Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Mit Terroristen verhandeln?: Moral kann wehtun
> Der Staat darf sich nicht erpressen lassen. Auch nicht, wenn, wie im Fall
> des ermordeten James Foley, das Leben seiner Bürger auf dem Spiel steht.
Bild: Männer bei einem Gedenkgottesdienst für James Foley in Erbil.
„Was moralisch geboten oder verantwortbar ist, das muss jeder für sich
selber entscheiden.“ So beantwortet Markus Kaim im ZDF-Mittagsmagazin vom
21.08. 2014 die Frage nach der moralischen Dimension von Waffenlieferungen
in Spannungsgebiete. Die Botschaft ist klar: Ein Sicherheitsexperte der
Stiftung Wissenschaft und Politik äußert sich nicht öffentlich zum Thema
Moral, das augenscheinlich nichts mit Sicherheit, Wissenschaft oder Politik
zu tun hat.
Erst auf den zweiten Blick fällt auf, dass der Experte genau das tut, was
er vermeiden will: sich zu einem Thema äußern, das jenseits seiner
Expertise liegt. Moral, so lernen wir en passant, ist Privatsache;
journalistische Fragen nach einer objektiven moralischen Bewertung
realpolitischer Entscheidungen sind Ausdruck einer sympathischen, jedoch
unaufgeklärten Naivität, auf die der wissenschaftliche Experte durch
freundliche Zurückweisung reagiert.
Diesen Umgang mit Moral sind wir gewohnt. Von den Medien beschworen, von
Politikern, Ökonomen und Wissenschaftlern hinter geschliffener Rhetorik
belächelt, einzig von Moralisten und Traditionalisten inhaltlich verteidigt
und von allen gleichermaßen instrumentalisiert, wird der Begriff „Moral“
heute als Musterbeispiel für Unwissenschaftlichkeit gebraucht.
Die eine Moral gibt es in der multikulturellen Gesellschaft nicht mehr. Wo
sie vertreten wird, entpuppt sie sich in der Realität mindestens als
Doppelmoral. Wer heute von seinen moralischen Überzeugungen spricht, meint
seine Erziehung, seine Sozialisation, die tradierten Werte seiner Kultur,
die er je nach individueller Lebenserfahrung weiterträgt oder in Frage
stellt.
## Langsame Ethik
Lediglich im Elfenbeinturm der Universitäten finden sich noch einige
Uneinsichtige. Sie nennen sich Moralphilosophen, ihr Fach Ethik und
verstehen es als die wissenschaftliche Lehre von der Moral. Als ethische
Begründungen lassen sie nur gelten, was sich aus wahren Prämissen und
gültigen Argumentationsmustern ergibt, deren Anerkennung gerade nicht an
subjektive Faktoren wie religiöse Weltanschauungen gebunden ist.
Eine so entwickelte Antwort auf moralische Fragen fußt auf einer
systematischen Zusammenstellung aller relevanten Argumente. Wo es dafür an
Zeit und Raum fehlt, steht der philosophische Ethiker vor einer
Herausforderung.
Das Dilemma: Vergangene Woche gingen die Bilder der Hinrichtung des
US-Reporters James Foley durch die Organisation „Islamischer Staat“ (IS) um
die Welt. Die US-Regierung hatte die Lösegeldforderung nach 130 Millionen
Dollar unbeantwortet gelassen. Kurz darauf drohte die IS, zwei weitere
amerikanische Geiseln zu töten, sollten die USA ihre Luftangriffe auf
IS-Stellungen im Irak nicht beenden. Spanien und Frankreich haben ihre
Staatsbürger dagegen freigekauft. Sie sollen mehrere Millionen Euro bezahlt
haben.
## Zugeständnise an Terroristen?
Die moralische Frage, die ich hier exemplarisch untersuchen möchte, ist:
Darf ein Staat Terroristen Zugeständnisse machen, um das Leben entführter
Unschuldiger zu retten?
Ich setze voraus, dass der Begriff „Terrorist“ klar von dem des
„Freiheitskämpfers“ abgrenzbar ist. Wer Terrorist ist, hängt nicht von den
politischen Zielen eines Kampfes, sondern von den eingesetzten Mitteln ab.
Die politisch motivierte Drohung, Unschuldige zu töten, ist ein
hinreichendes Indiz für terroristische Aktivität.
Im „Deutschen Herbst“ des Jahres 1977 prägt Bundeskanzler Helmut Schmidt
den Ausspruch „Mit Terroristen ist nicht zu verhandeln“. Wo die Politik
nicht umhin kann, sich auf die Moral zu berufen, tut sie dies gern in Form
des gesollten Seins. Sätze wie „Mit Terroristen ist nicht zu verhandeln“
oder „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ sind wörtlich verstanden
schlicht unwahr. Natürlich kann man mit Terroristen verhandeln. Natürlich
kann die Würde des Menschen angetastet werden.
## Begründung möglich
Das gesollte Sein dient dazu, die Frage nach einer Begründung zu vermeiden,
die eine offen moralisierende Sprache provoziert. Statt mich vor dieser
Begründung zu drücken, möchte ich zumindest in Ansätzen zeigen, dass man
sie prinzipiell liefern kann.
Eigeninteresse: Am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus
am 27.01.2001 sagt Bundespräsident Johannes Rau vor dem Deutschen
Bundestag: „Wir müssen uns darüber klar sein, dass ethische Grundsätze
einen Preis haben, wenn wir sie ernst nehmen.“ Dieser Preis ist zuweilen in
der Währung des Eigeninteresses zu zahlen. Sicher, es mag Gründe und
Möglichkeiten geben, mit Terroristen zu dealen. Militärstrategische oder
ökonomische Gründe. Wahlkampf. Angst vor Terroranschlägen im eigenen Land.
Mich interessieren hier jedoch nur moralische Gründe, die dafür oder
dagegen sprechen.
Konsequenzen: Geht ein Staat auf erpresserische Forderungen von Terroristen
ein, hat das allenfalls kurzfristig positive Konsequenzen: Wenn die
Terroristen Wort halten, wird das Leben der Geisel geschont. Langfristig
führt es jedoch zu mehr Entführungen und Erpressungen, wodurch die
Terroristen an finanziellem und politischem Einfluss gewinnen und
infolgedessen mehr Terror verbreiten.
Würde: Dass ein Mensch Würde besitzt, bedeutet nach Immanuel Kant, dass er
nicht allein als Mittel, sondern stets auch als Selbstzweck zu behandeln
ist, und nicht durch etwas anderes von vergleichbarem Wert ausgetauscht
werden kann.
Eine Organisation, die das Leben entführter Journalisten gegen Geld oder
die Erfüllung politischer Forderungen einzutauschen versucht, missachtet
die Würde ihrer Geiseln. Gleiches ließe sich einer Regierung vorwerfen, die
das Leben einer Geisel allein deshalb opfert, weil ihr der verlangte Preis
für ihr Leben zu hoch ist.
Ist es jedoch nicht die Gegenleistung sondern der Handel selbst, der
verweigert wird, so stellt das keine Missachtung, sondern die direkte
Umsetzung des Würdeprinzips dar, da dessen Kern die Nichtaustauschbarkeit
und Nichtverrechenbarkeit menschlichen Lebens ist.
## Die Frage des Mitgefühls
Mitgefühl: Dass uns trotzdem ein ungutes Gefühl beschleicht, wenn eine
Regierung durch Verweigerung von Lösegeldzahlungen den Tod Unschuldiger in
Kauf nimmt, erklärt sich durch das Mitgefühl, das wir mit den Betroffenen
haben. Dieses Mitgefühl kann zu moralisch verdienstvollem Handeln
motivieren, erzeugt jedoch nur dort moralische Verpflichtungen, wo eine
besondere Verantwortung gegenüber dem Leidenden besteht.
Natürlich hat der Staat eine Fürsorgepflicht gegenüber seinen Bürgern. Die
Hauptverantwortung für Leben und Tod einer Geisel trägt jedoch derjenige,
der ihr Leben bedroht. Der Versuch, diese Verantwortung durch
erpresserische Forderungen auf andere zu verschieben, ist ein
psychologischer Trick, der Aufmerksamkeit und Argwohn von den eigentlichen
Schuldigen ablenken soll. Er funktioniert jedoch nur, wenn wir es zulassen.
Tugend: Moralität ist nicht nur eine Eigenschaft von Handlungen, sondern
kann auch als Eigenschaft von Charakteren verstanden werden. Ein Politiker
hat einen tugendhaften Charakter, wenn er alle relevanten moralischen
Gesichtspunkte bedenkt und gewichtet und seine Entscheidung aufgrund dieser
Gewichtung trifft.
Das Fazit: Nein, mit Terroristen ist nicht zu verhandeln, darf nicht
verhandelt werden. Doch wer sich auf diese Einsicht beruft, ohne sie stets
aufs Neue zu hinterfragen, gibt auf, was nur die Moral zu erhalten geeignet
ist: die Menschlichkeit derer, die im Spannungsfeld systemischer Sachzwänge
und einander widerstreitender Partikularinteressen um Entscheidungen
ringen, die zwar nicht allen gefallen, aber gegenüber jedem zu
rechtfertigen sind.
## Notwendig intersubjektiv
Diesen Anspruch gibt auf, wer Moral aus dem öffentlichen Diskurs verbannt
und zur Gewissensentscheidung jedes Einzelnen erklärt. Moral ist notwendig
intersubjektiv. „Moralisch“ nennen wir diejenigen Werteinstellungen, von
denen wir wissen, dass sie nicht jeder hat, aber dennoch glauben, dass sie
jeder haben sollte. Eine Privatmoral kann es ebenso wenig geben wie eine
Privatsprache.
„Einfältigkeit“, sagt der Philosoph Bernard Williams, „besteht darin, zu
wenige Gedanken und Gefühle zu haben, um die Welt, wie sie ist, zu
begreifen.“ Das Phänomen „Moral“ als Privatangelegenheit zu betrachten,
über das sich der Einzelne Klarheit verschaffen kann, ohne die Sichtweisen,
Gefühle und Argumente anderer systematisch zur Kenntnis zu nehmen, wäre
Ausdruck eben dieser Einfältigkeit.
30 Aug 2014
## AUTOREN
Frank Brosow
## TAGS
James Foley
Staat
„Islamischer Staat“ (IS)
Aufklärung
USA
Steven Sotloff
USA
Kurden
Geschäftsmodell
Schwerpunkt Syrien
Schwerpunkt Überwachung
Flüchtlinge
USA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Buch über das Zeitalter der Aufklärung: Habe Mut zu wissen
Mündigkeit, gute Politik und vor allem Vernunft: Steffen Martus erzählt von
der Aufklärung und einem großem deutschen 18. Jahrhundert.
Obamas Rede zur Antiterrorpolitik: „Ein Krebsgeschwür ausrotten“
Der US-Präsident hat die Ausweitung des Kampfes gegen die
Terrororganisation Islamischer Staat (IS) angekündigt. Die Bevölkerung
unterstützt Obama.
In Syrien entführter US-Journalist: Angeblich erneute Enthauptung
Die Dschihadisten des Islamischen Staates veröffentlichen ein weiteres
Video mit einer grausamen Enthauptung. Das Opfer ist angeblich ein zweiter
US-Journalist.
Neue Allianzen in Nahost: Die unerwünschte Geschichte
Die Terrormiliz IS rüttelt das westliche Freund-Feind-Schema durcheinander.
Aus Schurken werden Partner, aus Terroristen Brüder im Kampfe.
Waffenlieferung in den Irak: Steinmeier warnt vor Abspaltung
Deutschland liefert Waffen in das Krisengebiet. Merkel will diese Haltung
in einer Regierungserklärung begründen und Steinmeier warnt vor einem
möglichen kurdischen Staat.
Lösegeld als Geschäftsmodell: Diesseits der Barbarei
Geiselnehmer wie derzeit der IS haben einen sehr schlechten Ruf. Doch mit
einem Erpresser kann man immerhin verhandeln.
IS weitet Macht in Ostsyrien aus: Dschihadisten erobern Militärflugplatz
Ein herber Verlust für das Assad-Regime: Der Flughafen Al-Tabka fiel in die
Hände der IS. Hunderte starben bei den Gefechten. Derweil kam in Syrien
eine US-Geisel frei.
Rekrutierung von Islamisten in London: Grüße aus Whitechapel
Die Identität des Mörders des US-Journalisten James Foley scheint bekannt.
Er stammt aus der Umgebung der Dschihadisten in London.
Gräueltaten der IS-Extremisten: Waren die keine von uns?
Musste erst der Reporter James Foley ermordet werden, damit wir die Augen
vor den Gräueltaten der IS-Terroristen öffnen? Opfer gab es bereits zuvor.
Versuchte Geiselbefreiung in Syrien: USA räumen Scheitern ein
Der Versuch des US-Militärs, Geiseln aus den Händen der IS-Miliz zu
befreien, ist gescheitert. Einer der Entführten war der jetzt ermordete
James Foley.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.