# taz.de -- Westbalkan-Konferenz in Berlin: „Wir beschweren uns über alles“ | |
> Serbien will 2020 EU-Mitglied werden, doch die Reformen im Land stocken. | |
> Regierungschef Vučić gilt in Brüssel als Hoffnungsträger. | |
Bild: Ehemalige Regierungsmitglieder werfen Serbiens Ministerpräsident Vučić… | |
BERLIN taz | Bundeskanzlerin Angela Merkel lädt am Donnerstag zu einer | |
Wirtschaftskonferenz mit den Westbalkanstaaten in Berlin. Serbiens | |
Ministerpräsident Aleksandar Vučić setzt viel Hoffnung in den Besuch. Das | |
Land ist das Bevölkerungsreichste im Westbalkan und möchte 2020 der | |
Europäischen Union beitreten. Ausgerichtet wird die Konferenz vom | |
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie. | |
Staatschefs und Wirtschaftsvertreter der Balkanstaaten wollen gemeinsam mit | |
deutschen Unternehmern über die Geschäftsaussichten in der Region beraten. | |
Gespräche sind bitter nötig, denn Serbiens Wirtschaft steht seit Jahren | |
kurz vor dem Bankrott. Reformen konnten bislang nicht umgesetzt werden. | |
Mitte Juli trat überraschend Serbiens Finanzminister Lazar Krstić zurück. | |
Die Bewältigung der schweren Wirtschaftskrise sei unter Regierungschef | |
Aleksandar Vučić nicht durchsetzbar, begründete Krstić seine Entscheidung. | |
Der 30-jährige war erst ein Jahr zuvor zum Finanzminister berufen worden. | |
Vor einem halben Jahr verließ bereits der damalige Wirtschaftsminister Saša | |
Radulović aus dem selben Grund sein Amt. Auch er hatte Vučić damals | |
vorgeworfen, ein Populist zu sein. Der Ministerpräsident sei unwillig, | |
Reformen durchzuführen. Seit Anfang August ist Dušan Vujović neuer | |
Finanzminister Serbiens. Vujović, der früher bei der Weltbank angestellt | |
war und an der Harvard Business School unterrichtete, war erst im April | |
dieses Jahres Radulović beerbt hatte. | |
Den Kurs seines Vorgängers Krstić möchte er fortsetzen und wenn nötig, die | |
Renten und Gehälter im öffentlichen Sektor kürzen um den Staatshaushalt | |
auszugleichen. Anders als sein Vorgänger gibt sich Vujović optimistisch: | |
„Serbien hat jetzt eine einmalige Chance, denn es bietet Investoren | |
momentan sehr günstige Preise.“ | |
Ministerpräsident Aleksandar Vučić, der gleich bei seinem Amtsantritt im | |
April 2014 strukturelle Reformen angekündigt hatte, gilt in Brüssel als | |
Hoffnungsträger. Vučić hatte seine Karriere 1993 als extremistischer | |
Nationalist in der Serbischen Radikalen Partei (SRS) begonnen. Heute gibt | |
er sich geläutert. „Serbien muss finanzpolitische Maßnahmen ergreifen. | |
Sonst enden wir wie Griechenland“, sagte der Regierungschef im Juni bei | |
einem Treffen mit Journalisten in seiner Belgrader Residenz. „Wir werden | |
versuchen, das Klima für Investoren zu verbessern, denn wir haben keine | |
andere Wahl“. | |
Möchte Aleksandar Vučić sein Land 2020 in der Europäischen Union sehen, | |
muss er es schnell reformieren. Serbien hat sieben Millionen Einwohner. | |
Rund die Hälfte aller ArbeitnehmerInnen sind im öffentlichen Dienst tätig – | |
insgesamt 740.000. Betriebe wie die Telekom und die Post befinden sich in | |
staatlicher Hand. Im Zentrum der Reformen steht das Privatisierungsgesetz, | |
das eine Auslagerung oder Schließung der bankrotten staatlichen Unternehmen | |
vorsieht. | |
Auch der neue Finanzminister Vujović hat ehrgeizige Pläne: bis Ende 2016 | |
will er die Privatisierung von 584 Betrieben vorantreiben. Verändert werden | |
soll auch das Arbeitsgesetz, das sowohl die Einstellung als auch die | |
Kündigung von Mitarbeitern, erleichtern soll. Das rigide Gesetz hindert | |
derzeit viele Investoren daran, in Serbien zu investieren. Aktuell muss bei | |
einer Kündigung eine Abfindung für alle Dienstjahre gezahlt werden, auch | |
wenn sie teilweise in einem anderen Unternehmen geleistet worden sind. | |
Jetzt soll durchgesetzt werden, dass Abfindungen erst ab dem Zeitpunkt der | |
Einstellung ausgezahlt werden sollen. Die Umstrukturierung des Gesetzes ist | |
bereits seit knapp zehn Jahren im Gespräch. Bislang bliebt es lediglich | |
Reformankündigungen. | |
Serbien hat zudem ein demografisches Problem. Das bevölkerungsreichste Land | |
im Balkan hat eine der höchsten Sterberaten Europas. Die junge Elite | |
wandert ins Ausland ab. Um den Staatshaushalt zu entlasten, plante | |
Ex-Finanzminister Krstić die Kürzung der Renten um mindestens 20 Prozent. | |
Im öffentlichen Dienst sollten die Gehälter um 15 Prozent gekürzt werden. | |
Rund eine Million Serben lebt unter oder an der Armutsgrenze. Ein | |
durchschnittliches Monatsgehalt beträgt 340 Euro. Rentner erhalten im | |
Schnitt ein Drittel davon. | |
Rund 160.000 Angestellte sollen aus den bankrotten Staatsbetrieben | |
entlassen werden – bei einer offiziellen Arbeitslosenquote von 30 Prozent. | |
Sollten die Sparmaßnahmen durchgeführt werden, könnte ein Großteil der | |
Bevölkerung seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Den Rücktritt von | |
Finanzminister Krstićs im Juli nutzte Vučić um sich medial als Gegner | |
solcher menschenverachtenden Reformen darzustellen. Doch alternative | |
Reformvorschläge hat Vučić bisher nicht präsentiert. Seit mehr als drei | |
Jahren ist er Mitglied der serbischen Regierung. Vor seiner Vereidigung als | |
Ministerpräsidenten war er stellvertretender Regierungschef unter Ivica | |
Dačić. Sichtbare Veränderungen im Land konnte auch er bislang nicht | |
herbeiführen. | |
Die Serben haben vor allem Angst vor Reformen, die sie noch ärmer machen | |
könnten. „Ich hoffe, dass die Menschen die Reformen in zehn Jahren zu | |
schätzen wissen werden, aber ich weiß, in den nächsten Monaten werden sie | |
sehr unzufrieden sein“ sagte Regierungschef Aleksandar Vučić noch im Juni | |
vor Journalisten. Er möchte die Mentalität der Serben verändern. „Wir | |
beschweren uns über alles. Über die Renten und Gehälter. Dabei sind erstere | |
hier um ein Drittel höher als in Rumänien und Bulgarien.“ Vučić selbst | |
sieht sich in eine Ecke gedrängt: „Ich kann nicht ausweichen. Wir müssen | |
für Reformen und für unser Überleben kämpfen.“ | |
28 Aug 2014 | |
## AUTOREN | |
Ljuba Naminova | |
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