# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Brasilien: Drohender Rollback | |
> Der Wechsel von Marina Silva ins rechte Lager lässt Aécio Neves auf einen | |
> Sieg in der Stichwahl hoffen. Im Parlament ist der Rechtsruck bereits | |
> vollzogen. | |
Bild: Wittert seine Chance: Oppositionskandidat Aecio Neves. | |
RIO DE JANEIRO taz | Gut eine Woche nach der ersten Runde der | |
Präsidentschaftswahlen in Brasilien sieht es zum ersten Mal so aus, als | |
könnte die konservative PSDB wieder an die Macht kommen. In knapp zwei | |
Wochen wird eine Stichwahl über die zukünftige Präsidentschaft entscheiden, | |
und PSDB-Kandidat Aécio Neves liegt in Umfragen knapp in Führung. Das | |
Wochenende war für ihn ein Triumph: Marina Silva, mit gut 21 Prozent | |
Stimmanteil Drittplatzierte in ersten Wahlgang, sicherte ihm und seiner | |
Partei Unterstützung zu. | |
Zuvor hatte Neves in einem offenen Brief zugesagt, einige der zentralen | |
Forderungen der populären ehemaligen Umweltministerin in sein | |
Regierungsprogramm aufzunehmen. Er werde einer Agrarreform Priorität | |
einräumen, die Sozialpolitik ausbauen, eine aktive Umwelt- und Klimapolitik | |
betreiben, mehr Geld in Bildung und Gesundheit investieren und sogar die | |
Indígenas vor Verfolgung seitens der Landbesitzer schützen. | |
Silva, die gemeinsam mit ihrer Partei PSB einen Dritten Weg zwischen PT und | |
PSDB gehen wollte, hat sich damit auf die Seite der Rechten geschlagen. | |
Dies hatten ihr zuvor schon zahlreiche Vertreter aus sozialen Bewegungen | |
vorgeworfen. Sie selbst begründet ihren Schritt hingegen mit den | |
„glaubhaften Versprechen“ von Neves und „weil ein Machtwechsel gut für d… | |
Land“ sei. Rousseff zeigte sich „wenig überrascht, da Marina genau wie | |
Neves ein liberales Wirtschaftsprogramm“ vertrete. | |
Viele Brasilianer verstehen die Welt nicht mehr. Um die Wiederwahl der PT | |
zu verhindern, bringt Marina Silva die PSDB dazu, eine Politik zu | |
versprechen, die bisher nur – wenn auch mit vielen Einschränkungen – von | |
der PT umgesetzt wurde. Silvas Weg von einer einst linken Alternative hin | |
zu einer rechten Königsmacherin hat schon jetzt einige Brüche verursacht. | |
Roberto Amaral, Präsident von Silvas PSB, bezeichnete die Wahlhilfe für | |
Neves als „Verrat am politischen Vermächtnis der Parteigründer“ und sprach | |
sich für die Wahl von Rousseff aus. | |
Die PSB war erst im vergangenen Jahr aus der Koalition mit der PT | |
ausgeschieden und hatte bereits vor einigen Tagen zur Wahl von Neves | |
aufgerufen. Die Partei steht vor einer Spaltung, da mehrere | |
Spitzenpolitiker, darunter ein neu gewählter Gouverneur, der Rechtsschwenk | |
nicht mitmachen wollen. | |
## Unterstützer des Agro-Business | |
Doch nicht nur die PSB gibt linke Positionen auf. Das Parlament, das am 5. | |
Oktober ebenfalls neu gewählt wurde, hat einen deutlichen Rechtsruck | |
erlitten. Vor allem konservative parteiübergreifende Interessenvertretungen | |
haben zugelegt: Die Fraktion der Evangelikalen stiegt von 70 auf 80 | |
Abgeordnete, viele von ihnen sind Pastoren oder Kirchensänger. Die | |
Unterstützer des Agro-Business wuchsen um 60 Sitze auf jetzt 257, über die | |
Hälfte der 513 Sitze. Die Verfechter einer offen repressiven | |
Sicherheitspolitik, zu denen viele ehemalige Polizisten gehören, legten von | |
18 auf 55 Abgeordnete zu. | |
Besonders viele Stimmen bekamen einige rechte Scharfmacher, die öffentlich | |
gegen Schwule hetzen, rassistische Sprüche schwingen oder die | |
Militärdiktatur verteidigen. Auch wenn die PT trotz Verlusten noch die | |
größte Fraktion stellt, ist jetzt schon klar, dass dieser Kongress | |
unabhängig vom Präsidenten ein Rollback einleiten wird. | |
Amtsinhaberin Dilma Rousseff ist im Wahlkampf in der Defensive. Ein neuer | |
Korruptionsskandal beim staatlichen Ölkonzern Petrobras macht ihr zu | |
schaffen. Seit 12 Jahren regiert ihre gemäßigt linke Arbeiterpartei PT. Ihr | |
wichtigstes Argument: Brasilien geht es so gut wie nie. | |
Rousseff hat jetzt nicht nur eine vereinte Opposition gegen sich. Sie muss | |
sich auch gegen den Diskurs erwehren, der einen schlichten Machtwechsel als | |
Gebot der Stunde propagiert. Die Rede ist von grenzenloser Korruption in | |
Staatsunternehmen und einer dramatischen Wirtschaftskrise. Auch die | |
Massendemonstrationen vom Juni 2013 werden in den Medien gern als Kronzeuge | |
für den Wechselwillen zitiert. | |
Übersehen wird dabei, dass sich die Forderungen nach besseren | |
Verkehrsmitteln, Bildung und Gesundheit weniger an Rousseff als an die | |
unmittelbar Verantwortlichen, also die Gouverneure vor allem in São Paulo | |
und Rio de Janeiro, richteten. Dort hielt sich der Veränderungswunsch in | |
Grenzen: Ersterer wurde bereits wiedergewählt, Letzterer ist Favorit in der | |
Stichwahl. | |
13 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Andreas Behn | |
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