# taz.de -- Staatsrechtler über britische Verfassung: „Die Leute wollen Unte… | |
> Seit dem Schottland-Referendum wird in England über eine Neuordnung des | |
> Vereinigten Königreichs diskutiert. Worum geht es? | |
Bild: Fähnchen im Wind. | |
taz: Herr Dr. Elliott, seit dem Unabhängigkeitsreferendum in Schottland | |
tobt die Debatte darüber, wie Großbritannien insgesamt politisch umgebaut | |
werden soll. Wie könnte das Vereinigte Königreich in Zukunft aussehen? | |
Mark Elliott: Ich glaube, man wird drei Entwicklungen beobachten, die aber | |
nicht gleichzeitig eintreten. Erstens erweiterte Befugnisse für Schottland, | |
aber es ist derzeit unklar, welche. Parallel dazu eine Erweiterung der | |
Autonomie Nordirlands und von Wales. Drittens wird man es dem britischen | |
Unterhaus ermöglichen, auch als englisches Parlament aufzutreten. Man wird | |
nach einen Weg suchen, die Stimme der englischen Abgeordneten in | |
ausschließlich englischen Angelegenheiten zu stärken. Ein föderales System | |
wie in Deutschland wird es aber nicht. | |
Wieso nicht? Deutschland gilt doch als Musterbeispiel. | |
Der deutsche Fall 1949 war eine vollkommene Neugründung. In der | |
Verfassungsgeschichte Großbritanniens hat sich bisher noch nie jemand zur | |
Aufgabe gemacht, ein ganz neues System zu entwickeln. Stattdessen gibt es | |
eine historisch flexible Verfassungsordnung, welche über Jahrhunderte immer | |
wieder kleine Änderungen erfahren hat, jedoch ohne größeren Plan und oft | |
vollkommen willkürlich. Für ein richtiges föderales System müsste man in | |
Großbritannien enorme Veränderungen in Kauf nehmen. | |
Aber die Probleme liegen auf der Hand. Studenten in England müssen für ihr | |
Studium mehrere 10.000 Euro hinlegen, während jene in Schottland umsonst | |
studieren – und Engländer, die in Schottland studieren, müssen zahlen … | |
Und die Zuständigkeiten sind ungleich verteilt. Schottland hat mehr Macht | |
als Wales, Wales mehr als England, England an sich verfügt über gar keine | |
eigenen Kompetenzen. In London mit seiner eigenen Großstadtregierung GLA | |
(Greater London Authority) werden Sachen anders gehandhabt als in den | |
übrigen großen Städten. Deshalb wird das britische System von vielen als | |
unfair beschrieben. Aber man könnte auch sagen, dass es eine andere Art von | |
Fairness ist, wenn man jede Region oder Stadt genau so strukturiert, wie es | |
für sie richtig scheint. Genau das ist die Essenz des britischen Systems. | |
Der Grund für die vielen Unterschiede ist nämlich tatsächlich, dass die | |
Leute unterschiedlich verwaltet werden wollen. Dass in Schottland andere | |
Regeln gelten als in England, ist doch gerade ein Symbol von | |
Dezentralisierung. Bei der Studiengebührendebatte gab es aber das Problem, | |
dass die schottischen Parlamentarier zum einem beschlossen, in Schottland | |
keine Studiengebühren zu erheben, während sie bei der Abstimmung in | |
Westminster zu Studiengebühren in England mitstimmen durften und | |
zusätzliches Gewicht für die dortige Einführung lieferten. Das sehen viele | |
als unfair. | |
Braucht man nach einer vollendeten Dezentralisierung überhaupt noch das | |
britische Parlament in Westminster? | |
Ja. Es wird sich mit allen Fragen auseinandersetzen, die nicht | |
dezentralisiert wurden, wie Verteidigung und Außenpolitik. Städte werden | |
sicher nicht die gleichen Befugnisse erhalten wie das Land Schottland, also | |
beispielsweise die Möglichkeit, eigene Steuersätze festzulegen. Westminster | |
wird außerdem viele Entscheidungen für englische Angelegenheiten treffen, | |
ohne es für Schottland, Wales und Nordirland zu tun. | |
Und wieso dann nicht einfach ein Parlament für England, neben denen für | |
Schottland, Wales und Nordirland? | |
Es ist viel einfacher, das britische Parlament für ganz bestimmte Fragen, | |
die sich nur auf England beziehen, umzukonfigurieren. Ein separates | |
englisches Parlament bräuchte auch eine separate englische Regierung. Das | |
wäre problematisch. | |
Wieso? | |
Weil England viel größer ist als die anderen drei Länder. Und separate | |
englische Institutionen könnten englischen Nationalismus und Separatismus | |
nähren. Statt Schottland könnte England das Vereinigte Königreich | |
verlassen, und die anderen wären dagegen machtlos. | |
Lassen sich all diese Fragen bis zu den nächsten britischen Wahlen im Mai | |
2015 klären? | |
Es wird einen klaren Plan für Schottland geben. Dass Vorschläge für England | |
und andere Regionen bis dahin feststehen, ist aber eher unwahrscheinlich. | |
Die Parteien werden ihre Vorstellungen dazu in den Wahlkampf einbringen. | |
Wer jetzt in Großbritannien neue Kompetenzen aus Westminster will, sollte | |
sich also schnell melden, oder? | |
Für jeden Teil des Landes muss das einzeln ausgehandelt werden. Das | |
britische System ist ein System der Nachfrage und des Angebots. Wer mehr | |
Kompetenzen fordert, hat eine erhöhte Chance, sie zu erhalten. | |
10 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Daniel Zylbersztajn | |
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Alex Salmond | |
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