# taz.de -- Auftakt zur taz-Serie Lieblingskiez: Meine Kneipe. Meine Molle. Mei… | |
> Die Berliner Kieze sind nicht totzukriegen. Trotz Gentrifizierung und | |
> wachsender Stadt bieten sie auch Neuberlinern Orientierung. | |
Bild: Kiez: Straßenszene aus der Soldiner Straße im Ortsteil Gesundbrunnen, B… | |
Wir machen jetzt mal die Probe. Wo, liebe Leserin und lieber Leser, wohnen | |
Sie? In Berlin, klar. Aber wo genau in Berlin? | |
Es gibt für Antworten auf solche Fragen keine Statistiken, aber ganz sicher | |
wird der ein oder die andere nicht nur mit dem Stadtteil oder Bezirk | |
antworten, in dem er oder sie wohnt. Viele mögen es kleiner, beschaulicher, | |
übersichtlicher, mit einem Wort kieziger. Sie leben dann nicht in Pankow, | |
sondern im Florakiez. Nicht im hinteren Kreuzberg, sondern im Wrangelkiez. | |
Und natürlich leben sie auch in Wedding und Gesundbrunnen in Kiezen, im | |
alternativen Sprengelkiez oder im rauen Soldiner Kiez. | |
Dass der Berliner gern im Kiez wohnt und aus selbem oft nicht rauskommt, | |
weiß jeder, den es in die Hauptstadt zieht – auch wenn die vielzitierte | |
Berliner Eckkneipe, die einmal zu den Kiezen gehörte, inzwischen meist | |
Geschichte ist. Und es erleichtert ja auch die Orientierung. Wer neu in | |
Berlin ist und in der Reuterstraße eine Bleibe gefunden hat, braucht sich | |
erst mal nur in den paar Straßen um ihn herum zurechtzufinden. Die | |
Großstadt mit ihren 3,6 Millionen Einwohnern kann ruhig ein wenig warten. | |
Aber ist das wirklich typisch berlinerisch? Hat nicht auch Köln seine | |
Veedel (kölsche Wort für Stadtteil – Anm. d. Red.) und Leipzig seine ganz | |
besonderen Stadtteile? | |
## Alles da, was man braucht | |
Doch, ist es, und das hat mit der Berliner Geschichte zu tun. Erst 1920 | |
wurde Berlin durch zahlreiche Eingemeindungen zu dem, was es heute ist. | |
Folglich hat jeder noch so kleine Stadtteil seinen ehemaligen Dorfanger, | |
seine Kirche, sein Rathaus, sein Zentrum, seine Geschichte. In Berlin ist | |
es deshalb leichter, auf engstem Raum zu leben. Es ist alles da, was man | |
braucht. In gewisser Weise ist der Kiez nicht anders als die Kleinstadt | |
oder das Dorf, aus dem man nach Berlin gezogen ist, nur ein bisschen größer | |
und anonymer. | |
Das ist die schöne Seite der Erzählung, die uns die Kieze bereithalten. | |
Aber auch ein Kiez verändert sich, und nicht selten geht dabei das | |
verloren, was ihn erst dazu gemacht hat. Die Geschichte zum Beispiel, die | |
viele der Neuhinzugezogenen gar nicht mehr interessiert. Oder die schrägen | |
Typen, die irgendwann an den Stadtrand verdrängt werden, wenn Kieze, vor | |
allem die begehrten, immer homogener werden. | |
Aber auch die entgegengesetzte Entwicklung ist möglich, wie das Beispiel | |
des Soldiner Kiezes zeigt. Vor einigen Jahren noch als Problemviertel | |
verschrien, bilden sich neue Nachbarschaften. In Gesundbrunnen oder Wedding | |
geht also nichts verloren, stattdessen beginnt dort erst die Kiezwerdung. | |
## Identitätsstiftend | |
Das identitätsstiftende Potenzial der Berliner Dörfer hat inzwischen auch | |
die Immobilienbranche entdeckt. Wie ein Projekttutorium der Berliner | |
Humboldt-Universität herausgefunden hat, würden vor allem Neuberlinern | |
„zahlreiche wenig erschlossene Gebiete als ursprüngliche Kieze | |
vorgestellt“. Mehr noch: „Zum Teil konnte sogar festgestellt werden, dass | |
die Etablierung einiger Kieze erst auf die Bewerbung durch Immobilienfirmen | |
zurückzuführen ist.“ | |
Ein weiteres Thema wäre sicher, inwieweit diejenigen, deren Radius ohnehin | |
weit über Berlin hinausgeht, Kieze noch brauchen. Wer zum Beispiel in | |
Adlershof arbeitet, unterwegs einkauft und sich mit der Flasche Wein auf | |
die Dachterrasse setzt, braucht eigentlich keinen Kiez. Er ist dann nur | |
noch Kulisse. | |
Aber auch der Wandel gehört zur Geschichte der Kieze. Einst waren sie als | |
Fischer- oder Handwerkerviertel eng mit einer naheliegenden Burg verbunden. | |
Davon zeugt heute nur noch die Kietzvorstadt in Köpenick. | |
Ach ja, und wenn wir die Probe machen und Sie sagen, Sie wohnen „auf dem | |
Kiez“, dann kommen Sie aus Hamburg. Und kennen die Reeperbahn in- und | |
auswendig. | |
Dieser Text ist Teil des aktuellen Wochenendschwerpunkts in der taz.berlin. | |
Darin am Sonnabend: ein Rundgang durch den Soldiner Kiez. In Ihrem | |
Briefkasten und am Kiosk. | |
29 Jul 2017 | |
## AUTOREN | |
Uwe Rada | |
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