# taz.de -- Neue Singer-Songwriterinnen: Feen und coole Klageweiber | |
> Marissa Nadler, Rose Kemp oder Alela Diane - wie "authentisch" sind die | |
> neuen Fräuleinwunder der Popmusik? | |
Bild: Edgar Allan Poe lässt grüßen: Cover von Rose Kemps "Unholy Majesty". | |
Alles begann in einer Badewanne. Vor fünf Jahren schwappte aus dieser Wanne | |
ein märchenhafter Klang in die Welt. Er wurde von Feen und Einhörnern in | |
die Welt getragen und kündete von der wundersamen Geschichte zweier | |
Schwestern, die im Kindesalter getrennt worden und nun endlich wieder | |
vereint waren. Zur Feier ihrer wiedergewonnenen Ganzheit schlossen sich | |
Sierra und Bianca Casady kurzerhand in ein Pariser Badezimmer ein und | |
erschufen aus dem Nichts eine himmlische Mischung aus Kinderzimmer, Oper | |
und durchgeknallter Folkmusik. "Es war für uns beide, als ob eine Tür | |
geöffnet würde, durch die wir endlich ins Freie konnten." | |
So geht die Geschichte der Schwestern-Band CocoRosie. Es ist aber auch die | |
Geschichte einer neuen Generation von Singer-Songwriterinnen, eine | |
Geschichte von Klageweibern, Schamanen-Sängerinnen, weltabgewandter | |
Folk-Feen und Antipopgöttinnen, die ihre eigene Version von Folk etablieren | |
und dem Genre des Singer-Songwritertums auch in diesem Jahr zu einem nicht | |
enden wollenden Boom verhelfen. | |
Das Authentische und das Düstere sind Urmotive der Popmusik. Authentisch | |
ist, wer glaubwürdig, ehrlich oder bodenständig ist. Authentische Künstler | |
planen ihre Erfolge deshalb auch nicht - Erfolge kommen vielmehr über sie. | |
Die Schwestern CocoRosie hatten angeblich niemals vor, ihre | |
Badewannen-Recordings zu veröffentlichen. Angeblich nur durch Zufall wurden | |
sie zu einer der Platten des Jahres 2004. | |
Das Unechte und die aufgesetzten Gefühle sind die Feinde und sind vor allem | |
im Mainstream, in der Industrie zu finden. Da, wo das Geld ist. Kommen das | |
Authentische und das Düstere in einer Person zusammen, steht einer späteren | |
Ikonisierung nichts mehr im Weg - ein früher Tod vorausgesetzt. Kurt Cobain | |
war so eine Figur, Jim Morrison natürlich, Janis Joplin oder die | |
Bluessängerin Bessie Smith. Nur der an sich selbst leidende Künstler ist | |
ein wahrer Künstler, sagt der Authentizitätsglaube. | |
Die 28-jährige US-Amerikanerin Marissa Nadler pflegt dies besonders. Auf | |
ihrem im Februar erschienenen Album "Little Hells" singt Nadler über das | |
Unglück junger Mädchen, die Lasten des Lebens, den Leichenzug einer | |
Trauergemeinde und den Tod: "Du warst tot und ich war tot und alle Blumen | |
um uns herum waren tot", heißt es im ersten Song "Heart Paper Lovers". | |
Auf früheren Platten besang Nadler die Selbstmorde von Virginia Woolf und | |
Sylvia Plath. Ihre Homepage schmückt ein Gemälde von Katy Horan: | |
Gespenster, Baumskelette, mystische Frauenfiguren, rituelle | |
Naturbeschwörung und Totenköpfe, ganz wie in Nadlers Musik. Edgar Allan Poe | |
und die dunkle American Gothic lassen grüßen. Nadlers Stimme schwebt über | |
elektronischem Theremin, Akustikgitarre und Hammondorgel. Man würde ihrer | |
Stimme ohne Zögern in die Unterwelt folgen. Die Musik klingt wie ein | |
ätherischer Hall aus dem Jenseits. | |
Bei der britischen Singer-Songwriterin Rose Kemp hat dieses Jenseits ganz | |
und gar nichts Zartes. Es ist ein Dröhnen, Grollen und Zetern. Auf ihrer | |
Myspace-Seite flackert ein Friedhof auf und das Cover ihrer im letzten | |
Herbst erschienenen Platte "The Unholy Majesty" erinnert an Tim Burtons | |
"Sleepy Hollow": eine Elster im Vordergrund, der Blut vom Schnabel tropft, | |
im Hintergrund eine Kappelle. Schon als Kind ist Rose gemeinsam mit ihren | |
Eltern aufgetreten, Pionieren der britischen Folkmusik, die bei "Steeleye | |
Span" spielten. | |
Seit sie zwölf Jahre alt ist, schreibt Rose Songs und hat schon diverse | |
Nebenprojekte gegründet wie die italienische Doom-Metal-Band Ufomammut. | |
Ihre Liebe zu Heavy Metal und Doom, einem sehr langsamen, besonders | |
düsteren Subgenre von Metal, ist auf "Unholy Majesty" zu hören. Ein | |
vertonter Albtraum. | |
Die Karrieren dieser Fräuleinwunder werden zumeist ähnlich erzählt: Es ist | |
die alte Geschichte vom Originalgenie, das aus sich selbst heraus große | |
Kunst erschafft. Das gar nicht anders kann, als Kunst zu machen, und dabei | |
ganz bei sich ist. Zuletzt wurde diese Geschichte am Beispiel der jungen | |
österreichischen Sängerin Soap&Skin ausführlichst erzählt. | |
Sie wolle in ihrer Musik menschliche Abgründe zu Ende denken, sagt auch die | |
Schwedin Karin Dreijer-Andersson, die vor drei Jahren gemeinsam mit ihrem | |
Bruder unter dem Bandnamen The Knife berühmt wurde. Nun hat sie ihr erstes | |
Soloalbum vorgelegt, "Fever Ray" - elektronische Musik wie aus einem | |
Fiebertraum, langsam und düster. | |
Sie sagt, die meisten ihrer Songs seien in einem Schattenreich zu Hause, | |
zwischen Schlafen und Wachen. "This will never end, I want more, give me | |
more, give me more", sind die ersten Worte dieses Albums, die sich wie eine | |
Umkehrung von Edgar Allan Poes Gedicht "The Raven" lesen. Unterkühlt und | |
gefühlvoll, ein eleganter Dauerfrost aus Einsamkeit und wohliger | |
Hoffnungslosigkeit - Erlösung ausgeschlossen. "Fever Ray" hat das Zeug zur | |
neuen Antipopgöttin. | |
Und eine solche wird momentan wohl dringend gebraucht. Die wahlweise | |
feenhaft oder düsteren Klageweiber des Pop haben Konjunktur. Ihrer Zahl | |
sind viele und alle haben sie die gleichen Vorbilder: Björk, PJ Harvey, Cat | |
Power und immer wieder Nico, die deutsche Chanteuse von Velvet Underground. | |
"Warum Selbstmord begehen, wenn man dieses Album kaufen kann?" Mit diesem | |
launigen Slogan bewarb die Plattenfirma Island Records 1974 Nicos viertes | |
Soloalbum "The End". Der Werbespruch zeigt eines der Erfolgsgeheimnisse der | |
gemarterten Sängerinnen. Wenn wir ihre Alben hören, können wir über | |
Wohlstandsbäuche hinweg gefahrlos in den Abgrund schauen und Verzweiflung | |
kosten. Fallen werden immer nur die anderen. | |
Genau dafür liebt das Feuilleton die Klageweiber des Pop. Man sehnt sich | |
nach dem Monster in der Künstlerin, nach Musikerinnen, die nicht von | |
Castingshows gemacht werden, sondern zum Künstlersein geboren sind und | |
durch Kunst etwas von sich selbst preisgeben. "Echte" Kunst soll nicht | |
Marketinghirnen, sondern allein der Fantasie entsprungen sein. | |
Einer Fantasie, die sich als Gegenentwurf zum exhibitionistischen | |
Dauerlächeln des Mainstreams und seinen Millionen Lady Gagas in eine Welt | |
voller Zauberfeen, mystischer Gestalten und traumatisierter Seelen | |
zurückzieht. Ernsthaftigkeit, Bedeutung und Tiefe kann es in der | |
Gesellschaft des Spektakels für die Klageweiber nur durch die Flucht in die | |
Innerlichkeit geben. | |
Oder zurück in die Natur und die Welt der Vorfahren, wie uns die 26-jährige | |
Alela Diane auf ihrem neuen Album "To be still" demonstriert. Mit dem | |
Freak-Folk der Schwestern CocoRosie hat Alela Diane wenig gemein. Vielmehr | |
bedient sie sich am klassischen Instrumentarium der Bluegrassmusik: wenig | |
verspielte Songs mit Fiddle, Banjo, Mandoline und Gitarre. Ihre Musik | |
klingt, als sei sie völlig im Reinen mit sich, kein Zweifel nirgends. | |
Ihre Texte handeln von goldenen Bergrücken und Wäldern, von den Vorfahren, | |
die ihr Worte zuflüstern, während sie mit einem Freund Blattskelette | |
sammelt, oder von den Erlen, die Songs aus längst vergangenen Zeiten | |
lauschen. "Take us back", diesen Songtitel ihres neuen Albums kann man | |
durchaus programmatisch lesen. | |
Wenn Alela Diane nicht auf Tour ist, lebt sie sehr zurückgezogen - ohne | |
Internet, ohne Fernsehen und ohne Handy. "Diane wirkt als | |
Anti-Entfremdungsgift fürs entwurzelte postmoderne Subjekt", schrieb die | |
Musikzeitschrift Spex. Ihre Musik sei eine Verheißung - für ein Leben im | |
Einklang mit Natur, Tradition, Familie und sich selbst. Aber kann es das | |
wirklich geben? | |
Die Lady Gagas und R&B-Aerobic-Springmäuse des Mainstream werden so als | |
Trash abgetan und die neuen Fräuleinwunder für ihre vermeintliche | |
Ehrlichkeit und Echtheit gefeiert. | |
Aber repräsentieren die Sängerinnen, die sich auf ihr Originalgenie und die | |
Natur berufen, wirklich mehr als eine Werbemasche? Die Liste der | |
Singer-Songwriterinnen ließe sich endlos erweitern, die so bei der Masse | |
immer größere Erfolge feiern. Cat Power, Katie Melua, Amy Macdonald… | |
Sind die Modelle Lady Gaga und Alela Diane also nicht letztlich Konstrukte | |
desselben Diskurses und der Musikindustrie? Mit dem Unterschied, dass die | |
vermeintlich böse Seite die Narben ihrer Schönheitsoperationen zeigt und | |
nicht weißmachen will, diese seien erster Natur. | |
Der alte Streit von Schein und Sein, am Ende ists nur einer ums Marketing? | |
Marissa Nadler, "Little Hells" (Kemando Records/Rough Trade); Rose Kemp, | |
"Unholy Majesty" (One Little Indian/Rough Trade); Fever Ray, "Fever Ray" | |
(Rabid/Cooperative Music); Alela Diane, "To be still" (Fargo Records/Rough | |
Trade) | |
19 Jun 2009 | |
## AUTOREN | |
Caroline von Lotzow | |
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