| # taz.de -- Interview mit Eltern-Initiative: „Einfach mal in die Schule gehen… | |
| > Seit vier Jahren versucht das Bündnis „Kiezschule für alle“ | |
| > bildungsbewusste Eltern im Neuköllner Schillerkiez zu halten. Mit Erfolg, | |
| > erzählt Petra Lafrenz. | |
| Bild: "Es herrscht eine tolle, bunte Mischung": Graffito an der Karl-Weise-Schu… | |
| taz: Frau Lafrenz, seit vier Jahren versucht Ihre Initiative, „Kiezschule | |
| für alle“ bildungsbewusste Eltern im Schillerkiez zu halten. Was wollten | |
| Sie erreichen? | |
| Petra Lafrenz: Früher hatten mehr als 90 Prozent der Kinder in der | |
| Karl-Weise- und der Karlsgarten-Grundschule einen Migrationshintergrund. | |
| Viele kamen aus bildungsfernen, aus armen Familien. Die Schulen galten für | |
| viele Eltern als inakzeptabel. Sie versuchten, einen Platz an der | |
| Evangelischen Schule oder einer anderen beliebten Schule zu bekommen. Oder | |
| zogen weg, wenn die Kinder ins Schulalter kamen. Das ist jetzt nicht mehr | |
| so. | |
| Was hat sich verändert? | |
| Der Anteil von Nichtmuttersprachlern ist auf 70 Prozent gesunken. Es | |
| herrscht eine tolle, bunte Mischung. In der Klasse meiner Tochter sind | |
| Kinder aus vielen Ländern: Georgien, Exjugoslawien, Türkei, arabische | |
| Länder, Schweiz, Polen, Portugal, USA, England – und natürlich Deutschland. | |
| Streben Sie eine Mehrheit deutscher Muttersprachler in den Klassen an? | |
| Nein, wir wollen die Mischung. Ideal wäre ein Verhältnis von 50 Prozent | |
| deutschen Muttersprachlern und 50 Prozent Zweitsprachlern. Weil es dann | |
| genug deutsche Sprachvorbilder gibt. Insgesamt hat sich das Sozialverhalten | |
| durch die bessere Mischung enorm verbessert. Es ist erstaunlich, wie | |
| schnell sich verhaltensauffällige Kinder durch den engagierten Einsatz der | |
| Pädagogen und das Vorbild der anderen Kinder in der Schule wandeln. | |
| Wie haben sich die Schulen eigentlich so stark verbessern können in einer | |
| so kurzen Zeit? | |
| Eigentlich war der Unterricht immer in Ordnung. Die Lehrer und | |
| Erzieherinnen waren und sind hoch motiviert. Das Problem der Schulen war | |
| ihr schlechter Ruf, der aus früheren Zeiten nachwirkte. Als ich vor 16 | |
| Jahren herzog, machten Jugendgangs die Gegend unsicher, abends brannten | |
| schon mal Spielplatzgeräte. Es gab keine Freizeitangebote für Jugendliche, | |
| nur trostlose Grünanlagen. Dem hat das Quartiersmanagement in mühevoller | |
| Kleinarbeit entgegengewirkt, auch die Schulen haben sich alle Mühe gegeben. | |
| Wie haben Sie es geschafft, das schlechte Image zu besiegen und die Kinder, | |
| die Vorbild sein können, an die Schulen zu bekommen? | |
| Ganz einfach: Man muss einfach mal hingehen und sich die Schule ansehen. | |
| Bevor ich meine Tochter an der Karl-Weise-Schule angemeldet habe, war ich | |
| bei den Tagen der offenen Tür, habe mehrmals im Unterricht hospitiert, auch | |
| in anderen Schulen. Und ich habe keine Schule gesehen, die besser war als | |
| die um die Ecke. | |
| Hospitieren, das heißt, Sie haben einen ganzen Schultag als Zuschauerin | |
| verbracht? | |
| Ich habe zwei, drei Stunden mit im Unterricht gesessen. Meine Tochter war | |
| dabei, sie war erst vier, sollte aber mit fünfeinhalb eingeschult werden. | |
| Sie fand es dort klasse, vor allem, dass die Kinder so nett zu ihr waren. | |
| Als sie die später auf dem Spielplatz getroffen hat, haben sie gefragt: | |
| „Kommst du bald?“ | |
| Wenn man mal da war, ist es also ganz nett. Das heißt, Sie arbeiten mit den | |
| Eltern vor allem gegen deren eigene Vorurteile an? | |
| Genau: Wir machen es eigentlich für die Eltern. Die kommen, schauen sich | |
| die Schule an. Und finden sie dann sehr gut. Einen Großteil der Eltern | |
| können wir von den Vorteilen der Schule nebenan überzeugen. Aber einige | |
| melden ihr Kind dann vorsichtshalber doch an einer anderen Schule an. Und | |
| wenn sie den Platz bekommen, nehmen sie doch lieber den. Wobei ich | |
| feststellen konnte, dass auch wohlerzogene Schüler aus vermeintlich | |
| besseren Schulen sagen: „Ey, isch schwöre“, der Pausenhofslang und gewisse | |
| Schimpfwörter sind dort genauso verbreitet. | |
| Die Grundbildung für den Kiez bekommt man also überall. | |
| Es ist nun auch nicht so, dass auf den Schulhöfen nur „Türkendeutsch“ | |
| gesprochen und geflucht wird. Die Kinder können auch anders. Neulich bei | |
| der Sonnenfinsternis gab es nur eine SoFi-Brille für 60 Kinder. Die standen | |
| alle und warteten ganz geduldig, bis sie drankamen. | |
| Was erwarten Sie als Mutter eigentlich von einer Grundschule? | |
| Ich erwarte, dass mein Kind dort lesen, schreiben, rechnen lernt und alles, | |
| was im Lehrplan vorgesehen ist. Die Schule soll mein Kind fürs Lernen | |
| begeistern. Ich erwarte auch, dass eingeschritten wird, wenn es größere | |
| Streitereien gibt. Und dass sie mal etwas Besonderes mit den Kindern | |
| machen: Theater, Kino, Waldausflüge. Die Klasse meiner Tochter verbringt | |
| alle paar Wochen einen Vormittag im Wald, wo sie Kräuter sammeln, Tiere | |
| beobachten, die Waldschule besuchen. Sie erzählt sehr begeistert davon. | |
| Gibt es viele engagierte Eltern wie Sie im Kiez ? | |
| Die meisten Eltern, egal woher sie kommen, sind sehr bildungsorientiert. | |
| Auch wenn sie selbst keine gute Ausbildung bekommen haben, legen sie großen | |
| Wert darauf, dass ihre Kinder weiterkommen. Die sprechen uns oft an und | |
| sagen, wie wichtig es für ihre Kinder ist, im Umgang mit Muttersprachlern | |
| einen umfangreichen Wortschatz zu erlernen. Die Schulen sind sehr offen für | |
| engagierte Eltern, weil sie sehen, dass ihnen diese Offenheit hilft. | |
| Mittlerweile bleibt die Mehrheit derer, die schulpflichtige Kinder haben, | |
| im Kiez. Und immer öfter schicken sie ihre Kinder in die Kiezschulen. | |
| Ein Verdienst Ihrer Initiative? | |
| Sicher. Aber auch die Schließung des Flughafens und die Öffnung des Feldes | |
| haben die Entwicklung beschleunigt. Wenn jetzt Familien wegziehen, tun sie | |
| das nicht mehr der Schulen wegen. Sondern weil sie sich die Mieten nicht | |
| mehr leisten können. Die Leute, die neu herkommen, sind junge Menschen, die | |
| viel arbeiten und sich dadurch die teuren Mieten leisten können. Die haben | |
| keine Kinder oder höchstens sehr kleine. Man sieht immer öfter teure | |
| Bugaboo-Kinderwagen, ein Anblick, den es früher hier nicht gab. | |
| Wie erreichen Sie diese Eltern? | |
| Wir verteilen Flugblätter in Kinderläden und auf Spielplätzen, sind beim | |
| Tag der offenen Tür in den Schulen präsent und veranstalten Info-Treffen. | |
| Durch die Medien sind wir mittlerweile bekannt: Vor ein paar Jahren hatten | |
| wir unsere Mühe, mal ein paar Flyer loszuwerden. Mittlerweile nimmt man uns | |
| die freudig aus der Hand: „Ach, die Karl-Weise-Schule? Da habe ich schon so | |
| viel Gutes gehört!“ Aber es gab auch Mitglieder, die beschimpft wurden, | |
| weil wir angeblich der Gentrifizierung Vorschub leisten. Aber das sind | |
| vereinzelte Reaktionen. | |
| Die Karlsgarten- und die Karl-Weise-Schule waren früher oft unterbelegt, | |
| sie bekamen nicht genug Schüler. Das Problem hat sich jetzt erledigt, oder? | |
| Absurderweise nicht. Obwohl ihre Akzeptanz im Kiez gestiegen ist, verlieren | |
| die Schulen Kinder. Denn es ziehen zu wenige Kinder neu zu, um den Wegzug | |
| von Familien auszugleichen, die wegen der zu hohen Mieten den Kiez | |
| verlassen. | |
| Eine verrückte Entwicklung in nur vier Jahren. Hätte man also doch das | |
| Tempelhofer Feld bebauen sollen? | |
| Tja, es ist doch so: Wenn man eine Wohnung hat, legt man keinen Wert auf | |
| Neubau auf dem Feld. Verliert man aber seine Wohnung oder droht sie zu | |
| verlieren, wünscht man sich Wohnungen schon eher. Nach den massiven | |
| Veränderungen der letzten Jahre denke ich manchmal: Vielleicht wären ein | |
| paar Wohnungen am Rand doch ganz gut gewesen, es hätte den Druck auf den | |
| Kiez verringern können. Wir haben hier jedenfalls ganz schön zu kämpfen, | |
| mit Modernisierungsankündigungen, Umwandlung in Eigentumswohnungen und | |
| steigenden Mieten. | |
| Geht es vielen aus Ihrer Initiative so? | |
| Das weiß ich nicht genau. Wir treffen uns nicht mehr so häufig. Bei vielen | |
| ist jetzt auch die Luft raus: Das Kind geht in die erste oder zweite | |
| Klasse, die Eltern sehen, es ist in guten Händen. Auch meine Tochter ist | |
| jetzt in der zweiten Klasse und geht sehr gerne zur Schule. | |
| Klingt, als planten Sie den baldigen Ausstieg. Wer macht dann die Arbeit | |
| weiter? | |
| Vielleicht muss man das bald nicht mehr. Wir hatten uns vorgenommen, uns | |
| als Initiative überflüssig zu machen. Die Einschulung ist mittlerweile ein | |
| Selbstläufer. Bei den Eltern, die jetzt Kinder bekommen, wird die | |
| Einschulung keine Frage mehr sein. Und viele der jetzt Eingeschulten werden | |
| ihre jüngeren Kita-Freunde mitnehmen. | |
| 7 Apr 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
| Bert Schulz | |
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| Autorin ist nach Neukölln gezogen - und empfindet sich als Teil der | |
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