| # taz.de -- Nachwahl in Großbritannien: „Ich wähle Ukip!“ | |
| > In Clacton dürften die Ukip-Rechtspopulisten bei der Nachwahl ihr erstes | |
| > Direktmandat gewinnen. Ein Ortstermin beim Kandidaten. | |
| Bild: Douglas Carswell auf Wahlkampftour in Clacton-on-Sea. | |
| CLACTON-ON-SEA taz | Mit einem gut gelauntem „Good Morning“ betritt ein | |
| leger gekleideter Mann mit offenem Hemd und braunem Sakko das Parteibüro. | |
| Die Schaltstelle der Ukip (United Kingdom Independence Party) in der | |
| englischen Kleinstadt Clacton-on-Sea liegt strategisch direkt gegenüber dem | |
| Bahnhof. Obwohl es erst zehn Uhr am Morgen ist, herrscht hier reges | |
| Treiben. | |
| Ein älterer Mann beantragt gerade seine Mitgliedschaft, andere reden eifrig | |
| am Telefon, in einer Ecke liegen eine Menge von gelb-lila Flugblättern mit | |
| der Parole „Ich wähle Ukip!“ | |
| Der Mann, der eben eingetreten ist, heißt Douglas Carswell. Der 43-Jährige | |
| ist der Wahlkreisabgeordnete für Clacton im britischen Unterhaus. Anfang | |
| September verließ er die regierenden Konservativen, trat der | |
| rechtspopulistischen Ukip bei und verkündete, er werde sein Mandat | |
| niederlegen und zur dann fälligen Nachwahl als Ukip-Kandidat antreten. | |
| Hatte Carswell noch bei den Parlamentswahlen vor vier Jahren den über | |
| 66.000 Wähler zählenden Sitz mit 53 Prozent triumphierend für die Tories | |
| gewonnen, wird es nun am 9. Oktober, pünktlich zum Geburtstag des | |
| Premierministers David Cameron, Nachwahlen geben – und alle Umfragen sagen | |
| Ukip mit Carswell einen haushohen Sieg voraus. | |
| Die ruhige, heruntergekommene Nordseeküstenstadt Clacton am nordöstlichsten | |
| Zipfel der Grafschaft Essex, über 100 Kilometer von London entfernt, könnte | |
| damit den Rechtspopulisten ihren ersten Abgeordneten in Westminster | |
| bescheren. Clacton gilt als Ruheort für die, denen London zu turbulent | |
| geworden ist, als Austrageort einer alljährlichen Flugshow, aber auch als | |
| eine der heruntergekommensten Gegenden Englands. Im Bezirk Jaywick sind ein | |
| Drittel der Jugendlichen zwischen 16 und 24 arbeitslos. | |
| Zahlreiche Gruppen Jugendlicher treiben sich bereits mittags in den Straßen | |
| herum. Eine laute Sechsergruppe vor einem Spirituosengeschäft verrät, dass | |
| sie noch nie jemand nach ihrer politischen Meinung gefragt hat. Einer | |
| wünscht sich „eine Motocrossbahn und einen Stripklub“, und „wir brauchen | |
| mehr Straßenlicht in der Nacht, denn wir werden in der Dunkelheit oft Opfer | |
| von Raubüberfällen.“ | |
| ## „Die führende Elite meint es nicht ernst“ | |
| In einem Café erzählt Carswell, worum es ihm geht: nicht so sehr um eine | |
| Partei als um das politische System. Er wolle die Beziehungen zwischen der | |
| Regierung und der britischen Wählerschaft ändern, und zitiert seinen | |
| Lieblingsphilosophen Friedrich Hayek. „Aus Westminster kommt viel zu viel | |
| Kratos – Macht!“ sagt er. Er habe die Konservativen verlassen, „weil ich | |
| das Gefühl habe, dass es die führende Elite nicht ernst meint mit echten | |
| Veränderungen“. | |
| Wie Ukip-Chef Nigel Farage ist auch Carswell für einen Austritt | |
| Großbritanniens aus der EU. „Ich bin ein Laissez-faire-Liberaler. Die EU | |
| polarisiert den Handel. Wir brauchen eine viel ausgeglichenere Beziehung | |
| mit Europa und mit anderen Märkten, inklusive den Englisch sprechenden | |
| Interessensphären, dem Commonwealth und den USA.“ | |
| Und die vielen gegen Einwanderer gerichteten Stimmen unter Ukip-Wählern auf | |
| offener Straße? „Ich widerspreche immer solchen Haltungen“, sagt Carswell. | |
| „Immigranten dürfen nicht zu Sündenböcken gemacht werden, sondern wir | |
| müssen auf jene zeigen, welche die unkontrollierte Zuwanderung zu | |
| verantworten haben.“ Der Politiker fordert eine kontrollierte Einwanderung | |
| per Punktesystem und eine verstärkte Integration mit einem Gefühl der | |
| Zusammengehörigkeit wie zuletzt bei Olympia in London 2012. | |
| ## Zustimmende Kommentare | |
| Auf dem Rückweg zum Parteibüro wird Carswell von mehreren Menschen auf der | |
| Straße angehalten und erhält zustimmende Kommentare. Die meisten der Leute | |
| sind über 60. Ein älteres Ehepaar erwähnt den Besuch von Ukip-Chef Nigel | |
| Farage in Clacton. Carswell erzählt: „Wir haben die Zuhörer gefragt, wie | |
| viele Leute bei der Veranstaltung Parteimitglieder waren, und nur wenige | |
| hielten ihre Hände hoch. Es interessieren sich also ganz gewöhnliche | |
| Menschen für uns.“ | |
| Ein wenig weiter verteilen zwei freiwillige Wahlkampfhelfer aus Schottland | |
| Ukip-Flugblätter. Und an einer Bushaltstelle spricht die 71-jährige Cindy | |
| den Abgeordneten an: „Ich finde es schlecht, dass Sie die Dialyseeinheit im | |
| Krankenhaus abgeschafft haben“, bemerkt sie. Carswell, der ja bis jetzt | |
| Abgeordneter der Regierungspartei war, verweist auf neue mobile Einheiten | |
| für die Dialyse im eigenen Heim und drückt Cindy zwei Ukip-Flugblätter in | |
| die Hand. | |
| Der Weg zum Parteibüro führt am Rathaus vorbei. Da stehen Carswells alte | |
| konservative Parteifreunde auf der Treppe zu einem Gruppenfoto versammelt. | |
| Unter ihnen ihr neuer Kandidat: Giles Watling, ein verblasster TV-Star der | |
| B-Liste. | |
| 8 Oct 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Daniel Zylbersztajn | |
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