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# taz.de -- Schotten in England: Nur wenig nationale Romantik
> Schotten, die in London leben, durften am Referendum über die
> Unabhängigkeit des Landes nicht teilnehmen. Ihre Einstellung ist zumeist
> probritisch.
Bild: Schottische Folklore im Herzen Westminsters.
LONDON taz | Die hölzerne Tür führt in das im Jahre 1711 eröffnete
Kirchengebäude der schottischen Crown Court Church in London und steht
heute mitten im Londoner Theaterviertel. Die Gemeinde von Pfarrer Philip
Majcher geht auf die Vereinigung Schottlands mit England im Jahre 1603
zurück. Seit dieser Zeit wandern Schotten nach London ein, vor allem auf
der Suche nach Arbeit. Mehr als 750.000 Schotten leben derzeit in England,
die meisten davon in London.
Abstimmen durften sie am vergangenen Donnerstag beim
Unabhängigkeitsreferendum nicht – stimmberechtigt waren nur Bewohner
Schottlands. Es gibt keine erkennbaren schottischen Gegenden in London.
Diese Kirche hier sei „Schottland in London“, sagt Alex Ritchie, 60, der
neben dem Pfarrer steht und die Hälfte seines Lebens hier lebt. „Wir sind
ein Exportland von Talenten“, behauptet Pfarrer Majcher und nennt William
Paterson (1858–1719), den Mitbegründer der Bank of England, als Beispiel.
Aber wie schottisch ist man noch nach 30 Jahren in London? Alex Ritchie
findet, er ist und bleibt Schotte. Beim Fußball unterstützt er Schottland.
Er befürchtet, dass Großbritannien sich bald in separate Nationalstaaten
aufspalten könnte.
In der Nähe des Londoner Fleischmarktes Smithfields steht Andrew Kesson,
36, mit seinem kleinen Sohn vor einer großen steinernen Wandtafel,
geschmückt mit Flaggen, darunter auch eine große schottische. Verwelkte
Blumen und ein leeres Kerzenglas liegen am Boden. Hier wurde 1305 der
Schotte William Wallace auf brutalste Art hingerichtet, als Strafe für
dessen erfolgreichen Kampfzug gegen das englische Heer. Die Hinrichtung
machte Wallace zum Märtyrer. „Ich wollte meinem Sohn einfach mal diesen
historischen Ort zeigen“, meint Kesson, dessen eigene Familie aus den
schottischen Highlands stammt.
Besondere schottische Natonialgefühle empfinde er nicht, sagt er. Neben ihm
macht ein Mittvierziger Fotos, Ruairi O’Conchui aus Irland. „Das Ergebnis
des Referendums betrübt mich“, gesteht er. „Wallace war eine Inspiration
für alle nach Unabhängigkeit strebenden Menschen. Aber jetzt haben die
Schotten ihre Chance vertan.“ Deswegen hat es ihn heute zu diesem Denkmal
gezogen.
## Schon genug Autonomie
Solche Gedanken findet der ehemalige Glasgower Gerard McLean, 46, völlig
übertrieben. Er spricht von einer „Unabhängigkeitsmasche“, denn „Schott…
schieben alles, was nicht klappt, auf die Engländer“. McLean lebt seit 1989
in London. Jetzt, sagt er in Bezug auf David Camerons Ankündigung, auch für
England mehr Selbstbestimmungsrecht einzufordern könnte England und nicht
Schottland die erste unabhängige Nation Großbritanniens werden.
Für Ann Robertson aus Kilwinning in Nordayrshire ist das Vereinigte
Königreich ein Beweis für historische Erfolge trotz vehementer Differenzen
zwischen den Nationen. „Das Nein im Referendum war eine Zustimmung für die
Vorteile der Vereinigung“, findet die 34-Jährige. Vor zwölf Jahren zog sie
der Karriere zuliebe nach London. Die Probleme Schottlands hätte Hollyrood,
der Sitz der schottischen Autonomieregierung, mit den bereits bestehenden
Befugnissen durchaus in die Hand nehmen können, behauptet sie.
Wie schottisch sind die Schotten? Die meisten Mitglieder der Londoner
Königlich Schottischen Volkstanzgesellschaft (RSCD), Inbegriff schottischer
Folklore in London, seien Nichtschotten, gab jetzt der Vorsitzende dieses
Verbands bekannt. Er selbst eingeschlossen. Auch Pfarrer Majcher bestätigt,
dass ein guter Teil seiner „schottischen“ Kirchengemeinde nicht mehr aus
Schotten besteht.
22 Sep 2014
## AUTOREN
Daniel Zylbersztajn
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