| # taz.de -- Arbeitsmarktreform in Italien: Zwischen Applaus und Schelte | |
| > In Italien wird heftig um die Arbeitsmarktreform gestritten: | |
| > Regierungschef Renzi legt sich mit den Gewerkschaften und der eigenen | |
| > Parteilinken an. | |
| Bild: Muss sich mit allen arrangieren: Matteo Renzi. | |
| ROM taz | Applaus von der Arbeitgeberseite und von Italiens Rechtsparteien, | |
| heftige Schelte dagegen aus dem Gewerkschaftslager und aus den Reihen der | |
| eigenen Partei: Die Arbeitsmarktreform, die Italiens Ministerpräsident | |
| Matteo Renzi vorgelegt hat, dürfte in den nächsten Wochen für heftige | |
| Konflikte vor allem in der italienischen Linken sorgen. | |
| „Jobs Act“ heißt das Rahmengesetz, über das der Senat voraussichtlich von | |
| Mittwoch an beraten wird. Renzi stellt das Gesetz als Weg dar, die | |
| bisherige tiefe Spaltung des Arbeitsmarktes zu überwinden. Die Spaltung | |
| besteht zwischen Beschäftigten mit unbefristeten Verträgen einerseits, dem | |
| großen Heer der Prekären – Arbeitnehmer mit Zeit- oder bloß mit | |
| Honorarverträgen und Scheinselbstständigen – sowie Arbeitnehmern in | |
| Kleinbetrieben andererseits. | |
| Unbestreitbar ist die Ausgangsdiagnose. Nur unbefristet Beschäftigte in | |
| Betrieben mit mindestens 15 Arbeitnehmern genießen umfassenden | |
| Kündigungsschutz, Mutterschaftsurlaub sowie – im Fall des | |
| Arbeitsplatzverlustes – eine halbwegs funktionierende | |
| Arbeitslosenversicherung. Zwei Drittel der italienischen Erwerbsbevölkerung | |
| – etwa 15 Millionen Personen – dagegen müssen auf solche Schutzmechanismen | |
| ganz oder teilweise verzichten. | |
| Deshalb soll der Jobs Act als Rahmengesetz jetzt der Regierung den Auftrag | |
| erteilen, über Durchführungsverordnungen zunächst einmal den Wildwuchs bei | |
| den Arbeitsverträgen zu beseitigen. Statt mehr als 40 sollen nur noch | |
| „zwei, drei Vertragsformen“ (Renzi) übrig bleiben. Um den Arbeitgebern die | |
| unbefristete Festanstellung neuer Mitarbeiter zu versüßen, soll für die | |
| ersten drei Beschäftigungsjahre der Kündigungsschutz weitgehend ausgesetzt | |
| werden. | |
| Zudem soll statt der diversen Sonderkassen für die stabil in Mittel- und | |
| Großbetrieben Beschäftigten eine allgemeine Arbeitslosenversicherung | |
| geschaffen und der Mutterschutz auch auf prekär beschäftigte Frauen | |
| ausgedehnt werden. | |
| ## Matteo Thatcher | |
| Symbolischer Knackpunkt ist jedoch der „Artikel 18“, der bisherige | |
| Kündigungsschutzparagraf. Nach ihm kann der Arbeitsrichter bei | |
| ungerechtfertigten Kündigungen entweder eine Entschädigungszahlung oder | |
| aber auch die Rückkehr an den Arbeitsplatz anordnen. Ebendiese zweite | |
| Option jedoch will Renzi nur noch in Fällen eindeutig diskriminierender | |
| Kündigungen offenhalten. | |
| Daraufhin erklärte Susanna Camusso, Vorsitzende des größten | |
| Gewerkschaftsbundes CGIL, der Ministerpräsident erinnere sie an Maggie | |
| Thatcher. Vertreter des Renzi-fernen Minderheitsflügels der Partito | |
| Democratico (PD) sprangen ihr umgehend bei. Renzi wiederum antwortete mit | |
| einer Videobotschaft ans Volk sowie einem offenen Brief an die | |
| PD-Mitglieder und heizte den Konflikt weiter an. | |
| Er denke nicht an Thatcher, erklärte er, sondern „an Marta, 28 Jahre alt, | |
| prekär beschäftigt“, um deren Interessen die Gewerkschaften sich nie | |
| gekümmert hätten. Außerdem werde er sich nicht von der „alten Garde“ der | |
| PD, von „Ideologen“ die Politik diktieren und von ihnen als „Feigenblatt�… | |
| missbrauchen lassen. Er habe mit der PD bei den Europawahlen im Mai 41 % | |
| geholt, die alte Garde dagegen werde die Partei wieder auf 25 % | |
| herunterwirtschaften. | |
| Das oppositionelle Berlusconi-Lager ebenso wie Renzis kleiner | |
| Koalitionspartner Nuovo Centro-Destra (NCD – Neues Mitte-rechts-Lager) – | |
| zeigten sich begeistert vom Regierungschef, ebenso wie der | |
| Unternehmerverband Confindustria. | |
| Die PD-Minderheitsflügel dagegen nahmen ihrerseits den Fehdehandschuh auf. | |
| Sie können in Senat und Abgeordnetenhaus auf etwa 110 der 400 | |
| PD-Parlamentarier zählen – und stellten die offene Drohung in den Raum, dem | |
| Reformprojekt die Zustimmung zu verweigern. Und sollte Renzi sich nicht | |
| kompromissbereit zeigen, drohen sie mit einem Schritt, der im Parteistatut | |
| vorgesehen ist: mit einem Referendum unter den Mitgliedern über den Plan | |
| zur Veränderung des Kündigungsschutzes. | |
| 24 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Michael Braun | |
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