# taz.de -- Himmelsforscher in Berlin: Die nach den Sternen greifen | |
> Vor 150 Jahren wurde von Berlin aus der Neptun entdeckt. Heute erforschen | |
> Wissenschaftler zum Beispiel die Auswirkung von Sonnenstürmen auf die | |
> Erde. | |
Bild: Was gibt es da alles zu entdecken am Himmel über Berlin? Etwa ein Schwar… | |
Der Ort der Sternstunde der Berliner Astronomie liegt von der taz nur zwei | |
Gehminuten entfernt. Aus der Rudi-Dutschke-Straße in die Charlottenstraße, | |
dann hinein in die winzige Enckestraße, eine Sackgasse vor der Akademie des | |
Jüdischen Museums. Viele kennen den Straßenstummel nur als | |
Parkplatzreserve. Zwischen einem Basketballkorb und einer leidlich | |
gepflegten Grünanlage erinnert hier nichts an jenes Ereignis vor fast 150 | |
Jahren – außer dem Namen: Johann Franz Encke war Direktor der Berliner | |
Sternwarte, die genau hier stand, und am 23. September 1846 wurde von | |
dieser Sternwarte aus der Neptun entdeckt. | |
Genau genommen war es so: Encke hatte an diesem Tag, seinem Geburtstag, | |
einen Brief aus Paris bekommen. Ein französischer Astronom vertrat darin | |
die Theorie, es müsse einen noch unbekannten Himmelskörper geben, der die | |
Bahn des Uranus störe – ob sich die Kollegen in Berlin, die in der | |
Kartierung des Sternenhimmels erfahren seien, das einmal ansehen wollten? | |
Encke wollte, hatte aber für den Abend bereits einen Umtrunk geplant. Und | |
so war es sein junger Assistent Johann Gottfried Galle, der durchs Teleskop | |
der Sternwarte ein kleines bläuliches Scheibchen sah, welches – so viel | |
stand am nächsten Tag fest – seine Position zu den Fixsternen veränderte | |
und also ein Planet sein musste. | |
Matthias Steinmetz erzählt diese Anekdote gerne und ist sichtlich | |
fasziniert von solchen Pionierleistungen – dabei liegen zwischen seinen | |
Methoden und denen Enckes Lichtjahre. Steinmetz leitet das Leibniz-Institut | |
für Astrophysik Potsdam (AIP), eine der bedeutenderen Einrichtungen ihrer | |
Art in Deutschland. In historischen sowie hochmodernen Gebäuden auf einem | |
Campus am Rande des Babelsberger Parks erforschen über 100 Wissenschaftler | |
aus rund 30 Nationen Dinge wie die Auswirkung von Sonnenstürmen und die | |
Entstehung von Galaxien. | |
All das ist hochkomplex und spezialisiert. In den Himmel über Berlin und | |
Brandenburg schaut man hier höchstens noch zu Testzwecken – die Messdaten, | |
mit denen gearbeitet wird, kommen von den großen Observatorien in der | |
Atacamawüste und im Westen der USA, auf Hawaii und Teneriffa. „Vergangenen | |
Winter erst haben wir bei der Europäischen Südsternwarte in Chile ein Gerät | |
eingebaut, das wir hier konstruiert haben“, erzählt Steinmetz, „und andere | |
Kollegen installieren gerade im Large Binocular Telescope auf dem Mount | |
Graham in Arizona einen Spektrografen.“ | |
Ein Spektrograf ist ein Instrument, das über das Licht, das unser Auge nur | |
als helles Pünktchen sieht, detaillierte Informationen liefert und somit | |
Rückschlüsse erlaubt, wie heiß ein Stern ist, welche Schwerkraft dort | |
herrscht oder aus welchen Elementen er besteht. Die Grundlagen dieser | |
Methode wurden Mitte des 19. Jahrhunderts gelegt, nicht lange nach der | |
Neptun-Entdeckung. Sie machte die Astronomie zur Astrophysik. Enckes | |
Nachfolger als Sternwartendirektor, Wilhelm Foerster, regte die Einrichtung | |
eines Astrophysikalischen Observatoriums zur Beobachtung der Sonne an. Es | |
wurde 1874 auf dem Potsdamer Telegrafenberg eröffnet. 1913 emigrierte auch | |
die Berliner Sternwarte an der heutigen Enckestraße – die längst nicht mehr | |
vor den Toren Berlins lag, sondern mittendrin in den Lichtern der Großstadt | |
– nach Babelsberg. Aus beiden Einrichtungen ging letztlich das AIP hervor, | |
das jährlich von Bund und Ländern 10 Millionen Euro und rund 4 Millionen | |
aus Drittmitteln bezieht. | |
Und wozu das Ganze? Steinmetz lacht. „Zuerst einmal treibt uns die | |
menschliche Neugier an, der Wunsch, Dinge zu verstehen, die wir bis jetzt | |
noch nicht verstehen. Das ist die Triebfeder der Wissenschaft.“ Dabei liegt | |
es auf der Hand, dass Erkenntnisse über solare Plasmastürme, die Satelliten | |
oder ganze Stromnetze außer Gefecht setzen können, auch ganz praktischen | |
Nutzen haben können. | |
Steinmetz verweist aber auch auf die Spin-offs, die entstünden, wenn man | |
immer neue Technologien entwickelt, um zu sehen, was bislang unsichtbar | |
ist. „Hier in Potsdam liegen die Anfänge der Digitalkamera“, erklärt der | |
48-Jährige, der schon 2004 Wissenschaftlicher Vorstand des Instituts wurde. | |
Mit der Fotozelle hätten die Astrophysiker nämlich eine Vorrichtung | |
entwickelt, um Helligkeitsunterschiede nicht mehr nur durch Vergleich | |
bestimmen zu können. Und heute befinde sich das AIP in einer Kooperation | |
mit der Charité: Man untersuche, ob sich mit der am Institut neu | |
entwickelten 3-D-Spektrografie die Hautkrebsdiagnostik verbessern lasse. | |
## Humboldt hilft Berlin | |
Zoomen wir noch einmal kurz aus der Gegenwart heraus, zurück ins Jahr 1825. | |
Damals kam Johann Franz Encke gerade als Direktor an die Berliner | |
Sternwarte, die sich zu diesem Zeitpunkt noch in einem Zweckbau in der | |
Dorotheenstadt befand und mit dem Instrumentarium etwa des Königsberger | |
Pendants nicht mithalten konnte. Es war Alexander von Humboldt, der seinen | |
Einfluss beim preußischen König geltend machte, damit Encke bessere Geräte | |
anschaffen konnte (vor allem ein Refraktorteleskop aus der Münchner | |
Werkstatt von Joseph Fraunhofer) und den Bau der neuen Sternwarte südlich | |
der Friedrichstadt bewilligt bekam. Architekt des 1835 eingeweihten | |
Gebäudes im klassizistischen Stil war kein Geringerer als Karl Friedrich | |
Schinkel – was das Observatorium knapp 80 Jahre später nicht vor dem Abriss | |
bewahren konnte: Mit dem Verkauf des Grundstücks finanzierte man den Umzug | |
nach Babelsberg. | |
## Der Lauf der Sterne | |
Teil der Vereinbarung über den Bau von Enckes neuem Arbeitsplatz war es, | |
dass das Observatorium an zwei Abenden in der Woche auch anderen Bürgern | |
zugänglich sein sollte, die sich für den Lauf der Sterne interessierten. | |
Vom Konzept der Volkssternwarte, die allen Gesellschaftsgruppen einen | |
Zugang zur Astronomie vermittelt, war man aber noch weit entfernt. Dazu kam | |
es erst durch die Urania-Sternwarte in Moabit mit ihrem ersten Astronomen | |
Friedrich Simon Archenhold sowie den Bau eines Riesenfernrohrs durch | |
Archenhold im Jahr 1896 anlässlich einer Gewerbeausstellung auf dem Gelände | |
des heutigen Treptower Parks. Als die 21-Meter-Röhre fertig war, sollte sie | |
auch weiterhin der Allgemeinheit zugänglich sein. Die alsbald gegründete | |
Archenhold-Sternwarte holte für alle die Sterne vom Himmel – und tut es | |
heute noch. | |
Bernhard Mackowiak rennt zum dritten Mal kurz vor die Tür und kommt mit | |
schlechten Nachrichten zurück: „Das Luder zeigt sich immer noch nicht.“ Das | |
Luder ist an diesem Nachmittag der Hauptdarsteller in der | |
Archenhold-Volkssternwarte, versteckt sich jedoch hinter träge ziehenden | |
Wolken: die Sonne. Mackowiak bietet hier im Auftrag des Deutschen | |
Technikmuseums, zu dem die Sternwarte inzwischen gehört, Führungen an: | |
heute eine Demonstration des Heliostaten, einer Vorrichtung aus Spiegeln | |
und Prismen, die ein Abbild der Sonne an die Wand eines kleinen Hörsaals | |
projiziert. Wenn sie denn scheint. | |
Allzu sehr lässt sich der 62-Jährige dann aber nicht aus der Ruhe bringen. | |
In Ermangelung der leuchtenden Scheibe mit ihren geheimnisumwobenen Flecken | |
zeigt er eben bunte Grafiken vom Beamer. Das knappe Dutzend Zuhörer, | |
darunter mehrere Kinder, hält der Mann mit den Planeten auf dem T-Shirt und | |
der lauten Stimme problemlos bei der Stange. | |
„Im Prinzip ist die Sonne eine andauernde Wasserstoffbombenexplosion“, | |
erklärt Mackowiak und lässt alle ihre Hände so fest wie möglich | |
gegeneinanderdrücken. Dass schon dabei etwas Wärme entsteht, soll | |
verdeutlichen, welch enorme Energie frei wird, wenn im Zentrum eines Sterns | |
die Atome miteinander verschmelzen. Auch er spricht über die | |
Spektralanalyse, den „Zauberstab der Astronomie“, über Magnetwirbel und die | |
Granulation der Sonnenoberfläche („sieht aus wie Graupensuppe“). Gezeigt | |
hat sich die Sonne bis zum Ende des Vortrags nicht, es nieselt sogar, aber | |
alle haben etwas gelernt. | |
Bis zu 50 Führungen im Jahr biete er an, erzählt der | |
Wissenschaftsjournalist, während er etwas Mühe hat, das altersschwache | |
Blechhäuschen zu schließen, das den Heliostaten vor der Witterung schützt. | |
Kinder und Jugendliche, von der Kitagruppe bis zur Gymnasialklasse, hörten | |
meist aufmerksam zu – zumal auch im kleinen Planetarium der Sternwarte | |
keine Show vom Band läuft: „Sonst können Sie sich ja vorstellen, was | |
passiert, wenn erst mal das Licht ausgeht.“ | |
## Apollo-Mission der Nasa | |
Der gesellschaftlichen Wirklichkeit ist aber auch das AIP in Babelsberg | |
nicht entrückt. Matthias Steinmetz betrachtet die Öffentlichkeitsarbeit | |
sogar als wichtigen Aspekt seiner Arbeit, mit dem man Kinder und | |
Jugendliche für wissenschaftlich-technische Fächer begeistern könne – | |
einfach weil sie hier so gut andocken können: „Wovon sind die Kleinen immer | |
fasziniert? Dinosaurier und Sterne.“ | |
Er weiß, wovon er spricht: Bei der Apollo-13-Mission der Nasa im Jahr 1970 | |
war er vier Jahre alt, wollte aber unbedingt mit vor den Fernseher. „Ich | |
bin dann vor Erschöpfung eingeschlafen.“ | |
Dieser Text ist Teil des Wochenendschwerpunkts in der taz.berlin. In der | |
Printausgabe zusätzlich: ein genauer Blick in den Himmel über Berlin und | |
Antworten auf die Frage, wer in den Himmel kommt. | |
9 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Claudius Prößer | |
## TAGS | |
Wissenschaft | |
Berlin | |
Astronomie | |
Prenzlauer Berg | |
Chile | |
Kanaren | |
Weltall | |
Raumfahrt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Entdeckung des Planeten Neptun: Der Himmel über Berlin | |
Geschichte und Astronomie: Wie Johann Gottfried Galle auf dem Gelände des | |
taz-Neubaus den Planeten Neptun entdeckte. | |
Planetarium in Prenzlauer Berg: Die Sterne strahlen wieder | |
Das Zeiss-Großplanetarium eröffnet am Donnerstag nach zwei Jahren | |
Modernisierung und macht nun „Wissenschaftstheater“. | |
Der Norte Chico in Chile: Pisco trinken, Sterne sehen | |
Im wüstenähnlichen Gebirge wird das Nationalgetränk, ein Traubenschnaps, | |
gemacht. Aber es gibt andere Gründe, sich auf die Einsamkeit einzulassen. | |
La Palma auf den Kanaren: Wo das Firmament strahlt | |
Die größte Sternwarte Europas mit optimalen Bedingungen steht auf dem Roque | |
de los Muchachos. Dort werden nächtliche Touren angeboten. | |
Erwachendes Schwarzes Loch entdeckt: 20 Millionen Sonnen schwer | |
Astronomen haben ein Materie-Monster im All entdeckt. Das supermassive | |
Schwarze Loch hat vermutlich die Masse von 20 Millionen Sonnen. | |
US-Astronautentransporte geplant: Nasa will sich emanzipieren | |
Die Abhängigkeit von Russland soll beendet werden. Deshalb wird die Nasa | |
zusammen mit Boeing und SpaceX wieder selbst Astronauten ins All | |
transportieren. | |
Mini-Sonnenfinsternis durch die Venus: Auf Wiedersehen in 105 Jahren | |
Weltweit standen am Mittwoch morgen viele Menschen früher als sonst auf, um | |
den Transit der Venus nicht zu verpassen. Doch vielerorts war eher ein | |
Wolkentransit zu beobachten. | |
taz-Serie "So wird 2012" (Teil 3): "Die alten Maya würden sich wundern" | |
Am 21. Dezember geht die Welt unter - sagen jedenfalls selbsternannte | |
Maya-Experten. Astronomin Monika Staesche wüsste nicht, warum. |