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# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Ukip, die Partei zum Fürchten
> Die rechtspopulistische Ukip wird immer stärker. Einst von einem
> Linksliberalen gegründet, vereint sie heute europafeindliche,
> rassistische Wähler.
Bild: Eine Ukip-Aktivistin auf Stimmenfang – zeitweise am falschen Ort.
Ein Gespenst lehrt die politische Elite Großbritanniens das Fürchten: Die
rechtspopulistische, europa- und ausländerfeindliche United Kingdom
Independence Party (Ukip) hat bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im
Mai den drei etablierten Parteien eine demütigende Niederlage beigebracht.
Es ist das erste Mal seit hundert Jahren, dass bei einer landesweiten Wahl
weder Labour noch die Konservativen vorn lagen. Ukip-Chef Nigel Farage, der
eifrig das Image des Biertrinkers und Mannes von der Straße kultiviert, der
kein Blatt vor den Mund nimmt, hatte vor den Wahlen ein „politisches
Erdbeben“ versprochen - und hat prompt geliefert.
Die Ukip ist ein vielschichtiges politisches Phänomen und lässt sich nicht
einfach mit dem französischen Front National oder anderen europäischen
Rechtsaußenparteien in eine Schublade stecken. Sie wurde 1993 von dem
linksliberalen Professor Alan Sked gegründet und war zunächst eher eine
„single-issue party“. Einziger Programmpunkt: Austritt des Vereinigten
Königreichs aus der EU. Die traditionelle Opposition gegen das europäische
Projekt war nicht auf die radikale Rechte beschränkt.
1973 führte die konservative Regierung unter Edward Heath das Land in die
Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG). Für den Beitritt machte sich
auch die damalige Ministerin für Kultur und Wissenschaft, Margaret
Thatcher, stark. Der lauteste Protest kam damals von der Labour Party,
deren linker Flügel die EWG als Institution des Kalten Kriegs betrachtete,
die kapitalistische Konzepte in Recht festschrieb und sozialistische
Vorhaben wie Verstaatlichungen und gewerkschaftliche Kämpfe verhinderte.
## Raus aus der EWG
Nachdem die Labour Party die Wahlen von 1974 gewonnen hatte, war sie
gezwungen, ein EWG-Referendum durchzuführen, wobei sogar
Kabinettsmitglieder wie die linke Kultfigur Tony Benn für den Austritt
agitierten. Obwohl 67 Prozent der Briten für den Verbleib stimmten,
gewannen die EWG-Gegner innerhalb der Partei die Oberhand. Mit der
Ankündigung, Großbritannien wieder aus der EWG herauszulösen, verlor Labour
die Wahlen von 1983 mit dem schlechtesten Ergebnis seit 1945.
Der Thatcherismus hat die gesamte Konstellation verändert - und er erklärt
die Motive der heutigen Ukip-Führung. In den 1980er Jahren wurden die
Rechte der britischen Arbeiter stark eingeschränkt, ganze
Bergarbeiterregionen im Zuge einer rapiden Deindustrialisierung ausgelöscht
und der Sozialstaat systematisch ausgehöhlt. Damals setzten viele Linke und
Gewerkschafter ihre letzte Hoffnung auf eine progressive Gesetzgebung in
Brüssel. Umgekehrt sahen Thatcher-Anhänger im europäischen Projekt
zunehmend eine Gefahr für ihre eigenen Pläne.
Als der Europarat im Mai 1988 das „Zusatzprotokoll zur Europäischen
Sozialcharta“ verabschiedete, das gewerkschaftliche Rechte, die
Gleichberechtigung von Frauen sowie Mindeststandards für Sicherheit und
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz garantierte, startete Thatcher eine wüste
Polemik gegen „diese sozialistische Charta“.
[1][Im September 1988 erklärte sie]: „Wir haben den Staat nicht
zurückgedrängt, um mitanzusehen, wie er auf europäischer Ebene wieder
gestärkt wird - mit einem europäischen Superstaat, der in Brüssel eine neue
Dominanz ausübt.“ Diese Haltung ließ eine neue Bruchlinie innerhalb der
britischen Rechten entstehen: zwischen den EU-Befürwortern und den
sogenannten Euroskeptikern, die entweder Neuverhandlungen im Interesse der
Briten oder gleich den Austritt fordern.
## Die „Armee des Volkes“
In den 1990er Jahren hatte der konservative Premierminister John Major
innerhalb seiner eigenen Partei mit vehementer Kritik am Maastricht-Vertrag
und den EU-Institutionen zu kämpfen. Diese Opposition wurde immer massiver
und trug zu Majors erdrutschartiger Wahlniederlage von 1997 bei, als die
inzwischen stramm proeuropäische Labour Party von Tony Blair 43 Prozent der
Stimmen (gegenüber 30 Prozent der Konservativen) erhielt. Bemerkenswert
ist, dass die Fixierung der Konservativen auf die EU ihre Wahlchancen
beeinträchtigte.
Die Partei vermittelte den Eindruck, die Alltagssorgen der Briten aus den
Augen verloren zu haben. Als David Cameron 2005 zum Parteichef gewählt
wurde, versprach er einen Prozess der Modernisierung und - statt der
Fixierung auf die EU - einen milderen und fürsorglicheren Konservatismus.
Bis zur Unterhauswahl 2010 legte seine Partei mit diesem Kurs bei Umfragen
ständig zu.
Wie konnte die Ukip es unter diesen Umständen schaffen, mit dem Thema EU
zur drittstärksten Kraft in der britischen Politik zu werden und den drei
etablierten Parteien dermaßen zuzusetzen? Wo doch die EU laut
Meinungsumfragen auf der politischen Prioritätenliste der Briten weit unten
steht und auch bei drei Vierteln der Ukip-Wähler nicht zu den drei
Topthemen zählt.
Die Ukip selbst beschreibt sich als „Armee des Volkes“ und gibt sich das
Image einer strammen Anti-Establishment-Partei. Aber ihr Führer Nigel
Farage hat das vornehme Dulwich College besucht und in der Londoner City
unter anderem als Rohstoff-Broker gearbeitet. Man könnte Parallelen
zwischen der Ukip und den Poujadisten der 1950er Jahre ziehen, aber ihr
fehlt die kleinbürgerliche Basis dieser französischen
Steuerverweigerer-Bewegung. Tatsächlich hat die Ukip von allen Parteien den
höchsten Anteil an Wählern aus der Arbeiterklasse.
## Sozialistische Wähler einer neoliberalen Partei
Besonders auffällig ist die Diskrepanz zwischen den Anhängern und der
Parteiführung. Die Ukip bezeichnet sich selbst als „libertär“ und vertritt
wirtschaftspolitisch stramm neoliberale Positionen. In der Vergangenheit
hat sie mit der Idee einer „flat tax“ gespielt, also einer einheitlichen
Einkommensteuer mit einem gleich niedrigen Steuersatz für
Supermarktangestellte und Milliardäre.
Davon hat sich die Partei inzwischen zwar wieder verabschiedet, aber sie
tritt noch immer für einen deutlich reduzierten Spitzensteuersatz ein.
Zudem fordert sie die Streichung von zwei Millionen Arbeitsplätzen im
öffentlichen Dienst und eine Reduzierung der Arbeitgeberbeiträge zur
Sozialversicherung, womit die Unternehmen 50 Milliarden Pfund (etwa 62,5
Milliarden Euro) einsparen würden.
Ganz anders die Anhänger der Partei. Knapp 80 Prozent der Ukip-Wähler sind
für die Wiederverstaatlichung der britischen Energiebranche. Die wird
derzeit von sechs extrem unpopulären Unternehmen dominiert, die
Rekordgewinne einstreichen, während sie ihren Kunden ständig die
Strompreise erhöhen. 75 Prozent wollen, dass die zerstückelte und teure
britische Eisenbahn wieder als ein einziges Unternehmen von der
öffentlichen Hand betrieben wird.
Zwei Drittel sind für eine deutliche Anhebung der Mindestlöhne, und eine
Mehrheit will „zero hour“-Verträge verbieten (die den Beschäftigten keine
Mindeststundenzahl garantieren und keinerlei elementare Rechte gewähren).
Schließlich befürwortet jeder zweite Ukip-Wähler eine staatliche Kontrolle
der Mieten von Privatwohnungen. Mit anderen Worten: Die Parteiführung
besteht aus knallharten Neoliberalen, während die Basis
wirtschaftspolitische Ansichten deutlich links von der Mitte hegt.
## Feindseligkeit gegen Migranten
Der Erfolg der Ukip hat drei Gründe: erstens die Reaktion auf die steigende
Zahl von Immigranten; zweitens die Entfremdung von der politischen Elite;
und drittens die Unfähigkeit der Linken, eine überzeugende politische
Alternative vorzuschlagen. Der Unmut über die Zuwanderung nimmt in
Großbritannien seit vielen Jahren zu. Schon bei den Europawahlen von 2009
stimmten fast eine Million Wähler für die neofaschistische British National
Party (BNP).
Die Feindseligkeit gegen Migranten ist jedoch nicht auf den rechtsradikalen
Rand der Gesellschaft beschränkt. Nach neueren Umfragen wollen drei Viertel
der Briten die Zuwanderung reduzieren. Und im Hinblick auf die Wahlen 2015
nennen die meisten der Befragten das Thema als eines der Hauptprobleme des
Landes.
Verstärkt wird die immigrationsfeindliche Stimmung durch die wachsende
soziale und ökonomische Unsicherheit. Mit dem durchschnittlichen
Lebensstandard ging es in Großbritannien schon lange vor Ausbruch der
Finanzmarktkrise bergab: Seit 2004 stagnieren die Reallöhne der ärmeren
Hälfte der Bevölkerung, und für das ärmste Drittel sind sie sogar gefallen;
im selben Zeitraum meldeten die Unternehmen Rekordgewinne.
Zugleich bietet die Wirtschaft immer weniger sichere Jobs im mittleren
Einkommensbereich, sodass der Arbeitsmarkt sich mehr und mehr zwischen den
Spitzenverdienern und der immer breiter werdenden Basis von prekären,
schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs polarisiert.
## Das Elend der Krise
Hinzu kommt, dass sich die Krise auf dem Wohnungsmarkt verschärft, weil es
sämtliche Regierungen versäumt haben, den seit der Thatcher-Ära
verscherbelten kommunalen Wohnraum zu ersetzen. Mit der Folge, dass heute
Millionen Bewerber auf den Wartelisten für Sozialwohnungen stehen.
Da die Regierung nichts gegen die ökonomische und soziale Misere unternimmt
- und keine Linke existiert, die deren Ursachen thematisieren würde -,
entstand ein politisches Vakuum, das durch ausländerfeindliche
Ressentiments ausgefüllt wurde. Boulevardpresse und Mainstream-Politiker
haben sich auf die Immigranten eingeschossen und viele Missstände in den
britischen Städten und Gemeinden dem Zustrom von Ausländern zugeschrieben,
wobei es keine Rolle spielte, dass in Regionen mit hoher
Jugendarbeitslosigkeit nur sehr wenige Migranten leben.
Gerade in solchen Gemeinden sind die Ressentiments gegen Zuwanderer jedoch
oft am stärksten. In Großstadtregionen, etwa im Raum London und in
Liverpool, hat die Ukip ziemlich schwach abgeschnitten. Auch hier gibt es
viele der genannten Probleme, aber die Bevölkerung ist weitaus „gemischter“
und das Zusammenleben von Einwanderern und Briten unterschiedlicher
ethnischer Abstammung trägt dazu bei, Feindseligkeiten abzubauen.
Inzwischen sind die Themen EU und Zuwanderung eng verquickt. Die Ukip
behauptet, wegen der offenen EU-Grenzen sei das Land von billigen, zumeist
osteuropäischen Arbeitskräften überschwemmt. Auf einem ihrer Wahlplakate
stand: „26 Millionen Menschen in Europa suchen Arbeit. Und auf wessen Jobs
haben sie es abgesehen?“ Ein anderes Plakat zeigte eine riesige Hand, die
auf den Betrachter deutet und ihn auffordert: „Hol dir die Kontrolle über
unser Land zurück.“ Auch Farage selbst schlug in diese Kerbe, als er
meinte, die Leute in London machten sich Sorgen, dass nebenan eine Familie
aus Rumänien einziehen könnte.
## Normaler Weise keine Chance
Unter normalen Umständen dürfte die Ukip eigentlich keine Chance haben.
Großbritannien hat ein Mehrheitswahlrecht, das es kleinen Parteien extrem
schwermacht, sich durchzusetzen. Das Land ist in 650 Wahlkreise aufgeteilt,
die jeweils der Kandidat mit den meisten Stimmen gewinnt, egal wie groß
sein Stimmenanteil ist.
Bei einer Partei wie der Ukip sind die Anhänger ungefähr gleichmäßig über
das ganze Land verteilt und nicht etwa in wenigen Wahlkreisen konzentriert.
Deshalb ist es durchaus denkbar, dass die Ukip bei einer Parlamentswahl auf
20 Prozent kommt und doch nur zwei oder drei Unterhausmandate gewinnt.
Gleichwohl wird bei den Konservativen, je näher die Unterhauswahlen im
kommenden Mai rücken, die Panik immer größer. Sie haben Angst, dass die
Ukip ihnen Wähler abjagen könnte, was die Labour Party unter Führung von Ed
Miliband an die Macht bringen würde. Den Umfragen zufolge ist bereits ein
Fünftel der Wähler, die 2010 für die Tories gestimmt haben, zur Ukip
übergelaufen.
Aber die hat auch über 10 Prozent der Labour-Wähler für sich gewonnen. Die
politische Elite gilt als eine abgehobene Clique von Berufspolitikern, die
nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind - erst recht, seit 2009 der
Spesenskandal das Ansehen des Parlaments nachhaltig erschütterte.
## Keine Konkurrenz durch Rassisten
Um den Aufstieg der Ukip zu stoppen, versuchten die anderen Parteien
mehrfach, die rechte Konkurrenz auf deren eigenem Terrain zu schlagen
-beispielsweise indem sie eine geringere Unterstützung für Neuankömmlinge
fordern. Und schon im Januar 2013 versprach Premierminister Cameron, ein
Referendum über die britische EU-Mitgliedschaft abzuhalten. Die Regierung
schickte Lautsprecherwagen in Wohngebiete, in denen Menschen verschiedener
ethnischer Herkunft leben, um „illegale Einwanderer“ aufzufordern, sie
sollten, „nach Hause gehen“ - solche Formulierungen kennt man sonst nur von
Rassisten.
Das alles spielt jedoch der Ukip nur in die Hände. Viele Beobachter hatten
vorausgesagt, dass die Partei nach den Europawahlen an Zustimmung verlieren
würde, aber die neuesten Umfragen bescheinigen ihr zwischen 12 und 20
Prozent. Auftrieb bekam die Partei auch durch die Übertritte von zwei
konservativen Hinterbänklern. Die daraufhin fällige Nachwahl in seinem
Wahlkreis Clacton am 9. Oktober hat Douglas Carswell klar für die Ukip
gewonnen, und Mark Reckless tritt am 20. November zur Nachwahl in Rochester
an.
In Schottland halten sich die Erfolge der Ukip bislang in Grenzen. Hier
schlug sich die Frustration über die soziale und ökonomische Unsicherheit
beim Unabhängigkeitsreferendum am 18. September in 44,7 Prozent Ja-Stimmen
nieder. In England dagegen gelingt es der Labour-Führung unter Ed Miliband
nicht, der Sparpolitik der Konservativen eine kohärente Alternative
entgegenzusetzen, geschweige denn ihre traditionellen Anhänger in der
Arbeiterklasse anzusprechen.
Ihr Lebensstandard verschlechtert sich seit Jahren, und die soziale und
ökonomische Unsicherheit, die der Ukip die Leute zutreibt, wird wohl weiter
bestehen. Mangels Alternative wird sie weiter an Boden gewinnen - obwohl
sie für eine Politik eintritt, mit der noch mehr Geld auf die Konten
reicher Briten geschaufelt wird.
16 Nov 2014
## LINKS
[1] http://www.margaretthatcher.org/document/107332
## AUTOREN
Owen Jones
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