Menschen leben hier schon
immer vom Fischfang, und lange waren Boote auch das Hauptverkehrsmittel. Es
gibt viele sehr traurige Geschichten von Schiffsunglücken, bei denen ganze
Dörfer ihre Männer und ihre Lebensgrundlage verloren haben. Und auch wenn
jetzt Sommer ist, kann man das spüren – diese Winterstürme haben sich in
das Land und die Leute eingeschrieben.“
Inzwischen gibt es auf den Färöern ein sehr gut ausgebautes Straßennetz,
mit Brücken und sogar unterseeischen Tunneln, die einige der Inseln
verbinden. Doch wenn ein schweres Autounglück passiert, ist das immer noch
eine landesweite Tragödie: Oft hat jeder Insulaner einen Angehörigen,
Freund oder Bekannten unter den Opfern.
Dass das Land so wenige Einwohner hat, ist für seine Musiker Schwierigkeit
und Chance zugleich. Über die Schwierigkeiten sind sich alle einig: Auf den
Inseln kann man kaum mehr als drei, vier Konzerte im Jahr geben, ohne
seinen Landsleuten auf die Nerven zu gehen. Über die Chancen gibt es
verschiedene Ansichten. Für Eivør ist es der enge Kontakt unter den
Künstlern: „Man trifft sich oft und kooperiert viel. Mein Bassist, Mikael,
spielt etwa in der Hälfte der färöischen Bands, die dieses Jahr auf dem G!
Festival aufgetreten sind.“
## Der „Pate der färöischen Musik“ ist ein Däne
Tatsächlich spielen einige sehr gute Musiker in vielen Bands – das lässt
Jón Tyrill, den Gründer des Festivals, einen gewagten Vergleich ziehen: „Es
ist ein ähnliches Prinzip wie damals bei Motown: Eine kleine, sehr gute
Gruppe von Musikern arbeitet mit vielen verschiedenen Künstlern zusammen.
Dazu kommt, dass unsere Gesellschaft wirklich sehr überschaubar ist. Wenn
ich möchte, dass meine Musik im Radio gespielt wird, oder wenn ich irgendwo
auftreten möchte, habe ich die Nummer des Ansprechpartners meist schon in
meinem Telefon.“
Eine Nummer, die sicher jeder Färöer Musiker in seinem Telefon hat, ist die
von Kristian Blak. Der 67-Jährige wird gerne und zu Recht als „Pate der
färöischen Musik“ bezeichnet – Blak ist Däne, was seinen Ehrentitel noch
etwas glanzvoller macht, denn die Färinger brauchen lange, um einen als den
Ihren zu bezeichnen.
1972 ist Blak als Lehrer auf die Färöer gekommen, mit seinen Schülern hat
er verschiedene Bands gegründet, er selbst ist Jazzmusiker. 1977 hat er mit
anderen Musikern das erste Musiklabel des Landes gegründet: Tutl – bis
heute das einzige nennenswerte Label der Inseln. Und es bedient absolut
alle Musikstile, denn es arbeitet nach einem einfachen Prinzip: „Wenn
jemand von den Färöern eine CD veröffentlichen will, dann gibt es gar keine
Diskussion, dass wir das tun, es sei denn, es gäbe moralische Bedenken“,
erklärt Kristian Blak, „aber das ist bis jetzt noch nicht passiert. In sehr
wenigen Fällen haben wir den Musikern geraten, noch einmal ins Studio zu
gehen.“
## Klang der fremden Sprache
Es gibt tatsächlich sehr viele gute Musiker unter den Färingern, was wohl
auch daran liegt, dass es auf den Inseln erst seit 1985 Fernsehen gibt:
Gemeinsames Musizieren und vor allem Singen spielen bis heute eine sehr
große Rolle. Dabei steht aber noch traditionelle Musik im Vordergrund,
popmusikalische Impulse gehen von den Färöern kaum aus – ganz anders als
vom Inselnachbarn Island, dessen isolierte geografische Lage ja gerade für
seine innovative Musikszene verantwortlich gemacht wird. Doch das kleine
färöische Popwunder ist auch noch jung, und die Zahl der
Veröffentlichungen, gemessen an der Einwohnerzahl, beachtlich.
Gefallen an der färöischen Popmusik könnte finden, wer dem Klang dieser
fremden Sprache gegenüber aufgeschlossen ist – viele Popmusiker singen in
ihrer Landessprache –, und wer melancholische Klänge liebt. Kristian Blak
formuliert es so: „Es heißt, die Musik von den Färöern sei langsam und
düster. Damit lässt man allerdings die schnelle Musik außer Acht.“ Und da
lacht der Pate der färöischen Musik in seinen grauen Vollbart.
5 Aug 2014
## AUTOREN
Dirk Schneider
## TAGS
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