# taz.de -- Gabriel hofiert Trittin bei Buchvorstellung: Der könnte auch Kanzl… | |
> SPD-Chef Gabriel schmeichelt dem Grünen Jürgen Trittin bei dessen | |
> Buchvorstellung. Dabei warnt „Stillstand made in Germany“ vor der Großen | |
> Koalition. | |
Bild: 2011, drei große Deutsche: Jürgen Trittin (l.), Sigmar Gabriel (M.) und… | |
BERLIN taz | Jürgen Trittin weiß gerade nicht, wo er hingucken soll. Neben | |
ihm gießt der Vizekanzler eimerweise Lob der klebrigeren Sorte aus. „Ich | |
schätze Jürgen Trittin außerordentlich“, charmiert Sigmar Gabriel. | |
Humorvoll, klug, offen sei dieser Politiker. Fair. Kollegial. | |
Außerordentlich verlässlich. Ein Linker, aber kein Dogmatiker. Die Serie | |
schmeichelnder Attribute des einen Ex-Umweltministers über den anderen | |
Ex-Umweltminister nimmt gar kein Ende mehr. Trittin blättert mechanisch in | |
seinem druckfrischen Buch. Hier und da rutscht ihm ein verlegenes Grinsen | |
raus. | |
Die beiden Niedersachsen kennen sich seit 24 Jahren. Sie liefen sich 1990 | |
über den Weg, da war Gabriel gerade frisch für die SPD in den Landtag | |
geprescht. Trittin sei damals schon Europaminister gewesen, er selbst noch | |
„ein Jungspund“, tiefstapelt Gabriel. Keine Frage: Hier klopft heute der | |
Sieger dem Verlierer auf die Schulter. Schließlich sitzt der | |
SPD-Vorsitzende seit der Bundestagswahl als stellvertretender | |
Regierungschef an den Schalthebeln der Macht, Trittin hingegen hat sich | |
nach seinem Rückzug von der Fraktionsspitze der Grünen die Rolle als graue | |
Eminenz angeeignet und plötzlich Zeit für andere Dinge. Bücher zum | |
Beispiel. | |
Gabriel hat diese Zeit eigentlich nicht, dennoch gibt er an diesem | |
Montagmorgen den beflissenen Rezensenten. Ein Jahr nach der Bundestagswahl | |
ist Trittins Buch „Stillstand made in Germany“ erschienen. Es ist ein | |
Plädoyer gegen die Große Koalition, die nicht zum „Dauerzustand“ werden | |
dürfe – also auch eine Attacke auf Gabriel. Der nimmt es sportlich. Die | |
Überzeugung, es stets besser zu können als alle anderen, dürfte der | |
Merkel-Stellvertreter schließlich auch von sich selbst kennen. | |
„Sozialdemokraten zu provozieren ist Jürgen Trittins nebenberufliche | |
Lieblingstätigkeit“, witzelt Gabriel. Über dessen Vorwürfe gegen ihn als | |
Energieminister fegt er mit gespielter Empörung hinweg. Zur Behauptung | |
etwa, er habe ein „Faible“ für Braunkohle: „Ich habe ein paar Faibles im | |
Leben“, versichert Gabriel, „aber die gehören nicht in diese | |
Veranstaltung.“ Den Vorwurf, die Große Koalition bremse die Energiewende | |
aus, wischt er als „populistisch“ beiseite. | |
Trittin teilt in seinem Buch allerdings nicht nur gegen die schwarz-rote | |
Bundesregierung aus. Er skizziert ein grundsätzlicheres politisches | |
Dilemma, das auch die Grünen betrifft. Die politischen Mehrheiten in | |
Deutschland haben sich verschoben. Rot-Grün im Bund ist Geschichte. | |
Alternativen? Relevante Teile der Linkspartei wollten lieber „beim Modell | |
der Veränderung durch Opposition im Parlament bleiben“, schreibt Trittin. | |
Zu Schwarz-Grün fällt ihm ein Jahr nach den erfolglosen Sondierungen mit | |
Merkel und Seehofer im Bund nach wie vor kein nettes Wort ein. In seiner | |
solchen Koalition würde „die ökologische Transformation mit den Kräften der | |
Beharrung gemeinsam am runden Tisch verabredet“, wettert Trittin. | |
„Ökologisch wäre Schwarz-Grün eine Verlängerung der institutionalisierten | |
Mutlosigkeit und Beharrung, repräsentiert durch Angela Merkel, veredelt | |
durch das unverbindliche Bio-Siegel einer entmutigten grünen Partei.“ Da | |
die SPD derzeit nur die Union als Koalitionspartner habe, drohe die Große | |
Koalition zur ständigen Einrichtung zu werden und mit ihr ein politisches | |
„Biedermeier 2.0“. | |
Den Machtmenschen Gabriel allerdings scheint das nicht halb so zu betrüben | |
wie Trittin. Er regiert – unter den schlechten Möglichkeiten ist das gerade | |
die beste. Was aus Trittin noch werden könne, wird er gefragt. „Der kann | |
alles“, antwortet Gabriel. Kanzler gehe rein rechnerisch nicht. „Das wäre | |
aber auch das einzige Hindernis.“ | |
22 Sep 2014 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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