Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Knapp überm Boulevard: Hin zum Homogenen
> Separatismus heißt Ablehnung von Vielfalt und Mischung. Politische
> Selbstbestimmung erlaubt nur der Föderalismus. Alles andere ist
> Kleinstaaterei.
Bild: Schottischer Separatismus soll nicht einfach nur chic sein, sondern auch …
Was haben Volksparteien, Großreligionen und Nationalstaaten gemeinsam? Zum
einen sind es alle heterogene Großgruppen, also Gruppierungen, die
unterschiedliche Menschen, Interessen, Lebenswelten verbinden. Und zum
anderen scheinen diese heterogenen Einheiten heute zu erodieren. Aus
Volksparteien werden unterschiedliche politische Bewegungen, Großreligionen
zersplittern in sektiererische Gruppen, und Nationalstaaten sehen sich mit
separatistischen Forderungen wie derzeit in Schottland und in Katalonien
konfrontiert.
Überall geht die Tendenz weg vom Heterogenen hin zum – vermeintlich –
Homogenen. Das stimmt für fundamentalistische Versionen dieses Vorgangs
ebenso wie für demokratische. Auch für das Novum eines sehr zivilisierten,
sehr höflichen Separatismus wie jenem der Schotten stellt sich die Frage:
Ist das ein Fortschritt? Bedeutet Separierung Emanzipation?
Das hängt davon ab, auf welchen Bedürfnissen die Forderung nach Abspaltung
beruht. Als politisches Bedürfnis ist Separatismus gegen Zentralismus
gerichtet. Und historisch war nationale Zentralisierung das Instrument, um
Unterschiede und Vielfalt zu unterdrücken. Der Nationalstaat stellte zwar
übergreifende Verbindungen her, aber durch Zwang und Unterwerfung.
Demgegenüber hat die Forderung nach regionaler Selbstbestimmung durchaus
ein emanzipatorisches Moment. Sie zeigt, dass diese Form der Machtausübung
immer weniger funktioniert. Sie zeigt, dass der Nationalstaat in seiner
alten Form nicht mehr zeitgemäß ist.
## Föderale Republik Europa
In seiner positiven Version ist Separatismus ein Streben nach
Unabhängigkeit. Dann aber wäre die richtige Antwort auf das politische
Bedürfnis nach Selbstbestimmung nicht Abspaltung. Die richtige Antwort auf
Separatismus ist Föderalismus, so der Historiker Peter Josika.
Eine Emanzipation der Regionen darf den großen Zusammenhang nicht aufgeben.
Sonst ist sie nur ein Rückfall in Kleinstaaterei. Wenn die
Abspaltungsbestrebungen der Schotten und anderer sich vor allem auf die
jeweiligen Nationalstaaten beziehen, dann gäbe es die Möglichkeit von
autonomen Regionen als Teil eines anderen großen Ganzen – einer Republik
Europa.
Und trotzdem hinterlässt die Forderung nach Selbstbestimmung ein Unbehagen
beim Betrachter. Denn welches Selbst ist es, das sich hier bestimmen will?
Wie definiert sich dieses? Da kommt ein anderes, ein weiteres Bedürfnis ins
Spiel, das dem Wunsch nach Separation zugrunde liegt: ein kulturelles
Bedürfnis. Das Selbst, um das es hier geht, ist kulturell definiert.
Bei der Ablehnung des Nationalstaats geht es nicht nur um politische
Unabhängigkeit. Der Nationalstaat ist den Separatisten auch zu abstrakt für
ihr Bedürfnis nach Konkretion, zu allgemein für ihr Bedürfnis nach
Bestimmtheit – kurzum, er ist zu universell für ihren Wunsch nach
Partikularität.
## Gegen Nationalismus
In seiner negativen Version bedeutet Separatismus Homogenisierung – nicht
Unabhängigkeit, sondern Anti-Universalismus, Rückzug ins Partikulare. Das
kann man auch an den ökonomischen Beweggründen all jener reichen Regionen
ersehen, für die Abspaltung vor allem das Ende des Teilenmüssens bedeutet.
Kulturell bedeutet Separatismus die Ablehnung von Vielfalt und Mischungen.
Nicht zufällig verläuft dieser jedes Mal entlang der alten Bruchlinien, die
Reichsbildungen aller Art zu überwinden versucht haben. Dort, wo
Separatismus nicht politische Unabhängigkeit, sondern kulturelle
Homogenität meint, dort endet dessen fortschrittliches Moment.
Dort endet auch die moderne Vorstellung von Demokratie. Denn diese hat
gerade heute, emanzipiert von einem starren, unterdrückenden Nationalismus,
die Chance, Pluralität und Diversität gleichzeitig zu ermöglichen und zu
befördern. Sie hat die Aufgabe, eine Art neue Einheit herzustellen, die
Differenzen nicht unterdrückt, sondern vielmehr miteinander bestehen lässt.
Demokratie ist heute der Versuch, weder kulturell homogene Kleingruppen
getrennt voneinander bestehen zu lassen, noch unterwerfende, unterdrückende
Großgruppen durchzusetzen. Wer sich davonmacht, drückt sich vor dieser
Aufgabe.
17 Sep 2014
## AUTOREN
Isolde Charim
## TAGS
Separatismus
Föderalismus
Vielfalt
Nationalismus
Israel
Schottland
Unabhängigkeit
Ukraine
Venedig
Schottland
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kolumne Knapp überm Boulevard: Die diasporische Lektion
Die Erfahrung Israels lehrt: Demokratien brauchen einen pluralistischen
Univeralismus. Es gilt, die verschiedenen Identitäten zu verbinden.
Engländer beackern Schotten: Schwöre!
Die jüngsten Umfragen vor dem Referendum am Donnerstag sprechen knapp gegen
Schottlands Unabhängigkeit. Der britische Premier Cameron bettelt.
Europäische Separatismusbewegungen: Jedem sein eigener Staat
Die Schotten, die Basken, die Katalanen – alle wollen unabhängig sein.
Sollen sie doch. Das Prinzip nationaler Grenzen hat sich überlebt.
Kommentar Ukraine: Autoritäre Tendenzen in Kiew
Unter dem Deckmantel „Kampf gegen den Separatismus“ werden in der Ukraine
systematisch demokratische Rechte abgebaut.
Gewaltbereite Separatisten in Italien: Trecker zum Panzer umgebaut
Separatismus hat in Norditalien Tradition. Jetzt wirft die Justiz jedoch
einer ganzen Gruppe vor, sie habe Venetien gewaltsam von Italien trennen
wollen.
Debatte Separatismus: Das Empire stürzt in Schottland
Im nächsten Jahr könnte sich der nördliche Teil Großbritanniens abspalten.
Dann wäre die britische Kolonialgeschichte endgültig beerdigt.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.