# taz.de -- Prozess gegen Exgeheimdienstler: Mord im Auftrag Jugoslawiens | |
> Der Exilkroate Stjepan Djurekovic wurde 1983 in Bayern getötet. Jetzt | |
> will ein Münchner Gericht herausfinden, wer die Täter waren | |
Bild: Unter Fahnen des „Unabhängigen Staates Kroatien“ (1941–44): Stjepa… | |
Sie nannten ihn „Bulldozer“. All seine Energie steckte der kleine Mann mit | |
dem schwarzen Schnurrbart in den Kampf gegen den sozialistischen | |
Vielvölkerstaat Jugoslawien – und für ein unabhängiges Kroatien. | |
Auch am 28. Juli 1983 hatte er antijugoslawische Manuskripte bei sich. Er | |
brachte sie in eine kleine Hinterhofgarage im Münchner Vorort | |
Wolfratshausen, wo er und weitere Exilkroaten eine Druckerei betrieben. | |
Zuvor hatte er Grillfleisch gekauft, seine Freundin wartete an der nahe | |
gelegenen Isarbrücke. Sie wollten einen Bootsausflug machen. Doch Stjepan | |
Djurekovic kam nicht. | |
Es ist dunkel, nur durch die Holztür fällt ein heller Lichtkegel. | |
Djurekovic legt sein Manuskript auf die Druckermaschine, wendet sich um. | |
Ein Schuss trifft seine rechte Hand, zwei weitere durchbohren seine | |
Oberarme. Er versucht zu fliehen, zwei Schüsse in den Rücken, der sechste | |
in den Hinterkopf. Zusammengekrümmt und blutüberströmt liegt er am Boden, | |
doch es ist nicht genug. Einer der Täter schlägt ihm mehrmals mit einem | |
harten Gegenstand auf den Kopf, bis Djurekovic tot ist. | |
Die Mörder wurden nie gefasst. 25 Jahre später verurteilte das | |
Oberlandesgericht München einen damaligen Freund Djurekovics wegen Beihilfe | |
zum Mord. Der verschaffte dem jugoslawischen Geheimdienst einen | |
Zweitschlüssel zur Garage. Ab kommendem Freitag stehen nun deren | |
mutmaßliche Auftraggeber vor demselben Gericht: die exjugoslawischen | |
Geheimdienstler Josip Perkovic und Zdravko Mustac, deren Unterschriften | |
nicht nur unter dem Befehl zur Tötung von Djurekovic gestanden haben | |
sollen. | |
Mindestens 30 Exilkroaten wurden seit den 1960er Jahren in Westdeutschland | |
erschossen, vergiftet oder erstochen. Es ist die längste unaufgeklärte | |
Mordserie der Bundesrepublik. Konnte der jugoslawische Geheimdienst | |
ungestört in Deutschland morden? Was wussten Bundesnachrichtendienst, | |
Verfassungsschutz, Politik? Auch diese Fragen werden eine Rolle vor Gericht | |
spielen. | |
## Die Todesliste der Jugo-Stasi | |
Dass in Westdeutschland ein Untergrundkrieg ausgefochten wurde, war kein | |
Geheimnis. Medien berichteten vom „schießfreudigen jugoslawischen | |
Geheimdienst“, Gegner des sozialistischen Staates posierten nicht nur in | |
Zeitschriften mit Maschinengewehren und Pistolen. Einige von ihnen planten | |
auch Sprengstoffanschläge in Jugoslawien selbst, andere wie Djurekovic | |
bekämpften den Vielvölkerstaat ohne Gewalt. Doch auch das reichte, um auf | |
die „Todesliste“ der „Udba“, der jugoslawischen Staatssicherheit zu kom… | |
In der Bundesrepublik wurden viele Morde an Exilkroaten erstaunlich schnell | |
zu den Akten gelegt. Einerseits, weil der jugoslawische Geheimdienst | |
erfolgreich den Eindruck erweckte, die Regimegegner würden sich gegenseitig | |
zerfleischen. Andererseits kam diese Sichtweise wohl auch manchen der | |
damaligen deutschen Ermittler entgegen. | |
War der Grund dafür nur Desinteresse an ein paar „Jugos“? Oder bewusste | |
Schonung eines ausländischen Dienstes, der in Deutschland mordete? Es gab | |
auch Doppelagenten, die für Jugoslawien und die BRD arbeiteten. Hatten die | |
deutschen Nachrichtendienste Hinweise und gaben sie nicht weiter? | |
Der FDP-Politiker Gerhart Baum war ab Ende der 1970er Jahre | |
Bundesinnenminister. „Jugoslawien hatte eine Sonderrolle“, sagt er heute. | |
Es war die Zeit des Kalten Kriegs, Europa war in Ost und West gespalten. | |
Jugoslawien war zwar sozialistisch, aber blockfrei – und daher für die BRD | |
ein wertvoller Vermittler. Ermittlungen seien jedoch nie erschwert worden, | |
sagt Baum. | |
## Zwischen Ost und West | |
Doch der Kampf der Exilkroaten belastete die guten Beziehungen der | |
Bundeshauptstadt Bonn ins jugoslawische Belgrad. Als Baum dorthin reiste, | |
um über die Freilassung von vier RAF-Terroristen zu verhandeln, verweigerte | |
Belgrad die Kooperation: Bonn tue zu wenig, um Jugoslawiens Gegner in | |
Westdeutschland in Schach zu halten. | |
Dass die Akten damals gar so schnell geschlossen wurden, scheint auch mit | |
der deutschen Ostpolitik zusammenzuhängen; dass sich zumindest die von | |
Djurekovic jetzt wieder öffnet, liegt an der EU. Denn die mutmaßlichen | |
Hintermänner konnten sich auch nach dem Ende Jugoslawiens 1991 im nun | |
unabhängigen Kroatien sicher fühlen. | |
Noch 2006 lachte Josip Perkovic über die Möglichkeit, dass irgendein | |
deutsches Gericht ihn und Mustac jemals beschuldigen könnte, einen Mord in | |
Auftrag gegeben und vorbereitet zu haben. Schließlich war er auch im | |
postsozialistischen Kroatien ein hoher Geheimdienstmann. Dass Mustac und er | |
seit Anfang des Jahres in der JVA Stadelheim sitzen, ist dem EU-Beitritt | |
ihres Heimatlandes geschuldet. Kroatien musste die beiden ausliefern. | |
Auf diesen Moment wartete Robert Zagajski seit über 30 Jahren. Der | |
48-jährige mit dem weißblonden Schnurrbart sitzt in einem Biergarten in | |
München, vor ihm ein Stapel Papier, darauf alte Schreibmaschinenschrift: | |
die Akte seines Vaters. Auch der musste sterben, weil er von Deutschland | |
aus gegen Jugoslawien kämpfte. | |
## Die Kinder der Opfer | |
„Solange der Mord nicht aufgeklärt ist, hat man keine Ruhe“, sagt der Sohn | |
heute. Zagajski junior hörte nicht auf, nach der Wahrheit zu suchen, fuhr | |
ins Archiv nach Zagreb. Ein Name taucht in den Akten immer wieder auf: | |
Mustac, der in München Angeklagte. Wie unzählige Söhne, Töchter und Witwen | |
hofft Zagajski nun, dass – falls Mustac und Perkovic verurteilt werden – | |
auch der Mord an seinem Vaters neu verhandelt wird. Doch er hofft mit | |
Skepsis. Viele Namen in den Akten seines Vaters sind geschwärzt, über 600 | |
Seiten fehlen. „Da werden wohl die Mörder drin stehen“, meint Zagajski. | |
An belastende Unterlagen heranzukommen ist schwer. Sinisa Pavlovic sitzt in | |
seinem Anwaltsbüro in Zagreb, dunkler Anzug, blaue Krawatte. Er vertritt | |
die Witwe Stjepan Djurekovic’, Gizela, die in München als Nebenklägerin | |
auftritt. Sie ist mittlerweile 84 Jahre alt. Als ihr Mann 1982 floh, blieb | |
sie dort. Ein Jahr später war er tot, zur Beerdigung durfte sie nicht. Bis | |
1990 hatte sie keinen Pass, wurde vom Geheimdienst beschattet. Nur manchmal | |
konnten Freunde eine Nachricht ihres Sohnes über die Grenze schmuggeln. | |
Auch jetzt scheint der unabhängige, demokratische EU-Mitgliedsstaat | |
Kroatien nicht auf Seiten der Verbliebenen zu stehen. „Die Archive sind für | |
uns vollkommen dicht“, sagt ihr Anwalt. Die Regierung gibt die Unterlagen | |
nicht raus, sie sind „geheim“. Etwas anderes hatte Pavlovic auch nicht | |
erwartet. Schon die Auslieferung von Perkovic und Mustac versuchte Kroatien | |
durch ein eigens dafür verabschiedetes Gesetz zu verhindern. | |
Erst unter Druck aus der EU knickte die Regierung in Zagreb ein. Nicht nur | |
Josip Perkovic’ Geheimdienstkarriere ging nach 1991 im unabhängigen | |
Kroatien weiter; sein Sohn berät den jetzigen Präsidenten des Landes in | |
Sicherheitsfragen, Mustac ist eine angesehene Persönlichkeit. Angeblich | |
werden ihre Verteidiger zum Teil aus Mitteln des kroatischen Staats | |
bezahlt. | |
## Reue? Fehlanzeige! | |
Noch wenige Tage vor seiner Auslieferung gab Perkovic in einem Interview | |
für eine TV-Dokumentation des BR-Politikmagazins „Kontrovers“ und der | |
Deutschen Welle ganz offen zu, er habe viele Agenten in Deutschland | |
geführt. Mit Morden aber will er nichts zu tun gehabt haben. | |
Peter Wagner vertritt Perkovic vor Gericht. Für ihn ist der Zeuge, der | |
seinen Mandanten im Urteil von 2008 stark belastet „nicht ansatzweise | |
glaubwürdig“. Es geht um den Agenten „Miso“. Klar, dass der ein Meister … | |
Täuschung sein muss. Er arbeitete als Doppelagent, soll an mehreren Morden | |
beteiligt gewesen sein, in Frankreich, Italien und Schottland. Dort saß er | |
deshalb zehn Jahre in Haft. | |
Trotzdem befanden die Münchner Richter Misos Aussagen vor sechs Jahren als | |
„besonders werthaltig und authentisch“. Schließt sich das Oberlandesgericht | |
auch diesmal dieser Einschätzung an und verurteilt Perkovic und Mustac, | |
hätte Gizela Djurekovic Anspruch auf Schmerzensgeld. Doch sie will | |
verzichten. „Nicht einen Cent“ wolle sie von dem „blutigen Geld der | |
Angeklagten“. | |
16 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Lisa Schnell | |
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