Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- taz-Serie Schillerkiez: Brave new Neukölln
> Vor 15 Jahren begann im Neuköllner Schillerkiez das Quartiersmanagement.
> Seitdem ist das Quartier bunter geworden - und hat neue Probleme
> bekommen. Eine Bilanz.
Bild: Kiez mit Ausblick: Gleich hinterm Schillerkiez tut sich heute ein weites …
Häppchen, Schautafeln und viel Optimismus: So grundsolide feierte das
Quartiersmanagement an der Schillerpromenade am Freitag sein 15-jähriges
Bestehen.
Senatsbaustaatssekretär Engelberg Lütke-Daldrup blickte in seiner
Begrüßungsrede auf die „Erfolgsgeschichte“ der Berliner
Quartiersmanagementgebiete zurück, von denen die Schillerpromenade 1999 als
eins der ersten startete. 15 Pilotprojekte in Berlin seien es zunächst
gewesen, mit denen man versuchte, schwierigen Stadtvierteln mit Geld und
stadtplanerisch-sozialer Vor-Ort-Präsenz neuen Schwung zu geben.
Mittlerweile gebe es in ganz Berlin 34 ausgewiesene QM-Gebiete.
Im Schillerkiez habe man es geschafft, so Lütke-Daldrup, stets „Anwalt der
Menschen im Kiez“ zu bleiben. 10 Millionen Euro seien im Lauf der Zeit in
bauliche und soziale Maßnahmen gesteckt worden, die das Leben zwischen
Flughafen-, Hermann-Siegfried-und Oderstraße lebenswert gemacht hätten.
Lebenswert ist der Schillerkiez allemal, vor allem, seit er direkt an der
größten innerstädtischen Grünanlage der Stadt liegt. Mit dem Tempelhofer
Feld vor der Nase ist aus dem dicht bebauten Gründerzeitquartier, in dem
rund 23.000 Menschen auf 100 Hektar leben, plötzlich eine begehrte Wohnlage
geworden.
Damit ist der Schillerkiez in gewisser Weise zu seinen Anfängen
zurückgekehrt, wie der Neuköllner Baustadtrat Thomas Blesing erinnerte: Vor
120 Jahren, als der Schillerkiez von einer privaten Baugesellschaft
errichtet worden war, galten die Wohnungen unter den Berlinern als
topmodern. Nach dem Krieg habe er es als Knabe sehr genossen, bei seiner
Oma durch den quirligen Kiez mit seinen Geschäften in den Hinterhöfen zu
streifen.
In gewisser Weise, meinte Blesing, schließe sich nun wieder der Kreis:
„Jetzt wollen wieder viele hier wohnen.“ Damit der Schillerkiez und seine
zumeist ärmeren Bewohner nicht schutzlos der Immobilienspekulation
ausgeliefert sind, hat das Bezirksparlament vorige Woche beschlossen, die
Einrichtung eines Milieuschutzes zu prüfen.
Auch dieses Instrument ist nichts Neues: Zwischen 1996 und 2000 genoss der
Kiez schon einmal Milieuschutz, wegen fehlender Aussichten stellte man
diese Maßnahme wieder ein. Die Bewohner zogen massenweise weg, es blieben
nur die, die sich anderswo keine Wohnung leisten konnten. Der Schillerkiez
wurde zu einem Problemquartier, geprägt von Armut, Migration,
Vernachlässigung und Gewalt.
Die Umgestaltung der vermüllten Schillerpromenade, der Um- und Ausbau der
Genezarethkirche auf dem Herrfurthplatz und die Verschönerung des
Wartheplatzes im Süden gehörten denn auch zu den ersten Taten des
vierköpfigen Teams. Das musste allerdings von Anfang an mit heftigem
Widerstand aus der linken Szene fertig werden, wie Michael Schipper,
Geschäftsführer der Brandenburgischen Stadterneuerungsgesellschaft, die als
Träger des QM fungiert, erinnerte. Die QM-Gegner fürchteten – und fürchten
bis heute –, dass das neue Vor-Ort-Büro auf der Schillerpromenade eine
drohende Modernisierung des Kiezes und damit unausweichlich
Mietsteigerungen und Vertreibungen zur Folge haben würden.
In der Jubiläumsbroschüre findet sich ein Foto von einer mit Parolen voll
gesprühten Hauswand. Die Anfeindungen gegen die als „Säuberungspolitik“
geschmähte QM-Arbeit nahm bald persönliche Züge an: Noch heute ist auf
einer Fassade noch deutlich die Aufforderung „Schmiedeknecht aufs Maul!“ zu
lesen – ein uncharmanter Gruß an die Architektin Kerstin Schmiedeknecht,
die mit ihren drei Mitarbeitern von 1999 bis 2012 das Büro leitete. Immer
wieder danken die Redner einander fürs Durchhalten und die vielen
erfolgreichen Projekte.
Die Bilanz aus 15 Jahren Quartiersmanagement kann sich in gewisser Weise
sehen lassen: Das Gesicht des Viertels ist deutlich freundlicher geworden.
Für Kinder und Jugendliche sind großzügige Einrichtungen wie das
Kinderclubhaus Oderstraße und der Jugendtreff Yo!22 entstanden. Auch die
Idee, Migrantinnen zu „Stadtteilmüttern“ auszubilden, entstand im
QM-Gebiet: Aus dem 2004 gestarteten lokalen Pilotprojekt wurde eine
Vorzeigeinitiative, die über die Grenzen Neukölln hinaus Schule machte.
Selbst in Dänemark leisten nun Einwanderinnnen in ihren Communities
Aufklärungsarbeit über Bildungs- und Erziehungsfragen.
Selbst die in der Nachbarschaft umstrittene „Task Force Okerstraße“, ein
Zusammenschluss zwischen verschiedenen Ämtern, Schulaufsicht, Bauaufsicht
und der Polizei, zeigte Wirkung: Die Situation auf und um die Okerstraße,
wo vor 2009 Trinker, verwahrloste Kinder und unter drastischen Bedingungen
lebende Roma-Familien das Straßenbild prägten, hat sich deutlich entspannt.
Trotzdem: Auch nach 15 Jahren „starker Intervention“, wie der hohe Grad an
Quartiersbetreuung im Soziologendeutsch heißt, leben im Schillerkiez noch
immer 36 Prozent Transferleistungsempfänger, nur 4 Prozent weniger als noch
vor einigen Jahren. Auf diese einkommensschwachen Bewohner schlägt der
wachsende Druck auf dem Wohnungsmarkt spürbar durch. Das Angebot an
Hartz-IV-geeignetem Wohnraum schwindet, immer häufiger beziehen
Wohngemeinschaften frei werdende Wohnungen. Oder Menschen aus Ländern, in
denen man höhere Mieten gewöhnt ist.
Gunnar Zerowsky, seit 2013 Leiter des QM-Büros auf der Schillerpromenade,
freut sich über „die vielen neuen Gesichter“, über die fast täglich neu
eröffneten Läden. Der Schillerkiez, sagt er, sei aus dem Dornröschenschlaf
erwacht. Das Quartiersmanagement habe nun die Aufgabe, die Entwicklung der
Gegend „als Motor und Bewahrer des Guten“ zu begleiten.
Angst vor Gentrifizierung hat man beim QM offenbar nicht. Beim
Häppchenbuffet betont Zerowsky, dass der Milieuschutz nur vorbeugend sei:
„Wir haben hier noch nicht mal die erste Stufe erreicht“, sagt er. Leute
mit Geld zögen noch immer nicht in Strömen her. Auch die Studenten,
Künstler, jungen Familien – sie alle zögen wieder weg, sobald die Kinder
ins Schulalter kämen.
Dem widerspricht die Pfarrererin der Genezareth-Kirche, Elisabeth Kruse,
die den vielen Lobreden eher kritisch gelauscht hat. „Die Gentrifizierung
ist bereits in vollem Gange“, meint sie. Im Kindergarten ihrer Gemeinde
seien die bildungsnahen Mittelschichtsfamilien inzwischen in der Mehrheit,
auch gebe es spürbar mehr Taufen. Anlass zum Jubeln ist das für Kruse
nicht: „Wir haben hier alles nebeneinander: soziale Probleme und abends die
Englisch sprechenden Touristen.“
Die neue Arbeitsmaxime des Quartiersmanagements lautet nun „Das Tor zur
Freiheit – lebenswert für alle!“ Die Lage am „Central Park“ und die An…
vor Verdrängung bestimmt also auch die Arbeit der Quartiermanager. Es gilt
jetzt, ganz unwissenschaftlich gesprochen, die Neuen im Kiez zu halten.
Ohne zu viele der Alten zu verlieren. Ein Kunststück, an dem Gebiete wie
der Reuterkiez bereits gescheitert sind.
24 Sep 2014
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
Gentrifizierung
Verdrängung
Kiez
Neukölln
Schwerpunkt Schillerkiez in Berlin
Kiez
Berlin
Grundschule
## ARTIKEL ZUM THEMA
Auftakt zur taz-Serie Lieblingskiez: Meine Kneipe. Meine Molle. Mein Kiez
Die Berliner Kieze sind nicht totzukriegen. Trotz Gentrifizierung und
wachsender Stadt bieten sie auch Neuberlinern Orientierung.
Wohnblock-Versteigerung in Neukölln: Ein Investment mit Risiko
14 Häuser kommen unter den Hammer, schon wandeln Investoren durch die Höfe.
Doch die organisierten Bewohner haben einen Grund zur Hoffnung.
Interview mit Eltern-Initiative: „Einfach mal in die Schule gehen“
Seit vier Jahren versucht das Bündnis „Kiezschule für alle“
bildungsbewusste Eltern im Neuköllner Schillerkiez zu halten. Mit Erfolg,
erzählt Petra Lafrenz.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.