# taz.de -- Bürgerkrieg in Südsudan: In der nassen Hölle | |
> Seit einem Dreivierteljahr tobt der Bürgerkrieg im Südsudan. Millionen | |
> Menschen sind auf der Flucht – und Frieden ist nicht in Sicht. | |
Bild: Irgendwann fließt alles in eins, der Regen, die Kloake, der Müll: Flüc… | |
BENTIU/JUBA taz | Der Regen tötet effektiver als die Salven aus dem | |
Maschinengewehr und es gibt ihn umsonst. Die Regierungstruppen müssten es | |
einfach so machen wie die Geier, auf ihrem Posten bleiben und warten, sagt | |
Simon. „Die Flüchtlinge bleiben, wo sie sind, selbst wenn sie im Camp | |
sterben. Sie haben viel zu viel Angst vor dem, was die Soldaten mit ihnen | |
machen, wenn sie die UN-Zone verlassen“, sagt er. Das Lager Bentiu, unweit | |
der Hauptstadt des Bundesstaates Unity ist eine nasse Hölle mitten im | |
Busch. 45.000 Menschen sind zwischen den Fronten eingekesselt. Rebellen und | |
Regierung kämpfen um die Ölquellen in der Nähe. | |
Er begann, als sich im Dezember 2013 Anhänger des Vizepräsidenten Riek | |
Machar und des Präsidenten Salva Kiir Gefechte in der südsudanesischen | |
Hauptstadt Juba lieferten. Der Nuer Riek Machar war zuvor von dem Dinka | |
Salva Kiir entlassen worden. Ende des Jahres sollten seine Männer in der | |
Präsidentengarde dann auch die Waffen abgegeben. Sie widersetzten sich. Am | |
Ende lagen Leichen in den Straßen Jubas. Angehörige vom Volk der Dinka, die | |
Salva Kiir unterstützten, ermordeten Zivilisten, weil sie zum Volk der Nuer | |
gehörten, denn Riek Machar gehört zu dieser Ethnie, der zweitgrößten im | |
Land. | |
Tausende Nuer flüchteten sich vor den Sitz der UN-Mission für den Südsudan | |
(UNMISS) in Juba. UNMISS öffnete die Tore zu seinem Gelände im Stadtteil | |
Thongping, weil sie ein Massaker wie in Ruanda befürchtete. | |
In Bentiu wiederum töteten Machats Truppen im April Hunderte Dinka. | |
Zivilisten in Kirchen wurden niedergemetzelt, Patienten eines Krankenhauses | |
ethnisch selektiert und die Dinka unter ihnen ermordert. Südsudans Armee | |
nahm den Rebellen Bentiu wieder ab, und jetzt flüchteten wieder die Nuer | |
und suchten Schutz im Busch oder in UN-Lagern. Die Regierung kämpft nun mit | |
neuen Waffen aus China und bedrängt die Rebellen, ohne dass sie dem Sieg | |
näherkommt. | |
## Es schimmelt und stinkt | |
Knietief steht das Wasser auf dem Lagergelände in Bentiu. Die Zelte | |
versinken im Untergrund. Als Ende August eine Rakete einen Helikopter traf, | |
der das Lager mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgte, stellten die UN | |
und andere Organisationen eine Woche lang ihre Flüge ein. Als die UN wieder | |
mit dem Helikopter zu dem Lager fliegt, ist Simon mit an Bord. „Im Wasser | |
schwimmen Leichen“, sagt er. | |
Auch in Juba waten Helfer wie Simon in Gummistiefeln durch den Matsch. Das | |
Flüchtlingslager Thongping in der Hauptstadt gleicht einem Sumpf. Die | |
Flüchtlinge bauen um ihre Zelte Dämme aus Schlamm. Aber der Regen dringt | |
von oben durch die Ritzen. Essen schimmelt, Matratzen und Decken stinken. | |
Irgendwann fließt alles in eins, der Regen, die Kloake, der Müll. | |
Dann waten die Menschen durch den Dreck und hoffen, dass sie nicht in eine | |
Scherbe treten und sich das Blut vergiften. Mütter halten nachts ihre | |
Kinder im Arm fest, weil sie Angst haben, dass sie ertrinken. Die Regenzeit | |
wird noch Wochen dauern. UNMISS will das Lager räumen und alle Flüchtlinge | |
auf einem höher gelegenen Gelände unterbringen. Aber die Flüchtlinge wollen | |
nicht. | |
## „Glauben die denn, dass wir freiwillig in dem Dreck hier leben?“ | |
Medikamentenhändler John Dok weiß, warum. Auf einem Tisch unter einem | |
Zeltdach stapelt er Malaria- und Typhustabletten. „Die Dinka würden uns | |
töten, wenn UNMISS nicht wäre“, sagt er. Das Lager verlassen, hält er für | |
Wahnsinn. „Wir wissen, dass in der Nähe des anderen Lagers Militärbaracken | |
sind. Wenn wir alle auf einem Fleck sind, haben die es doch viel leichter, | |
uns umzubringen“, sagt Dok. Manchmal würde er nicht verstehen, was in den | |
Köpfen der UNMISS-Mitarbeiter vorgehe. „Glauben die denn, dass wir | |
freiwillig in dem Dreck hier leben? Wir hatte alle mal anständige Häuser | |
aus Beton. Wir können nirgendwo anders hin, selbst wenn unsere Kinder und | |
wir hier sterben.“ | |
Auf die Frage, ob ein Völkermord im Südsudan droht, ob er bereits begonnen | |
hat und wenn ja, welcher Volksteil nun eigentlich Opfer ist, gibt es viele | |
Antworten. Nur sind sie selten überzeugend. Die internationalen | |
Organisationen warnen vor einem Genozid. Gleichzeitig sind ihre Aussagen so | |
vage wie vermutlich ihre Erkenntnisse. | |
Unter den Nuer kursiert die These, dass die Regierung ihr Volk bewusst in | |
überschwemmte Lager oder in die Wildnis treibt. Der Tod der Nuer in den | |
Regenfluten falle doch international gar nicht auf, sagt ein Flüchtling | |
Juba. | |
## China und USA kämpfen ums Öl | |
Doch nicht alle Menschen in Juba glauben, dass der Kampf der Völker im | |
Vordergrund steht. Politikwissenschaftler Zacharias Diing Akol spricht von | |
zwei Ebenen des Konflikts. Auf der nationalen Bühne kämpfen Veteranen des | |
Unabhängigkeitskrieges um die Pfründe des jungen Staates. International | |
stehen sich die USA und China gegenüber, die nicht wollen, dass das junge | |
Land mit seinem Ölreichtum in die Einflusssphäre des Rivalen fällt. | |
Zacharia Diing Akol hat den Krieg kommen sehen. Gemeinsam mit anderen | |
Politikwissenschaftlern hat er 2012 den Thinktank Sudd-Institute gegründet. | |
„Wir haben im vergangenen Sommer Präsident Salva Kiir und Vizepräsident | |
Riek Machar gebeten, ihren Ton zu mäßigen, weil das Klima im Land immer | |
aggressiver wurde,“ sagt er. Das Problem Südsudans seien nicht die Ethnien, | |
sondern die Verquickung von Militär und politischer Macht. | |
„Die SPLM“, sagt er über die regierende ehemalige Befreiungsbewegung, „h… | |
auch nach der Unabhängigkeit 2011 nie klar entschieden, was sie sein wollte | |
– eine bewaffnete Organisation oder eine politische Partei? Weil die | |
führenden Politiker der SPLM aber Zugriff auf die militärischen Ressourcen | |
haben, ist der Wettbewerb unter ihnen bei uns so gefährlich“, sagt Diing. | |
Nuer und Dinka hätten nur aufgrund der Konflikte innerhalb der SPLM | |
gegeneinander gekämpft: „Mit dem Hass wie zwischen Hutu und Tutsi in Ruanda | |
ist das nicht zu vergleichen.“ | |
## Bushs Cowboyhut | |
Wenn Diing von Südsudans Pfründen spricht, meint er den Ölreichtum, an dem | |
vor allem China beteiligt ist. Von 2011 bis Kriegsbeginn 2013 beförderten | |
die Ölgelder in Juba einen Bauboom. Trotz Krieg sind die Hotels immer noch | |
voller Chinesen. Nachts, wenn nur die Generatoren der großen Hotels Strom | |
liefern, sitzen Geschäftsleute aus Peking und Schanghai mit den SPLM-Kadern | |
auf den Dachterrassen, vor sich Champagnerflaschen, und blicken hinab auf | |
die in Dunkelheit gehüllte Stadt. | |
Niemand sei über die Allianz zwischen Peking und Juba so verärgert wie die | |
US-Amerikaner, erzählt Diing. Sie sahen sich als Beschützer der | |
christlichen Südsudanesen gegen den muslimischen Sudan und förderten die | |
Abspaltung. Es war George Bush, der einst Salva Kiir einen Cowboyhut | |
schenkte. Im Gegenzug für die Unterstützung des südsudanesischen | |
Freiheitskampfs erwarteten die Amerikaner den Großteil an der Erschließung | |
der Ölquellen Südsudans. Juba hielt sich aber stattdessen an die Verträge, | |
die noch vor der Unabhängigkeit von Sudan mit Peking geschlossen worden | |
waren. Kiir behielt also Bushs Hut, machte aber Geschäfte mit den Chinesen. | |
Die USA sieht er heute als Feind. | |
Solange Russland, China und die USA von der Ukraine bis Syrien miteinander | |
über Kreuz liegen, sieht Zacharias Diing Akol wenig Chancen für Frieden im | |
Südsudan. Die Gespräche in Äthiopien ziehen sich hin. Anders als es die USA | |
fordern, glaubt Diing Akol auch nicht an einen Neuanfang ohne Salva Kiir | |
und Riek Machar. Ausgerechnet die Männer, die das Land in den Abgrund | |
gerissen haben, sind für ihn die einzigen, die es wieder herausholen können | |
– indem sie zur Versöhnung aufrufen und Reformen in Gang bringen. | |
## „Das macht uns fertig“ | |
Doune Porter muss schon wieder gähnen. Die Mitarbeiterin von Unicef ist | |
früh aufgestanden und zum Flughafen von Juba gefahren. Kaum dort, hat sie | |
erfahren, dass der Flug wegen schlechten Wetters ausfällt. Porter trägt | |
trotzdem noch die Gummistiefel, die sie heute morgen angezogen hat. „Solche | |
Dinge vergesse ich einfach inzwischen“, sagt sie. | |
Seit Wochen leben die UN-Mitarbeiter in Alarmzustand. Er zerrt an den | |
Nerven. Viele fühlen sich erschöpft und überfordert, sagt Porter. Sie | |
berichtet vom üblichen Ablauf der Hilfe, die immer öfter auf dem Flughafen | |
von Juba endet. „Ist der Wetterbericht gut, wird in der Eile alles | |
vorbereitet. Die Helikopter werden vollgepackt mit Lebensmitteln und | |
Medikamenten, Personal wird zum Flughafen in Juba gefahren. Dann heißt es | |
wieder Kommando zurück, weil Kämpfe gemeldet werden. Oder das Wetter ist | |
doch wieder umgeschlagen. Das macht uns fertig. Weil jedem klar ist, was es | |
für die Menschen bedeutet, wenn immer wieder Flüge ausfallen.“ | |
Dabei erreichen die Helfer ohnehin nur einen Teil der Notleidenden. | |
Ernteausfälle aufgrund des Krieges verschlimmern die Lage, die Regenzeit | |
auch. Die Frage, ob der Südsudan nun kurz vor einer Hungerkatastrophe steht | |
oder schon mittendrin ist, will Doune Porter nicht eindeutig beantworten. | |
Unicef wisse von 250.000 Kindern, die schwer unternährt seien. „50.000 | |
werden sterben“, sagt sie. „Das Schlimmste lässt nur noch abwenden, wenn | |
der Krieg sofort beendet und die internationale Hilfe massiv aufgestockt | |
wird.“ Sie weiß, dass es danach nicht aussieht. Während die UN um | |
Hilfsgelder bettelt, hat Südsudans Regierung jüngst von China Waffen im | |
Wert von 38 Millionen Dollar erhalten, mit Öl bezahlt. | |
Porter hat sich aus ihrem Heimaturlaub in Großbritannien eine Tasse | |
mitgebracht. Darauf steht: „Niemals, niemals, niemals aufgeben.“ | |
17 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Cedric Rehman | |
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